: EU als Kulisse für spanisches Muskelspiel
Pünktlich zum EU-Gipfel am 20. Juni in Sevilla blasen Spaniens Gewerkschaften zum Generalstreik gegen die Regierung
MADRID taz ■ Ausgerechnet für den Vortag des EU-Gipfels in Sevilla haben Spaniens Gewerkschaften zum Generalstreik aufgerufen. Am 20. Juni sollen überall im Lande alle Räder stillstehen. Der Grund für die Kraftprobe der Arbeitervertreter mit der konservativen Regierung von José María Aznar ist eine neue Arbeitslosengesetzgebung.
Ohne Debatte mit den Gewerkschaften und ohne Abstimmung im Parlament wurde das Gesetzeswerk Ende Mai per Dekret in Kraft gesetzt. Die Gewerkschaften sehen darin „einen Bruch des sozialen Dialogs“, die Regierung spricht von einer „technischen Anpassung“. Das neue Gesetz weicht die Zumutbarkeitsregelung auf. Künftig gilt jede Beschäftigung, die ein Arbeiter irgendwann einmal mehr als sechs Monate ausgeübt hat, als Beruf und damit als zumutbar. Ein Akademiker, der nach dem Studium eine Zeit lang Taxifahrer war, läuft damit Gefahr, keine Arbeit auf seinem Gebiet mehr angeboten zu bekommen. Außerdem gilt künftig ein Arbeitsweg von bis zu zwei Stunden als zumutbar. Die Ausgaben für den Transport dürfen bis zu 20 Prozent des Einkommens ausmachen. Wer eine angebotene Arbeit ablehnt, wird für einen Monat gesperrt. Bei einem weiteren Verstoß sind es drei Monate, beim dritten Mal ein halbes Jahr. Beim vierten Mal wird der Arbeitslose aus der Kartei gestrichen.
Am härtesten trifft das neue Gesetz die Saisonarbeiter. Wer bisher zum Beispiel im Hotelgewerbe arbeitete und über den Winter regelmäßig vier Monate nach Hause geschickt wurde, erhielt in dieser Zeit Arbeitslosengeld – das gilt jetzt nicht mehr. Zudem lockert das neue Gesetz den Kündigungsschutz. Musste ein Unternehmer, der einen festangestellten Mitarbeiter entließ, bisher im Falle eines Gerichtsverfahrens den Lohn bis zum Urteil weiterzahlen, so entfällt dies jetzt. Und wer künftig in den Vorruhestand geht und eine Abfindung von mehr als 4.600 Euro kassiert, muss auf Arbeitslosengeld verzichten.
Der geplante Ausstand sei ein politischer Streik, findet die Regierung. Die beiden großen Gewerkschaften, die sozialistische UGT und die kommunistische CCOO, verneinen dies: „Die Regierung war sich darüber im Klaren, dass diese Reform nicht verhandlungsfähig war und dadurch ein Generalstreik heraufbeschworen wurde.“ Warum die Mitglieder nicht zuerst zu Demonstrationen mobilisiert wurden, anstatt sie gleich zum Generalstreik aufzurufen, darüber schweigen sich die Gewerkschaftsführungen aus. Nur hinter vorgehaltener Hand gesteht so mancher Arbeitervertreter ein, dass der schnelle Gang zum Generalstreik auch interne Gründe hat. Nach jahrelangem Dialog mit der Regierung kam die CCOO-Führung von einem Teil der eigenen Reihen unter Druck. Als eine radikale Minderheit sich daran machte, gegen die Führung zu mobilisieren, wurden deren Vertreter im Vorstand entmachtet. Mit dem Streik will sich CCOO-Generalsekretär José María Fidalgo jetzt profilieren. Bei der UGT drängen einflussreiche Teile der mit ihrer parlamentarischen Oppositionsarbeit erfolglosen Sozialisten zum Kampf. REINER WANDLER
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