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EU untersucht fragwürdige PersonalieNiemand will Juncker widersprechen

Das EU-Parlament befasst sich am Montag mit dem Fall „Selmayr“. Die überraschende Berufung des Juristen zum Generalsekretär wirft einige Fragen auf.

Am Montag will sich das Europaparlament mit dem Fall befassen. Foto: reuters

Brüssel taz | Bis vor Kurzem war Martin Selmayr nur Insidern in Brüssel bekannt. Als Kabinettschef von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zog der CDU-nahe deutsche Jurist im Hintergrund die Fäden.

Doch seit seiner überraschenden Beförderung zum Generalsekretär der EU-Behörde sorgt Selmayr für Schlagzeilen. Am Montag will sich sogar das Europaparlament mit dem „Fall Selmayr“ befassen.

Es gehe um „Transparenz, Integrität und Rechenschaftspflicht“, heißt es in einer Pressemitteilung des Parlaments. Von einem „Staatsstreich“ spricht die französische Tageszeitung Libération. Der belgische Europaabgeordnete Bart Staes (Grüne) denunziert eine „Machtergreifung, die einen an Diktaturregime denken lässt“. Die EU-Kommission sei außer Kontrolle geraten.

Was ist passiert? Das wollen die Europaabgeordneten mit einer Plenardebatte und einer Untersuchung im Haushaltskontrollausschuss aufklären. Der auch für Personalpolitik zuständige deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) soll Rede und Antwort stehen. Denn Juncker und seine Pressesprecher waren bisher nicht in der Lage, die Hintergründe im „Selmayrgate“ (Libé) aufzuklären.

Martin Selmayr Foto: dpa

Dabei hatte die Angelegenheit im grellen Rampenlicht begonnen. Juncker verkündete den kometenhaften Aufstieg seines Kabinettschefs höchstpersönlich im Pressesaal der EU-Kommission. Man habe schnell handeln müssen, da der bisherige Generalsekretär Alexander Italianer zurückgetreten sei, begründete er seine Entscheidung. Juncker habe „das Recht, seinen Generalsekretär auszuwählen“, sekundierte Oettinger.

Auch das Verhalten Oettingers sei fragwürdig

Doch warum ging alles so schnell? Wieso wurden die EU-Kommissare nicht vorab informiert – selbst Oettinger will nichts gewusst haben? Wieso wurde Selmayr erst zum Vize-Generalsekretär befördert und Minuten später zum General? Warum zog sich die einzige Gegenkandidatin zurück, und warum wurde sie zu Junckers neuer Kabinettschefin ernannt?

„Das Verfahren rückt die gesamte Kommission in ein schlechtes Licht“, kritisiert der deutsche Grünen-Abgeordnete Sven Giegold. „Keiner wagt es, Juncker zu widersprechen.“ Auch das Verhalten Oettingers sei fragwürdig. Daher sei es richtig, dass er sich nun vor dem Parlament verantworten muss.

Personelle Konsequenzen will Giegold allerdings nicht fordern. Man müsse erst die Ergebnisse der Untersuchung abwarten, sagte er der taz. Stattdessen wollen die Grünen mit einem Fünfpunkteplan für mehr Transparenz werben. Die französischen Sozialisten gehen weiter: Sie fordern, dass Juncker persönlich vor dem Parlament erscheinen soll. Ansonsten werde „das Misstrauen der Bürger gegenüber unseren Institutionen“ noch mehr steigen.

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12 Kommentare

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  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Wo ist der Aufstand der "Anständigen"?

    Sieht nichts, hört nichts, spricht nichts.

    Das läßt nur den Schluss zu, dass sie genauso korrupt und verlogen sind, wie ihre Amtskollegen.

    Nur nicht die eigene Karriere riskieren und das sehr angenehme Leben und Nehmen in Brüssel.

    • @98589 (Profil gelöscht):

      Im Artikel steht doch, dass die Europaabgeordneten sich mit dem Fall befassen und Oettinger ins Parlament zitieren, um ihn zu befragen. Das ist doch der von Ihnen geforderte "Aufstand der Anständigen".

