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Ein Alptraum für Frauen

Die neuen Verhütungsmittel: Impfungen gegen Schwangerschaft / Die Risiken sind nicht absehbar / Experimente mit Frauen werden fortgesetzt  ■ Von Ute Sprenger

Das Verhütungsmittel der Zukunft kommt nicht mehr mechanisch oder als hormoneller Hammer daher. Die neueste Entwicklung aus den Laboren hochbezahlter Empfängnisverhüter ist eine Impfung: die ein bis zwei Jahre wirksame Immunisierung gegen Schwangerschaft. Strategen der Geburtenkontrolle in den Ländern des Südens sehen in einer solchen Immunisierung besondere Vorteile. Einmal gespritzt, dauert die Verhütungswirkung lange an, und die Frauen können die Methode nicht einfach absetzen. Sie müssen warten, bis ihre Wirkung abklingt. Erprobt wird eine solche Impfung bereits in Indien. Die Pharmazeutin Judith Richter stellte nun in Zusammenarbeit mit der Pharma- Kampagne eine Studie vor, die sich kritisch mit diesem völlig neuartigen Verhütungsansatz befaßt.

Immunologische Verhütungsmittel sollen Antikörper gegen körpereigene Stoffe wie Hormone oder Eiweiße (Spermien) hervorrufen. Ziel ist, Sperma und Eizelle daran zu hindern, zusammenzutreffen oder eine Schwangerschaft zu einem frühen Zeitpunkt vom Körper selbst beenden zu lassen. Die Forscher sehen bisher drei Ansatzpunkte für solche Abwehrreaktionen:

– die Hirnanhangdrüse, von wo aus die Produktion der weiblichen und männlichen Sexualhormone gesteuert wird. Hier könnte in die Reifung der Hormone selbst eingegriffen werden;

– Anti-Eizellen- oder Anti- Spermien-Verhütungsmittel, mit denen die Oberflächen der Geschlechtszellen funktionsunfähig gemacht werden;

– die Verhinderung der Einnistung und Entwicklung des frühen Embryos in der Gebärmutter. Dieser Ansatz ist bisher am weitesten entwickelt.

Mit der Forschung an einer Impfung gegen Schwangerschaft betritt die Medizin ein heikles Gebiet. Abwehrreaktionen des Immunsystems werden bisher gegen eindringende körperfremde Substanzen aktiviert, Bakterien oder Viren, die Entzündungen oder Krankheiten hervorrufen. So etwa bei Impfstoffen gegen Tetanus, Grippe oder Masern. Hier nun werden Antikörper gegen körpereigene Moleküle oder Hormone hervorgerufen, gegenüber denen der Körper normalerweise tolerant ist. Ein immunologisches Verhütungsmittel unterläuft also diese Selbstschutzmechanismen und greift durch Auto-Immunisierung in die menschliche Fortpflanzung ein. Judith Richter hält es für wahrscheinlich, daß allergische oder Autoimmun-Reaktionen auftreten werden.

Das für ForscherInnen „vielversprechendste Ziel-Antigen“ ist derzeit das Schwangerschaftshormon HCG (Human Choriongonadotrophin). Das Hormon, das von den Keimbläschen ab der zweiten Schwangerschaftswoche freigesetzt wird, dient der Einnistung des Vorembryos und hält die Schwangerschaft durch die Produktion von Progesteron aufrecht. Wird HCG blockiert, sinkt der Progesteronspiegel und die befruchtete Eizelle wird ausgeschieden.

Drei große und einige kleine Forschungsteams arbeiten derzeit weltweit mit diesem Hormon. Ebenfalls daran beteiligt ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die eigens dafür 1974 ein Sonderforschungsprogramm einrichtete. Daneben forschen der US-amerikanische Population Council und das indische Nationale Institut für Immunologie an diesem Anti-HCG-Verhütungsprinzip. – Eine Prototyp-Impfung erprobt der indische Immunologe G. Pran Talwar bereits seit Ende der 80er Jahre an Frauen. Die Phase II der klinischen Tests ist gerade abgeschlossen.

Mit ihr sollte die Dauer der verhütenden Wirkung untersucht werden, die bisher nur hypothetisch ist. Richter: „Die Wissenschaftler haben einfach einen Wert festgelegt, der ihnen realistisch erschien. Da die klinischen Versuche der Phase I mit unfruchtbaren Frauen durchgeführt werden, kann die notwendige Menge an Antikörpern, die auf eine zuverlässige Verhütung hinweist, nicht gemessen werden. Die klinischen Versuche der Phase II, die mit dem Anti-HCG-Kontrazeptivum an fruchtbaren Frauen in Indien durchgeführt werden, haben diesbezüglich noch keine eindeutigen Ergebnisse gezeitigt. Es steht noch dahin, ob ein wie auch immer gemessener Schwellenwert für alle Frauen und für alle Variationen immunologischer Verhütung Gültigkeit haben wird.“ Da die Wirkungsdauer nicht bekannt ist, ist auch nicht klar, ob mit einer Anti- HCG-Impfung behandelte Frauen wieder schwanger werden können. Ebensowenig ist bekannt, welche Auswirkungen zu erwarten sind, wenn eine Frau schwanger wird nachdem ihr ein immunologisches Verhütungsmittel verabreicht wurde.

Keineswegs schützt ein solches Verhütungsmittel vor der Übertragung von Geschlechtskrankheiten. Im Gegenteil. Da die Abwehr von Krankheitserregern von einem intakten Immunsystem abhängt, ist es möglich, daß die Impfung Krankheiten begünstigt. Auch die Verwendung möglicherweise unsteriler Injektionsnadeln erhöht das Risikopotential. Zudem, so Richter, sei schon vorhersehbar, daß eine Impfung es schwieriger machen werde, Männer zur Verwendung von Kondomen zu bewegen.

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt mittlerweile nicht mehr, derartige Verhütungsmittel in allgemeinen Impfprogrammen in den Ländern des Südens einzusetzen. Zu groß ist die Gefahr des Mißbrauchs. Frauen könnten ohne ihr Wissen und ohne ihr Einverständnis eine solche Spritze erhalten. Nur „Familienplanungsdienste und sorgfältig kontrollierte Gesundheitsposten“ sollten die Immunisierung verbreiten, heißt es heute. Judith Richter ist allerdings skeptisch: „Ob es tatsächlich zu Mißbrauch kommt, hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel davon, ob die Menschenrechte respektiert werden oder welchen Stellenwert Frauen in der Gesellschaft einnehmen. Es ist zu befürchten, daß das gegenwärtige globale politische Klima einen zunehmenden Mißbrauch von Verhütungsmitteln begünstigt.“ Deshalb fordert sie, die weitere Entwicklung dieser Verhütungsmittel einzustellen.

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