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EU vor HerbstgipfelEuropa ist eine lahme Ente

In Brüssel wird viel über neuen Schwung geredet, aber es herrscht Stillstand. Das liegt am Wahlergebnis in Deutschland und Österreich.

Die Brexit-Verhandlungen kommen nicht voran: die britische Regierungschefin Theresa May Foto: reuters

Brüssel taz | Gerade einmal vier Wochen ist es her, da erklärte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die europäische Dauerkrise für beendet. „Europa hat wieder Wind in den Segeln“, verkündete Juncker Mitte September vor dem Europaparlament in Straßburg. Nach den Zitter-Wahlen in den Niederlanden und Frankreich könne man sich endlich überfälligen Reformen widmen und das Boot wieder flottmachen.

Doch kurz vor dem EU-Herbstgipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel gibt es Gegenwind – aus mehreren Richtungen. Am heftigsten bläst er aus Großbritannien, mit dem die Verhandlungen über den Austritt (Brexit) in einer Sackgasse gelandet sind.

Aber auch die Ergebnisse der Wahlen in Deutschland und in Österreich bereiten den EU-Granden Sorgen. Sie könnten die Reformagenda stören, die EU-Ratspräsident Donald Tusk mit den Staats- und Regierungschefs diskutieren will.

Solange Deutschland keine neue Regierung hat, seien keine Fortschritte, etwa beim Euro, denkbar, heißt es in Brüssel. Und wenn es in Österreich zu einer Koalition zwischen ÖVP-Konservativen und FPÖ-Rechtspopulisten kommen sollte, könnte dies zu neuen Blockaden in der Flüchtlingspolitik führen.

Visegrad-Staaten mauern

Eigentlich war geplant, die Migrationspolitik neu zu ordnen. Nach dem Ende des 2015 hastig beschlossenen Umverteilungsprogramms mit seinen – gescheiterten – Flüchtlingsquoten wollte die EU ein neues, dauerhaftes System einrichten. Doch daraus wird wohl vorerst nichts. Die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei stellen sich quer.

Die Lage ist so ernst, dass Juncker die Visegrad-Gruppe am Mittwochabend zu einer Art Vorgipfel empfängt. Bereits am Montagabend hatte der Kommissionschef ein „Arbeitsessen“ mit der britischen Premierministerin Theresa May. Auch das war ein Krisentreffen.

Solange Deutschland keine neue Regierung hat, sind keine Fortschritte denkbar

Denn die Brexit-Gespräche sind festgefahren. Liefe alles nach Plan, würde der EU-Gipfel den Übergang zur zweiten Verhandlungsphase beschließen: Gespräche über ein Freihandelsabkommen. May will auch eine zweijährige Übergangsphase für die Zeit nach dem Brexit Ende März 2019, um der britischen Wirtschaft den Abschied vom europäischen Binnenmarkt zu erleichtern.

Doch aus Sicht der EU wurden nicht genügend Fortschritte in der ersten, noch laufenden Phase erzielt. Keines der drei von der EU gesetzten Kernthemen – die künftigen Rechte der EU-Bürger in Großbritannien, die künftigen Grenzregelungen zwischen der Republik Irland und Nordirland sowie die Brexit-Schlussrechnung – wurde erledigt.

Entschädigung für den Brexit

Vor allem bei der Schlussrechnung – die EU fordert, ohne das offiziell zu sagen, bis zu 100 Milliarden Euro von den Briten als Entschädigung für den Brexit – geht es nicht voran; London bestreitet die rechtliche Grundlage der EU-Forderungen und May hat bisher lediglich angeboten, während der anvisierten Übergangszeit weiter in den EU-Haushalt einzuzahlen.

Die EU will ihre Agenda nun umstoßen und erst beim nächsten Gipfeltreffen im Dezember zur zweiten Brexit-Verhandlungsphase übergehen. Es gebe seitens der Briten noch keine „feste und konkrete Zusicherung“, ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen, heißt es in einem am Dienstag bekannt gewordenen Entwurf für die Gipfel-Erklärung.

May hofft zwar immer noch, die EU umstimmen zu können. Hinter den Kulissen ließ sie Juncker wissen, dass sie aus innenpolitischen Gründen keine weiteren Konzessionen machen könne. Doch vor allem Deutschland und Frankreich beharren auf einer harten Linie: Erst Geld, nur danach Gespräche über die zukünftigen Beziehungen.