       

      Die Macht des EU-Parlaments gegenüber der EU-Komission um Junker (die hier doch kritisiert wird und ein ganz anderes Organ ist), ist jedoch leider eingeschränkt. Deswegen muss aber nicht gleich wieder die alte "Alle Politiker sind korrupt"- und Anti-EU-Keule rausgeholt werden. Es gibt offenbar einige EU-Parlamentarier wie die genannten Staes und Giegold und die französischen Sozialisten, die ihre Arbeit machen - so gut sie es mit ihren eingeschränkten Möglichkeiten eben können. Wäre das EU-Parlament ein "echtes" Regierungsparlament mit entsprechend mehr Macht und Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Komission (wie der Bundestag gegenüber der Bundesregierung) wäre das natürlich besser für die Demokratie.

      • 9G
        98589 (Profil gelöscht)
        @Andreas V.:

        Das verstehe ich nicht unter Aufstand, überhaupt nicht!

        Das ist ein Ansatz:

        ""Der belgische Europaabgeordnete Bart Staes (Grüne) denunziert eine „Machtergreifung, die einen an Diktaturregime denken lässt“. Die EU-Kommission sei außer Kontrolle geraten."

        Dieser Satz, öffentlich geäußert, verdient meinen Respekt.

    • @98589 (Profil gelöscht):

      Auch wenn es sich abgedroschen anhört. Das Leben als Abgeordnete® im EU Parlament ist wirklich sehr angenehm. Nicht umsonst werden oft altgediente Parteigänger nach Brüssel in den wohl verdienten "Ruhestand" entsorgt bzw. mit Brüssel belohnt.

      • 9G
        98589 (Profil gelöscht)
        @Rolf B.:

        Eben!

  • "Der belgische Europaabgeordnete Bart Staes (Grüne) denunziert eine „Machtergreifung, die einen an Diktaturregime denken lässt“. Die EU-Kommission sei außer Kontrolle geraten."

     

    Die Kommission ist schon lange außer Kontrolle geraten. Juncker handelt stets wie ein Hütchenspieler. Und dass Sven Giegold keine personellen Konsequenzen fordert, wundert mich absolut nicht.

  • Was erwarten wir, wenn wir Leuten wie Juncker und Oettinger das Feld in der EU überlassen? Diese Menschen kennen sich mit Korruption, Hinterzimmerdeals und halbseidenen Absprachen aus - aber nicht mit transparenten demokratischen Verfahren. Wer den Bock zum Gärtner macht, sollte sich über das Ergebnis nicht beschweren.

    • 9G
      98589 (Profil gelöscht)
      @Velofisch:

      Wer hat denn den Bock zum Gärtner gemacht?

      Ich war es nicht. Eher der Recycelbetrieb der Parteien.

      Das dumme Volk soll trotzdem an Europa glauben und alles dafür tun, dass dieser Zustand erhalten bleibt?

  • Juncker hat schon vor Jahren kolportiert, dass man im EU Parlament stets so lange wählen lasse bis das gewünschte Ergebnis irgendwann erreicht werde. Er habe ja genug Zeit.

    EU Verdrossenheit und Separationsgedanken aller Orten, die EU hat ein ganz großes Problem und es heisst Jean-Claude Juncker.

    • @Weidle Stefan:

      Das Problem der EU ist, dass sie mehr Macht will.

      Das will aber - Gott sei Dank - die Mehrheit der Europäer nicht.

       

      Ob nun Juncker oder irgendein anderer - Politik gegen die Bevölkerung geht nicht.

  • 6G
    64662 (Profil gelöscht)

    "Man soll nur von Europa sprechen, denn die deutsche Führung ergibt sich ganz von selbst."

     

    Verflixt, die 27 weniger wichtigen Staaten werden doch hoffentlich nicht langsam misstrauisch?

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Genau dieses Verhalten ist der Grund für die aufkeimende Nationalstaatlichkeit und Politikerverdruss und auch für das rechte Gesindel.