Ehrung für Trikont-Label: Die bayerischen Kosmopoliten
Der Trikont Musikverlag erhält nach mehr als 50 Jahren toller Arbeit den Münchner Musikpreis. Eine Laudatio von Franz Dobler.
Ohne ein paar Institutionen wie Trikont wäre Bayern auf dem kulturellen Stand von Ende Mai 1945, habe ich vor einigen Monaten geschrieben. Ich dachte dann, ich hätte jetzt doch etwas übertrieben, aber inzwischen denke ich, dass ich es eher zu freundlich formuliert habe.
Der Trikont Verlag war ein astreines Kind der antiautoritären Protestbewegung und hat seit 1968 von München aus gearbeitet. Eva Mair-Holmes kam 1990 zur Plattenfirma Trikont – Unsere Stimme. Während einer Silvesterparty war sie von Achim Bergmann weichgekocht worden, der die Trikont-Musikabteilung schon fast 20 Jahre mit über 150 Veröffentlichungen durchgezogen und auch durchgeboxt hatte.
Im Jahr 1972 war das erste Album, „Wir befreien uns selbst“, erschienen, eine Sammlung mit Kampfliedern der Arbeitersache München mit dem programmatischen und auch später nie über Bord gekippten Ziel, „eine Verständigung der Nationalitäten untereinander und zwischen Arbeitern und Intellektuellen“ zu schaffen – ein Retrotrend, den wir gebrauchen könnten. 1980 hat Bergmann sich mit der Musikproduktion vom ins dubios-esoterische abgedrifteten Buchverlag getrennt und die eigenständige Firma unter dem Namen Trikont – Unsere Stimme gegründet.
Als Achim Bergmann am 1. März diesen Jahres verstarb, war die Entscheidung für den Münchner Musikpreis schon gefallen, aber noch nicht veröffentlicht, und in Gedanken ist er heute natürlich dabei.
Vergangenen Herbst gab er auf der Frankfurter Buchmesse uns allen noch mal ein Beispiel für Zivilcourage, als Unsere Stimme sozusagen, als er bei einer Veranstaltung von Rechtsradikalen allein und lautstark protestierte (und dafür von einem dieser Nazis einen Faustschlag ins Gesicht bekam).
Diese Haltung ist es, die Trikont von damals bis heute auszeichnet. Oder wie es der im Januar verstorbene jüdische Jazzgitarrist Coco Schumann, der die Konzentrationslager der Nazis überlebte und erst spät eine angemessene Würdigung mit einigen Trikont-Alben erleben konnte, mit seinen Erfahrungen formulierte: „Wer den Swing hat, kann nicht im Gleichschritt marschieren.“
Einen neuen Swing und mehr Swing und Pop brachte Eva Mair-Holmes dann in diesen Trikont rein, sie hatte einen anderen Beat, Blick, Funk, Schwung, und diese Aufladung war auch nötig.
Sie war in mehrfacher Hinsicht genau die Richtige (und damit meine ich nicht, dass die beiden bald auch noch ein Paar wurden): Sie war ein sogenanntes Besatzungskind, Tochter eines GIs aus Chicago und einer Augsburger Krankenschwester, die von ihrem Vater diese Heiratsempfehlung mitbekommen hatte: „Fast jeder deutsche Mann hat Blut an den Händen.“
Was zu einer soliden musikalischen Grundausbildung für Eva führte: Es gab keine deutschen Schallplatten bei ihnen daheim, die Mutter hörte Sinatra und Dean Martin, und das Kind bekam die ersten Beatles-Singles.
Sie hatte einige Jahre bei der Münchner Stadtzeitung Blatt gearbeitet, das neben Trikont, Basis-Buchhandlung und Rote Hilfe zum Zentrum der Münchner undogmatischen Linken gehörte.
