Ehemalige NS-Lehranstalt in Haselünne: Abriss statt Erinnerung
Im Emsland sind die meisten Zeugnisse der NS-Herrschaft beseitigt worden. Jetzt soll ein Gebäude weichen, das Teil des Napola-Netzwerks war.
Es geht um den Altbau des Kreisgymnasiums St. Ursula in Haselünne. Anfang Oktober 2020 hat der Kreisausschuss des Landkreises Emsland seinen Abriss beschlossen, nichtöffentlich. „Gebäude A“ soll weg, Kosten 350.000 Euro. Ein Antrag auf Aufhebung dieses Beschlusses, eingebracht von der SPD-Kreistagsfraktion für die Kreistagssitzung am Montag, wurde von Landrat Marc-André Burgdorf (CDU) abgewehrt: Es seien „keine triftigen Argumente hinzugekommen“. Die Abrissarbeiten sind ausgeschrieben.
„Mich wundert, ehrlich gesagt, dass das Ding überhaupt noch steht“, sagt Carsten Primke, Vize-Fraktionschef der Kreistags-SPD. „Das wurde ja alles im Hauruckverfahren durchgeprügelt. Fatal. Gerade in Zeiten wiedererstarkenden rechten Gedankenguts sind solche Orte wichtiger denn je.“
Rosche sieht das genauso. „Was hier geschieht, tut richtig weh“, sagt er. „Ich kenne viele, denen das den Schlaf raubt.“ Rosche engagiert sich sowohl im Heimatverein Haselünne als auch in der Initiative zum Erhalt des Schulaltbaus am Kreisgymnasium St. Ursula. Beide kämpfen für den Erhalt des geschichtsträchtigen, allerdings nicht denkmalgeschützten Gebäudes.
Carsten Primke, SPD
Von 1941 bis 1945 war die einstige Ursulinen-Klosterschule Teil des Napola-Netzwerks, also eine „Nationalpolitische Lehranstalt“ für uniformierte, paramilitärische „Jungmannen“, die zur Elite des „Führernachwuchses“ des NS-Regimes erzogen werden sollten. Sollte Gebäude A abgerissen werden, würde mit ihm eines der letzten baulichen Zeugnisse der NS-Herrschaftsinfrastruktur im Emsland beseitigt.
„Mit Ignoranz allein ist das nicht zu erklären“, sagt Rosche. „Das Gebäude verweist ja nicht nur auf Jahrhunderte der Klostergeschichte, prägt das Ortsbild und ist der historische Kern der Schule. Das hat doch Mahnmalcharakter.“ Baufällig ist der monumentale Viergeschosser von 1910 nicht. Er soll nur weg. Ersatzlos. Für einen „campusähnlichen Schulhof“. Mitte Juli 1941 vertrieb ein Gestapo-Kommando die Nonnen aus ihrer Schule, 80 Jahre danach könnte der Ort eingeebnet sein.
Andreas Lembeck, ehemaliges Vorstandsmitglied des Aktionskomitees Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager, sieht darin ein „destruktives Geschichtsverständnis“, zumal von den 15 NS-Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlagern des Emslands baulich nicht viel geblieben ist.
Landrat Burgdorf gibt sich dagegen formalistisch: Das Gebäude werde „nicht mehr für den Schulbetrieb benötigt“. Durch seine Lage inmitten des Schulgeländes behindere es „die weitere Entwicklung der Schule“. Schulleitung und Schulvorstand, damit auch Lehrer-, Eltern- und Schülervertreter, hätten sich „ausdrücklich für einen Abriss ausgesprochen“.
Man mache „die Erinnerungskultur nicht am Gebäude fest“, sagt Burgdorf. Im Lehrplan der Schule werde die Geschichte des Gymnasiums behandelt. Die am Altbau befestigte Erinnerungstafel an die Napola werde „an einer geeigneten Stelle auf dem Schulgelände platziert“. Außerdem gebe es ja die Gedenkstätte Esterwegen. Der Landkreis habe „damit einen Gedenkort geschaffen, der vom Selbstverständnis her ‚Lernort‘ für alle“ sei.
Die Schule, in Trägerschaft des Landkreises, behauptet auf ihrer Website zwar, hier habe „Geschichte eine große Bedeutung“, hier entstehe „Geschichtswissen durch lokale Spurensuche“. Aber das schließt das eigene Schulgebäude offenbar nicht ein. Schulleiter Norbert Schlee-Schüler, von der taz um Kommentierung gebeten, schweigt und verweist auf den Landkreis.
Nutzungskonzepte für das Gebäude, das, so Lembeck, „fast noch original erhalten ist wie in Napola-Tagen“, gibt es viele. „Das ist doch eine Riesenchance“, bestätigt Rosche. “Artists in residence“ waren im Gespräch, im Zeichensaal im Dachgeschoss, in dem schon Horst Janssen zeichnen lernte, in seiner Napola-Zeit. Ein kommunales Jugendzentrum war im Gespräch, ein Dokumentations- und Informationszentrum „Schule im Nationalsozialismus“, ein Heimatarchiv. Es half alles nichts.
Aber noch gibt es Hoffnung. Die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten aus Celle, „leider erst kurz vor Abriss ins Boot geholt“, so Jens Binner, Leitung Kommunikation, hat beim Kultusministerium ein Moratorium angeregt, „eine Prüfung, ob im Entscheidungsprozess die Napola-Thematik ausreichend berücksichtigt wurde“. Ein solches Gebäude könne „ein hervorragender Ausgangspunkt für Bildungsarbeit zur NS-Zeit sein“. Je weniger Zeitzeugen es gebe, desto wichtiger seien Original-Orte, so Binner, „mit all ihrer Aura“. Ginge es nach Burgdorf, bliebe nichts von ihr.
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