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Ein 68er geht in RenteAltmodischer Idealist

■ Der Politikwissenschaftler Ekkehart Krippendorff verläßt im Sommer die FU

Goethe starb am 22. März 1832 in Weimar. Auf den Tag genau 102 Jahre später wurde ein paar Kilometer weiter westlich, in Eisenach, Ekkehart Krippendorff geboren. Ein Zufall mit Folgen. Zum einen bedeutet das Geburtsdatum, daß der Politikwissenschaftler Krippendorff vor zweieinhalb Monaten 65 Jahre alt geworden ist und die Freie Universität folglich mit diesem Semester verläßt. Zum andern hat sich Krippendorff zuletzt immer mehr mit den politischen Bezügen von Musik, Literatur und Kunst beschäftigt – und ein Fixpunkt dieser Arbeit war stets der Dichterfürst aus Weimar.

An Goethe kam Krippendorff daher in seinem Abschiedsvortrag am Montag abend nicht vorbei. Weil es aber das John-F.-Kennedy-Institut war, das der Professor nach mehr als 20 Jahren verläßt, mußte er auch Amerika einbeziehen. Folglich stellte Krippendorff Skizzen zu einer Parallelbiographie von Jefferson und Goethe vor. Beide begannen ihre politische Karriere im Alter von 26 Jahren. Beide führten 1776 eine „Sternstunde der Menschheit“ herbei: Jefferson verfaßte die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, Goethe entschied sich, in Weimar zu bleiben. Beide führten eine weder standesgemäße noch eheliche Beziehung – Goethe mit Christiane Vulpius, Jefferson mit einer Sklavin. Beide huldigten dem Ideal der Polis und der Bildung. Die USA, hatte Jefferson geschwärmt, seien „das einzige Land, dessen Farmer Homer lesen können“.

Solche Sätze gefallen dem Bildungsbürger Krippendorff. In vieler Hinsicht ist der Achtundsechziger eminent altmodisch. Seine Manuskripte schreibt er noch immer mit der Hand, und der „verdummenden Fotokopiererei“ setzt er die Tugend des Exzerpierens entgegen. Ganz und gar unmodisch ist auch sein Festhalten an einem idealistischen Aufklärungspathos, das manch jüngerem Skeptiker schon allzu abgegriffen erscheinen mag. Krippendorff hingegen zögert nicht, Kants Diktum vom „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ wieder und wieder zu zitieren. „In der Idee leben heißt das Mögliche behandeln, als ob es wirklich wäre“, zitiert er Goethe. In diesem Sinne, erklärt er, sei auch sein Abschiedsvortrag als „Hommage an die USA“ zu verstehen: als Hommage an „ein Amerika, wie es sein sollte“.

Ohnehin ist Krippendorff ein Beispiel dafür, daß die westdeutsche Linke aus der Amerikanisierung der deutschen Gesellschaft nach dem Krieg geboren wurde und sie gleich-zeitig befördert hat. Krippendorffs frühen Aufenthalten in den USA folgte von 1968 an eine zehnjährige Lehr- und Forschungstätigkeit an der amerikanischen Johns Hopkins University im italienischen Bologna. Nach seinem Abschied von der FU kann Krippendorff nun wieder gen Süden ziehen. Zum Abschied schenkten ihm die Studenten ein Buch von Robert Gernhardt: „Die Toskana-Therapie“. Ralph Bollmann

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