Denken-und-Dancefloor-Botschaften
Dort machte sie nicht nur wichtige Erfahrungen mit Polizeidurchsuchungen, die ihr später in Sachen Hans Söllner zugute kamen, sondern wurde aufgrund schicker Kleidung von strengen Genossen schon mal als „Discomausi“ angepflaumt – Black-Panther-Fans können das nicht gewesen sein, und ihre Ahnungslosigkeit hätten sie später mit den vielen Black-Music-Compilations auf Trikont korrigieren können, mit deren Denken-und-Dancefloor-Botschaften Eva Mair-Holmes’ Trikont-Input vielleicht am besten zu beschreiben ist.
Weil sie außerdem auch für ein Privatradio alles von Programm bis Promotion gemacht hatte, sollte sie bei Trikont erst mal den Job übernehmen, den das Musikgeschäft für talentiert-flotte Frauen vorgesehen hat: Promotion und Pressearbeit, manchmal einen Künstler sicher auf die Bühne bringen, also alles, wo Feingefühl gebraucht wird. Falls der Herr Trikont es jemals so ähnlich formuliert haben sollte, wird man das Geschrei von Eva Mair-Holmes in ganz Giesing gehört haben.
Die Überlegung, wer von den beiden dann was geplant, geholt, betreut, vergeigt oder auch dem anderen auszureden versucht hat, wäre ein völliges Missverständnis, denn es war dieses Team, das das Label in seiner zweiten Phase ab 1990 zu diesem internationalen Renommee geführt hat, das es heute genießt. Fest steht, dass die erste Explosion, die sie beide gemeinsam total umgehauen hat, eine Kassette war, aus der mit der Nummer US-174 das erste Attwenger-Album „Most“ wurde.
Das hatte eine Symbolkraft, die bis heute hält. Die großen Firmen, die die beiden mehrfach verspulten Österreicher von dieser immer auch gefährdeten „Insel im Sumpf“ (Süddeutsche) retten wollten, mussten sich alle schleichen.
Warmer Südwind
Erst bei der Arbeit am Trikont-Buch, bei dem ich als Koautor für den Berliner Journalisten Christof Meueler fungierte, fiel mir auf, dass es in der ganzen Trikont-Story vor allem um Fortsetzungen geht: Weiterdenken statt ausharren, renovieren statt abreißen, ausholen statt aufgeben, Unsere Stimme nicht schweigsam werden lassen, sondern neue Plattformen geben.
Die wenigen Punkbands auf Trikont fanden wenig Beachtung, aber in Phase 2 kamen die bedeutenden Compilations von Jon Savage. Auf die Gastarbeitersongs der ersten Platte folgte 2013 die Rückschau „Songs of Gastarbeiter“, zusammengestellt von den Gastarbeiterkindern Ayata und Kullukcu. Auf Trikont war 1974 die erste feministische Platte erschienen, dann kamen die Frauen, die diesen Dancefloor noch nicht aufgeben wollten, Bernadette La Hengst, Lydia Daher, Apparat Hase, Zwirbeldirn, die Compilations von DJ Ipek und Renate Heilmeier.
Die erste Schwulenplatte kam 1977 von der Band Warmer Südwind mit dem Titel „Schwul“ und wurde dann sozusagen mit Queer-Sound-Diskussionen reloaded. Aus der internationalen Solidarität, deren Soundtrack im Verlauf der 1970er- und 80er-Jahre mit der Protestbewegung verflogen war, wurde ein Orkan von Beats und Stimmen aus aller Welt, die eigenständig und nicht von globalen Vermarktungsinteressen bestimmt waren: „Suburban Bucharest“, „Mestizo Music“, „Globalista“, „Borsh Division“, „Beyond Istanbul“, Straßenmusik aus Vietnam, Tango aus Finnland, Soundsystems aus Kolumbien, „Revolution Disco“ aus aller Welt.
