piwik no script img

Ein Abschied in Unfertigkeit

Pokal I Borussia Dortmund holt gegen Eintracht Frankfurt nach zuletzt drei Finalniederlagen den DFB-Pokal. Doch die Stimmung deutet mehr denn je einen Abgang von Thomas Tuchel an. Es bleibt ein angefangenes Werk zwischen Genialität und Tölpelhaftigkeit

Mittendrin ist anders: Die Mannschaft hat Spaß, Thomas Tuchel ist auch irgendwie dabei Foto: reuters

Aus Berlin Johannes Kopp

Mit Wasser bespritzten sich am Ende dieses heißen Sommertags die vergnügten Dortmunder Pokalsieger. Und ihr Trainer Thomas Tuchel sprach wenig später im stickigen Pressesaal des Olympiastadions von Weihnachten: „Das klingt jetzt vielleicht kitschig, aber ich freue mich an Weihnachten am meisten darüber, wenn alle glücklich sind. Mir geht es immer am besten, wenn alle glücklich sind.“ Deshalb genieße er es auch vor allem, das Glück seiner Spieler zu sehen.

Dieser etwas brüske jahreszeitliche Sprung sollte veranschaulichen, wie harmonisch es um die Beziehung zwischen dem Team und dem Trainer bestellt ist. Tuchel ist daran auch ob anderer in Umlauf gebrachten Gerüchte sehr viel gelegen. Das gegen Frankfurt gewonnene Endspiel war aus Tuchels Sicht der finale Beweis dafür, wie gedeihlich das Binnenklima zwischen ihm und den Dortmunder Profis ist. „Wir haben eine ganz besondere Saison noch einmal gekrönt. Das ist nur möglich, wenn die Mannschaft dem Trainer vertraut und umgekehrt.“ Es war schon kurios, wie der frisch gekürte Pokalsiegertrainer auch kurz nach dem großen Erfolg um sein Ansehen und vielleicht auch um seine Zukunft in Dortmund kämpfte. Natürlich, behauptete er, wolle er dort weiter arbeiten.

Diese Woche wird zeigen, ob die Kluft, die zwischen ihm und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nach dem Anschlag auf den Dortmunder Mannschaftsbus entstanden ist, noch zu überbrücken ist. Große Erwartungen an die Gespräche im Verein, sagte Tuchel, habe er nicht. „Mindestens ergebnisoffen“, so lautete die bemerkenswerte Chanceneinschätzung des Pokalsiegers auf Weiterbeschäftigung. Da klang mehr denn je der Abschied durch.

Harmonie ist das oberste Bedürfnis und Gebot an Weihnachten. Aber vielleicht hat es Tuchel zuletzt mit seinen rosaroten Zustandsbeschreibungen zum Unwillen der Spieler ein wenig übertrieben. Am Samstag jedenfalls hatte Kapitän Marcel Schmelzer keine Lust mehr, sich in Zurückhaltung zu üben. Als einer der letzten Dortmunder Profis verließ er um Mitternacht das Stadion. Und er äußerte sich erstaunlich offensiv zu der Personalentscheidung seines Trainers, Nuri Sahin für das Finale aus dem Kader zu streichen: „Mich hat das sehr geschockt, weil ich es einfach nicht verstehe.“ Sahin habe bereits bewiesen, dass er bestens den im defensiven Mittelfeld ausgefallenen Julian Weigl ersetzen könne.

Auch diese unverblümte Kritik von Schmelzer, der nach fünf Jahren ohne Titel in Dortmund wieder einmal einen Pokal in die Höhe stemmte, konnte als Zeichen des nahenden Trainerabschieds gedeutet werden.

„Das ist nur möglich, wenn die Mannschaft dem Trainer vertraut und umgekehrt“

Thomas Tuchel

Tuchel hatte seine Maßnahme mit der Frankfurter Kopfballstärke und ihrer Vorliebe für lange Bälle begründet. Dass er Sahin nicht einmal einen Platz auf der Bank reservierte, ist aber durchaus auch eine Demonstration seiner Kompromisslosigkeit.

Nun könnte man nach drei missglückten Finalteilnahmen in Serie diesen Pokalsieg als geglücktes Abschiedsgeschenk von Thomas Tuchel betrachten. Nachdem sich die Dortmunder nach prächtiger Anfangsviertelstunde und dem Führungstor von Ousmane Dembélé aus unerfindlichen Gründen das Spiel von den Frankfurtern aus der Hand nehmen ließen und sich in der Halbzeitpause Schmelzer sowie Marco Reus verletzt austauschen ließen, traf Tuchel die richtigen Entscheidungen. Matthias Ginter etwa, der im defensiven Mittelfeld wenig überzeugen konnte, wurde in die Abwehr versetzt. Und auch andere Disbalancen im Abwehrverhalten, die Eintracht Frankfurt in der ersten Hälfte den Ausgleich durch Ante Rebic und einen Pfostenschuss ermöglicht hatten, konnten behoben werden.

Die Dortmunder kontrollierten die Partie immer besser. Und doch hätte das Elfmetertor von Pierre-Emerick Aubameyang beinahe nicht zum Sieg gereicht. Als Sokratis in der 89. Minute eine Hereingabe zu klären versuchte, fehlte nicht viel zum Eigentor. Tuchel bekannte: „Ich dachte, der wäre drin.“ Dieses Auf und Ab, diese Mischung aus genialen Momenten und tölpelhaften Fahrlässigkeiten, spiegelte komprimiert noch einmal den Verlauf der ganzen Saison dieser entwicklungsfähigen Mannschaft wieder. Der Pokalsieg mag möglicherweise ein schönes und versöhnliches Abschiedsgeschenk von Thomas Tuchel sein, aber sollte es so kommen, wird immer der Eindruck bleiben, dass er in der großen Eile am Ende mit seinem Geschenk nicht ganz fertig geworden ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen