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■  Egal ob in Regierung oder Opposition, Jörg Haider ist nun so stark, dass er die Politik in Wien mitbestimmt. Zu verdanken hat Haider dies den Arbeitern, die nicht länger SPÖ, sondern FPÖ wählten. Das linke Profil stärken, heißt daher jetzt die Parole der SozialdemokratenDas Proletariat wählt rechtsextrem

Die Stimmung im Bierhof Napoleon, wo sich die FPÖ für ihre Jubelfeier eingemietet hatte, war am Sonntagabend keineswegs ausgelassen. Mehr hätte er schon erwartet, verkündete ein übergewichtiger Bewohner des proletarischen Wiener Stadtteils Kagran, der auf den Auftritt von Parteichef und Wahlsieger Jörg Haider wartete. Ein reichlich beschwipster, in die Parteifarbe Blau gekleideter Gesinnungsgenosse hatte gar gehofft, man werde die SPÖ überholen. Haider jedoch war nie so unvorsichtig gewesen, die von einigen Beratern erwarteten 30 Prozent als Wahlziel zu deklarieren. Er wollte das Resultat von 1995 (21,9 Prozent) verbessern. Dies ist ihm auch gelungen: 27,2 Prozent bedeuten einen Zugewinn von 12 Mandaten im 183 Sitze großen Nationalrat. Ob die FPÖ die christdemokratische ÖVP tatsächlich als zweite Partei abgelöst hat, wird sich erst nach Auszählung der rund 200.000 Wahlkarten zeigen. In jedem Fall aber zeigt die Katastrophenstimmung bei der SPÖ, dass es Haider gelungen ist, die bisherige Koalition in ihren Grundfesten zu erschüttern.

Kanzler Klima jedoch denkt nicht an Rücktritt. In der Niederlage Einigkeit demonstrieren, lautet die Parole. Das Ergebnis, das verheerendste in der SPÖ-Geschichte der Zweiten Republik, werde man als „ernsthafte Mahnung“ verstehen und entsprechende Konsequenzen ziehen. So sieht Wissenschaftsminister Caspar Einem, einer der letzten Hoffnungsträger der Linken, das Hauptproblem in der inhaltlichen Annäherung an die FPÖ und fordert: „Wir müssen unser linkes Profil schärfen.“ Dieser Meinung ist auch Ex-Außenminister Peter Jankowitsch: „In der Mitte ist Gedränge, und links von der SPÖ ist Platz.“

Für den Politologen Anton Pelinka ist das Wahlergebnis nicht durch ökonomische Faktoren zu erklären. Den Österreichern gehe es gut. Vielmehr sei gegen die Parole „30 Jahre SPÖ-Regierung sind genug“ nicht viel einzuwenden. So haftet der SPÖ mehr noch als ihrem Juniorpartner ÖVP das Image einer verkrusteten Organisation an. Wähleranalysen zeigen, dass die SPÖ nicht nur fast 200.000 Stimmen an die FPÖ abgeben musste, sondern weitere 80.000 an das wachsende Heer der Nichtwähler verloren hat. Nur 76 Prozent der Wahlberechtigten machten von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Was den Sozialdemokraten besonders zu denken geben muss, ist der Schwund ihrer Anhängerschaft unter Arbeitern und Angestellten. Bei beiden Berufsgruppen hat die FPÖ die Nase vorn. Politologe Fritz Plasser: „Seit gestern ist die FPÖ die neue Arbeiterpartei.“ Nur bei Beamten und Rentnern konnten die Roten ihre Spitzenposition verteidigen. Schwierigkeiten hat Haider bei den Wählern mit höherem Bildungsniveau. Die stimmen für die ÖVP, für die Grünen oder das Liberale Forum.

Als heimlicher Wahlsieger fühlt sich die ÖVP. Parteichef Wolfgang Schüssel hat hoch gepokert und gewonnen. Zwar müssen auch die Christdemokraten das schlechteste Ergebnis seit dem Krieg verkraften, doch hielten sich die Verluste in Grenzen. 26,9 Prozent ist deutlich besser als die in manchen Umfragen prgnostizierten 23 Prozent. So kann auch eine Niederlage ein Sieg sein. Die Analytiker sind sich einig, dass Schüssel, alarmiert durch die Umfragen, ein furioses Wahlkampffinale hingelegt hat. In der Fernsehdebatte mit dem FPÖ-Spitzenkandidaten Thomas Prinzhorn konnte er einige blaue Propagandahülsen platzen lassen. Auch seine Drohung, beim Verlust des zweiten Platzes in die Opposition zu gehen, hat die Wähler alarmiert. So musste die ÖVP nur etwa 90.000 Stimmen an Haider abgeben. Der Wiener Parteiobmann Bernhard Görg sieht im unerwartet guten Ergebnis „keinen Oppositionsauftrag“.

Schüssel verfügt jetzt über mehrere Optionen. Anders als Klima hat er sich nicht in einer Anti-FPÖ-Position eingemauert. Sollte sich Haiders Partei ändern, so der Vizekanzler, könne man auch mit ihr verhandeln. Parteiintern soll Schüssel schon letzte Woche erklärt haben, er würde die Sozialdemokraten durch besonders harte Forderungen zu inhaltlichen Konzessionen bewegen. Ganz oben auf seiner Liste stehen naturgemäß jene Pläne, die er während der vergangenen Regierungsperiode nicht durchsetzen konnte, nämlich die Hinwendung zur Nato via „Einbindung in ein europäisches Sicherheitssystem“, das Kindergeld für alle und die Reform der Krankenversicherung. Dass sich diese Forderungen mit dem erwareten Linksruckder SPÖ vereinbaren lassen, ist unwahrscheinlich. Die in den letzten Monaten in aller Öffentlichkeit ausgetragene Krise der Koalition dürfte für den Fall, dass alles beim Alten bleibt, ihre Fortsetzung finden. Haider muß als lachender Dritter also nur warten, bis es zum Krach kommt, um noch vor den nächsten Wahlen in die Regierung einzuziehen.

Ralf Leonhard, Wien

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