Ein Abc zum Schulstart: Jetzt wird es ernst
Am Samstag finden an den Grundschulen die Einschulungsfeiern statt. Nun müssen vor allem die Eltern viel lernen: Was etwa sind LovLs?
Alphabet Muss das Kind jetzt lernen. Wird ihm nicht immer notwendigerweise auch von dafür ausgebildeten LehrerInnen vermittelt. (> Fachkräftemangel)
Baustaub Gewöhnen Sie sich an den Gedanken, dass Ihr Kind seine komplette Grundschulzeit auf einer Baustelle verbringen wird. Seit 2016 investiert der rot-rot-grüne Senat Milliarden in die Sanierung stinkender Schulklos und undichter Dächer. 2026 soll alles schick sein. Leider ist die Vorwärtsverteidigung gegen die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte bereits ins Stocken geraten: Die bezirklichen Bauämter finden oft keine Baufirmen. Denn die Baubranche boomt, und privat zahlt besser als die öffentliche Hand.
Cheese „Sag mal cheeeese für deinen Opa.“ Die Choreografie auf dem obligatorischen Einschulungsfoto hat sich – siehe die Bildauswahl für diese Seite – offensichtlich seit den 1970er Jahren nicht wesentlich geändert. Kind, Zuckertüte, Klick: Das Gegenteil von einem Schnappschuss, irgendetwas möchten wir da offenbar festhalten. Nicht jedem gelingt dabei das Lächeln.
Dachschaden Trifft leider auf viele Schulen zu. (> Baustaub)
Elternabend Gilt es zu überstehen. Der erste ist der schlimmste. Aber bis 22 Uhr sollte das Pro und Contra über Plastik- oder Pappschnellhefter durch sein. Dann nur noch die Klassenkassenfrage mit Diskussion über den exakten Betrag und den genauen Einzahlungsmodalitäten. Und natürlich die Ämtervergabe: Gucken Sie nicht genervt auf die Uhr, freuen Sie sich über lange Bewerbungsreden übermotivierter VordränglerInnen. Ehre sei dem elterlichen Engagement, aber: Nein, Sie möchten nicht Kassenwart sein.
Fachkräftemangel An den Grundschulen haben nur noch 14 Prozent der 1.240 Neueinstellungen dieses Jahr ihren Beruf studiert. Und darum ist das so: Jahrelang haben die Berliner Hochschulen trotz steigender Schülerzahlen und bundesweiten Lehrermangels zu wenig eigene PädagogInnen ausgebildet. Erst 2016 steuerte der Senat um, die Studienplätze für Grundschullehramt wurden verdoppelt. Seitdem müssen die Unis auch Studienplatzquoten für jedes Lehramt erfüllen – zuvor hatten sie mehr Studienräte für die Sekundarschulen und Gymnasien ausgebildet. Die Folge ist jetzt: kollektives Kopfschütteln beim Smalltalk am Rande des > Elternabends.
Geschenkt gibt es in der Grundschule ab diesem Schuljahr die Bücher. Der elterliche Eigenanteil von maximal 100 Euro pro Kind fällt weg. Die Eltern freuen sich, viele Schulleitungen mosern: Die 98 Euro pro Kind reichten nicht. Bisher bekamen die Schulen 73 Euro pro Kind als Zuschuss vom Land, plus den Eigenanteil der Eltern. Die Bildungsverwaltung sagt aber: Viele Schulen in ärmeren Kiezen mussten bisher auch mit 98 Euro pro Kind auskommen, weil für Kinder aus Jobcenter-Familien der Zuschuss bisher schon bei dieser Höhe lag und die Eltern nichts zahlen mussten. Unterm Strich bleibt die Erkenntnis: Der Senat orientiert sich bei den Ausgaben für Lernmittel – nach unten.
Helikoptereltern bringen ihr Kind mit Auto zur Schule (und dann zu Fuß bis zur Klassenraumtür). Abenteuerlich parkende und rangierende Elterntaxis sind aber eine potenzielle Gefahr – und zumeist eine Reaktion der Eltern auf unsichere Schulwege, weil zum Beispiel Zebrastreifen oder andere Querungshilfen für die Kinder fehlen. Eine Elterninitiative an der Pankower Grundschule Unter den Buchen kämpft gerade dafür, dass das Recht auf einen sicheren Schulweg im Berliner Mobilitätsgesetz festgeschrieben wird.
Inklusion Gestaltet sich in Berlin zunehmend schwieriger. Denn der > Fachkräftemangel wird auch aufgefangen, indem die Schulen an ihren Stunden für (Sprach-)Förderung knapsen sollen – die Bildungssenatorin Scheeres in den vergangenen Jahren selbst erhöht hatte, weil „ich immer betont habe, dass die Inklusion nicht kostenneutral zu machen ist“, wie sie auf der Pressekonferenz zum Schulstart betonte. „Bisher habe ich da Wort gehalten“, sagte Scheeres. Bisher.