Diese Woche dürfte es daher keinen Fortschritt geben; die britische Presse wittert schon ein deutsch-französisches Komplott, damit es am Ende gar keine Einigkeit gibt und einen „harten Brexit“, also einen Austritt ohne Vereinbarung.

Vorbehalte gegen Macrons Pläne

Derweil wachsen in Paris die Sorgen vor einer deutschen Blockade bei der Euro-Reform. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron fordert einen Euro-Finanzminister mit eigenem Budget sowie eine Abkehr von der Austeritätspolitik, die Noch-Finanzminister Wolfgang Schäuble der Eurozone verordnet hatte. Doch in Berlin stößt er damit auf wachsenden Widerstand.

Während Kanzlerin Angela Merkel schweigt, hat FDP-Chef Christian Lindner gerade wieder neue Vorbehalte gegen Macrons Pläne angemeldet. Merkel dürfe sich auf keinen Fall europapolitisch festlegen, bevor eine neue Regierung in Berlin steht, fordert Lindner.

Doch die Verhandlungen über „Jamaika“ haben noch nicht einmal richtig begonnen. Wenn sie bis Weihnachten oder sogar bis Januar dauern sollten, wäre Brüssel bis dahin de facto lahmgelegt. Deutschland ist aus EU-Sicht kein Motor mehr, sondern eine lahme Ente.

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6 Kommentare

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  • "Keines der drei von der EU gesetzten Kernthemen – die künftigen Rechte der EU-Bürger in Großbritannien, die künftigen Grenzregelungen zwischen der Republik Irland und Nordirland sowie die Brexit-Schlussrechnung – wurde erledigt."

     

    Die Briten mögen sich ja nicht immer schlau verhalten, aber so dumm, erst einmal alle Trümpfe aus der Hand zu geben und sich dann ein Freihandelsabkommen diktieren zu lassen, sind sie nun auch wieder nicht. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis man das in Brüssel, Berlin und Paris begreift.

     

    "Deutschland ist aus EU-Sicht kein Motor mehr, sondern eine lahme Ente."

     

    Merkels Deutschland war nie ein Motor. Es hat immer nur im letzten Moment reagiert. Alles andere würde Merkels Wesen widersprechen.

    • 8G
      83492 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      "Die Briten mögen sich ja nicht immer schlau verhalten, aber so dumm, erst einmal alle Trümpfe aus der Hand zu geben und sich dann ein Freihandelsabkommen diktieren zu lassen, sind sie nun auch wieder nicht. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis man das in Brüssel, Berlin und Paris begreift."

       

      Das hat man in Brüssel, Berlin und Paris schon vor Beginn der Verhandlungen begriffen und sich deshalb auf die Verhandlungslinie geeinigt, dass es keine Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen geben kann, solange zu den o.g. drei Fragen kein "ausreichender" Fortschritt erzielt wurde.

       

      Die britische Strategie ist eher das https://de.wikipedia.org/wiki/Feiglingsspiel

       

      Die interessante Frage ist: wer hat bei einem Crash mehr zu verlieren: die EU oder das Vereinigte Königreich?

      • @83492 (Profil gelöscht):

        " wer hat bei einem Crash mehr zu verlieren: die EU oder das Vereinigte Königreich?"

         

        Verlieren werden beide. Es wäre es besser, beide Seiten verhielten sich erwachsen und verhandelten vernünftig.

         

        Die Idee, die Briten zu bestrafen, ist zwar verlockend, aber wenig aussichtsreich. Die Briten sind ein stures Volk und werden sich eher ganz von der EU abwenden, als einen Kniefall zu machen.

         

        Ausbaden müssen den Kindergarten die EU-Bürger in GB und die Beschäftigten der Firmen, die vom Handel mit GB leben.

  • Zeit für mehr alternatives Europa von unten und weniger deutsche Dominanz.

    Schuldenstreichung jetzt!

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @nzuli sana:

      Ich weis von der Deutschen Warte ist das schwer vorstellbar aber Deutschland steht für die Hälfte der Länder Europas in der Wirtschaftspolitik und den Großteil der Wirtschaftskraft, Finnland, Österreich, die baltischen Staaten, etc.

      Das Beste wäre es einen Teil der Schulden zu streichen und den Euro zu spalten in Süd und Nord.

    • @nzuli sana:

      Klingt interessant. Haben Sie konkrete Vorschläge?