Den alten Straßenmusikern hat Martin Büsser seine Anti-Folk-Compilation gegenübergestellt, aus den frühen US-Protestsongs wurde ein riesiges US-Archiv, das Echo des sogenannten Linksradikalen Blasorchesters hört man in den ebenfalls mobilen Combos Express Brass Band und Banda Internationale. Die drei Alben der liberianischen Souljazzband Kapingbdi haben damals kaum eine Sau interessiert, bei den Sammlungen „Young Urban South Africa“ oder „Beyond Addis“ waren’s schon ein paar mehr. Um nur einige Beispiele zu nennen, womit sich die neue bayerische Grenzpolizei einige Jahre wenigstens irgendwie sinnvoll beschäftigen ließe.
Rot-grün-68er-versifftes Label
Es ist fast absurd, das Label als Münchner Label zu betrachten, was auch Dietmar Dath zu der wahnwitzigen Behauptung verführte, die Trikont-Geschichte würde zeigen, „wenigstens in Bayern ist Deutschland nicht provinziell“. Vollkommen absurd ist allerdings, dass sich kein anderes Label, Heimatmuseum, Trachtenverein oder CSU-Kulturkommando dermaßen mit Münchner und Bayerischer Musikgeschichte beschäftigt hat wie dieses total rot-grün-68er-versiffte Label – natürlich wie immer rein aus kommerziellen Gründen.
Im Mittelpunkt die riesige „Stimmen Bayerns“-Serie, herausgegeben von Bergmann, Mair-Holmes und Andreas Koll, angebahnt mit der Serie „Rare Schellacks“, flankiert von Bally Prell bis Kraudn Sepp und Karl Valentin sowieso, komplettiert mit den Rock-’n’-Rollern von Tommi Busse, Sparifankal, Well-Buam oder Sigurd Kämpft und den einzigartigen Embryo bis in die Gegenwart von Coconami bis Koflgschroa, deren Herr Mücke sagt,
„Mir san Weltbürger, mir san Kosmopoliten“, wie die Herausgeber, deren Sammlungen weltweit gefeiert wurden, allen voran Jonathan Fischer mit seinem Black-Music-Arsenal, Hias Schaschko, der auch viele Cover gestaltet hat, Christos Davidopoulos, Thomas Meinecke, Jay Rutledge oder JJ Whitefield – that’s my Munich, brothers and sisters! Was wäre die Stadt ohne jahrzehntelange Trikont-Besetzung, es ist ja so schon schlimm genug.
Eva Mair-Holmes meinte, ich solle ruhig sagen, dass die Zusammenarbeit mit ihr immer ganz schwierig gewesen sei. Bei unserer ersten Compilation war’s schon so schwierig, dass wir die anderen vier fast nicht geschafft hätten. Über andere Schwierigkeiten redet kaum jemand, und es sagt viel über sie, dass sie auch da nicht kuscht.
„Die Form von Promotion, die es gab, als ich angefangen habe, gibt es gar nicht mehr“, erzählt sie im Buch. „Es gibt ganz wenige Zeitungen und Zeitschriften, die Hemmungen haben zu fragen: ‚Wie viel Anzeigenwünsche habt ihr? Und dann reden wir über die Artikel.‘ So läuft das jetzt, Geschäft kommt vor Inhalt. Und das, worauf wir immer gebaut haben, dass unsere Sachen mehr hergeben als ‚klingt gut‘, das ist dann nicht mehr von Interesse.“
Durchhalten allein ist keine Qualität – aber mit dieser Haltung und mit diesem Programm in einem bizarren und auch schwieriger werdenden Musikgeschäft so lange zu überleben und weiterzumachen, das ist herausragend.
Die Begeisterung von Eva Mair-Holmes hätte nicht größer sein können, als sie mir was aus dem kommenden Album von Trikont-Ikone Hans Söllner vorsang: „Du scheiß Rassist, schau, dass di schleichst. Des is mei Heimat und ned dei Reich!“ – und dann hinzufügte: „Genau so ist es doch.“
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