Japanisch Natürlich will das Schulkind auch einer AG beitreten. Grundsätzlich ist vor Keramik und 3-D-Druck zu warnen – der kreative Output des eigenen Kindes ist oft überraschend hoch, und einfach wegschmeißen kann man die wöchentlich getöpferte Salatschüssel nun auch wieder nicht.
Kuchenbasar Ein 5-Minuten-Rezept Nusskuchen geht so: 600 Gramm Haselnüsse, 6 Eier, 100 Gramm gemahlene Mandeln, 180 Gramm Zucker vermischen. In eine Kastenform füllen, backen. Schmeckt.
LovL Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung. Sie machten in diesem Jahr ein Drittel der 2.700 Neueinstellungen aus, also gewöhnen Sie sich an diese Vokabel. LovLs haben studiert, aber kein Fach der Berliner Schule. Bisher konnten sie damit als Vertretungskräfte arbeiten. Jetzt können sie Ihrem Kind auch Lesen und Rechnen beibringen und werden zu regulären Lehrkräften befördert.
Mittagessen Mit durchschnittlich 40 Prozent Bioanteil sind die Berliner Schulcaterer bundesweit Vorreiter. Leider ist das Essen auch ziemlich versalzen, enthält nicht genug Nährstoffe und ist wenig abwechslungsreich, hatte die Zweite Studie zur Qualität des Berliner Schulessens 2017 ergeben. Sehen Sie es positiv: Sie können ab jetzt etwas anderes als Nudeln mit Soße kochen, die kann das Kind nämlich nicht mehr sehen.
Noten Gibt es laut Berliner Schulgesetz erst frühestens in der dritten Klasse, spätestens aber nach dem ersten Halbjahr der fünften. Also sparen Sie sich die Aufregung für den > Elternabend zu Beginn der dritten Klasse.
Ohnmacht Ja, die > Zettelmappe und der > Elternabend können einem Schwindelgefühle bereiten. Nicht umfallen.
Pensionäre Müssen in Zeiten des > Fachkräftemangels ebenfalls ran. 338 schieben in diesem Jahr freiwillig ihre Pensionsgrenze nach hinten und leiten jetzt zum Beispiel die > QuereinsteigerInnen an.
QuereinsteigerInnen Erfahren gerade eine enorme Imageaufwertung, weil sich alle noch viel mehr über die > LovLs aufregen. QuereinsteigerInnen haben mindestens ein Fach der Berliner Schule studiert und dürfen damit ein berufsbegleitendes Referendariat beginnen.
Richtig oder falsch? Überlegen Sie sich gut, wann Sie wirklich mit der Klassenlehrerin über zwei Punkte mehr für Ihr Kind im Mathe-Test feilschen wollen. Teilen Sie sich Ihre Kräfte ein (> Elternabend, > Kuchenbasare).
Sonnen-Grundschule Die Neuköllner Schule organisierte zu Beginn des neuen Schuljahres eine Mahnwache vor der Bildungsverwaltung. Die Probleme der Schule stehen stellvertretend für die vieler Schulen in Brennpunkten: kaum noch Bewerbungen von ausgebildeten LehrerInnen, aber immer mehr verhaltensauffällige SchülerInnen mit Förderbedarf (> Inklusion).
Türkisch-AGs Neuer Versuch der Bildungsverwaltung, das vermeintliche Problem Mehrsprachigkeit in Chancen umzumünzen – und der Konkurrenz, dem Ankara-treuen Konsulatsunterricht, das Wasser abzugraben. 45 Grundschulen machen mit.
U-Bahn-Fahren ist für Schulkinder, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, jetzt kostenlos. 13 Millionen Euro lässt sich Rot-Rot-Grün das Gratis-Schülerticket für den AB-Bereich kosten.
Viele SchülerInnen: 8.000 mehr als 2017, ein Rekordplus. Damit hat Berlin jetzt knapp 360.000 SchülerInnen, davon rund 34.000 ErstklässlerInnen. 60 neue Schulen müssen bis 2026 gebaut werden, plus zahlreiche Schnellbauten.
Wandertag Am Ende des Schuljahres, um die letzten Tage vor den Zeugnissen rumzukriegen. Am Anfang des Schuljahres, wenn irgendeine Ferienbaustelle noch Staub aufwirbelt.
X Kein Satz mit X.
Yad Vashem Im Herbst sollen die ersten LehrerInnen auf Exkursion nach Israel gehen. Wenn der nächste Antisemitismusvorfall an einer Schule passiert, wird die Bildungsverwaltung auf diese Vorzeige-Kooperation mit der israelischen Holocaust-Gedenkstätte verweisen.
Zettelmappe Bringt Eltern insbesondere in den ersten und letzten Wochen des Schuljahres um den Verstand, weil immer noch irgendein Sponsorenlauf, > Kuchenbasar oder > Wandertag per Unterschrift zur Kenntnis genommen werden muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin