Echo-Verleihung: Preis, der es jedem recht machen will
Die Show in Berlin ist eine grauenhafte nationale Angelegenheit. Politische Statements sucht man vergebens. Fast.
Helene Fischer hat seit Donnerstag mehr Echo-Auszeichnungen zu Hause als Omi Schallplatten. Allein vier der Musikbranchenpreise bekam die 31-jährige Schlagersängerin dieses Jahr in Berlin in ihre gebräunten Arme gelegt. Im Ganzen stapelt sie jetzt 16 davon.
Was bedeutet das? Und vor allem, was bedeutet es, dass die Südtiroler Band Frei.Wild unter vereinzelten Buhrufen den Preis für „Rock/Alternative national“ verliehen bekam? Eine Band, deren Logo ein Hirschgeweih ziert, deren Frontmann einst bei der Rechtsrockband Kaiserjäger sang, deren Texte schon mal als „ultranationalistisch“ eingeschätzt wurden und die 2013 nach Protesten anderer Musiker von der Echo-Nominierungsliste gestrichen wurde? Nun, vielleicht gerade darum. Denn im August 2015 hatte sich Frei.Wild überraschend offensiv von rechtsradikalen Flüchtlingsfeinden abgegrenzt, diese unzweideutig als „asoziale Arschlöcher ohne Verstand“ bezeichnet.
Doch was heißt es, wenn bei der live im TV übertragenen Veranstaltung, für die die ARD das gesamte Hauptabendprogramm frei räumt und deren epische Länge Moderatorin Barbara Schönebeger vorher mit den Worten anmoderiert: „Keine fünf Stunden später sind wir schon betrunken“, ansonsten kaum jemand etwas Politisches fallen ließ? Gut, der Sänger von Bosse, einer der vielen Liveacts, zeigte „Nazischweinen“ mal kurz den Stinkefinger. Und Joris, Gewinner von „Newcomer“- und „Kritiker“-Echo, murmelte etwas zu Paris ins Mikro, dass man sich nicht Freiheit und Freude am Leben nehmen lassen wolle. Dagegen ist der Oscar geradezu Agitprop!
Oder bedeutet das alles gar nichts? Seit 25 Jahren zeichnen die glänzenden Staubfänger der Deutsche Phono-Akademie KünstlerInnen in über 30 Kategorien aus. Der dubiose Mix der Nominierten, die geheime Jury und ihr intransparentes Evaluieren der Chartplatzierungen bleibt aber undurchschaubar. Kaum einzuordnen, für was es steht. Helene Fischer wurde nicht müde, sich bei „meinen tollen Fans“ zu bedanken, nur haben diese sie nicht für die Echos ausgewählt. Echos fallen anscheinend einfach so vom Himmel.
Galantes „Geilomat, ey“
Eine musikalische Relevanz herauszugenerieren ist allein angesichts der undefinierbaren Masse der Kategorien verzwickt. Was soll man von Textzeilen halten wie: „Bei dir kann ich verträumt und verrückt sein/nananananana“ (Namika, nominiert für „Künstlerin Rock/Pop national“)? Oder: „Immer wenn es Zeit ist zu gehen/verpass ich den Moment und bleibe stehn“ (Joris)? „Es ist viel schöner als im Traum/mit dir kann ich nach vorn schaun“ (Wolkenfrei, „Schlager“-Gewinnerin)? „Ich seh dich/mit all deinen Farben und deinen Narben/hinter den Mauern/ja ich seh dich“ (Sarah Connor, Gewinnerin „Rock/Pop national“)? Oder von einer sonoren Sprecherstimme, die im Beitrag über David Bowie ausgelutschte Sätze wie „Er war ein Ausnahmekünstler“ unterbringt?
Immerhin – bedingt durch die Länge der Veranstaltung – mehrten sich kleine Höhepunkte: Iron Maidens sympathischer Bruce Dickinson in einem Einspielfilm aus der Pilotenkanzel der „Ed Force One“. Der unkorrumpierbare Udo Lindenberg, der seinen „Bestes Video national“-Gewinn galant mit „Geilomat, ey“ kommentierte – und beim Playback vor lauter Kabelschwung vergisst, das Mikro wieder rechtzeitig vor dem Mund zu halten. Conchita Wursts todschicker Abendpyjama. Und Laudator Sido, der unbeeindruckt von dem Bohei rausposaunt, dass er hinter der Bühne die Aufschriften auf den Echos gelesen habe und somit alle Preisträger hier ganz schnell weitersagen könnte.
Vielleicht hilft bei der Sinnfindung dieses Preises, der es jedem recht machen will und die Nähe zwischen Musik, Gesellschaft und Politik gleichzeitig behauptet und negiert, eine zufällige Begegnung: „Na, was führt Sie hierher?“, fragt Schöneberger beim Flanieren durch die Berliner Messehallen irgendeinen Zuschauer aus den vorderen Reihen. „Ich bin ein Freund von Dieter Gorny“ (dem Vorsitzenden des Phono-Akademie-Vorstands), antwortet der.
Es ist zum Mäusemelken. Denn wahrscheinlich reicht das.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken