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EU-Urteile zur SicherungsverwahrungMörder für Verwahrung entschädigt

Die frühere Praxis der Sicherungsverwahrung in der BRD war rechtswidrig. Zwei aktuelle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zeigen das deutlich.

Lebenslänglich? Wenn, dann von Anfang an – sagt die EU. Bild: dpa

FREIBURG taz | Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat erneut zwei deutschen Sicherungsverwahrten Entschädigungen zugesprochen. Erstmals ging es dabei um Fälle, bei denen die Täter zunächst in der Psychiatrie landeten und dann nachträglich Sicherungsverwahrung angeordnet wurde.

Der 1957 geborene mehrfache Vergewaltiger K. wurde 1987 zu acht Jahren Haft verurteilt. Wegen verminderter Schuldfähigkeit wurde zugleich seine Unterbringung in der Psychiatrie verfügt. Die Haft hat er vollständig verbüßt. Und aus der Psychiatrie wurde er 2007 entlassen, weil ein neuer Gutachter fand, dass K. doch keine so schwerwiegende psychische Störung habe. Hintergrund war wohl, dass K. sich uneinsichtig zeigte und Therapien verweigerte.

Stattdessen ordnete das Landgericht Frankfurt/Main 2008 nachträglich Sicherungsverwahrung an. Andere Gutachter bestätigten, dass von K. aufgrund einer psychischen sadistischen Störung ein hohes Rückfallrisiko ausgehe. Ähnlich liegt der Fall von G., der 1968 geboren wurde. Allerdings hatte er in drei Fällen seine Opfer sogar getötet.

Der Gerichtshof für Menschenrechte entschied nun, dass die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung in beiden Fällen unzulässig war. Diese Möglichkeit sei erst 2004 im Strafgesetzbuch eingeführt worden, also erst deutlich nach den Straftaten. Damit habe Deutschland gegen das Verbot rückwirkender Strafgesetze verstoßen.

Entlassung unwahrscheinlich

K. erhält 7.000 Euro Schadenersatz, G. 5.000 Euro. Der EGMR kann ihre Freilassung nicht anordnen. Beide sitzen noch in Sicherungsverwahrung. K. in Schwalmstadt (Hessen) und G. in Straubing (Bayern). Vermutlich werden sie auch nicht entlassen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Mai 2011 ausdrücklich erlaubt, dass Täter, bei denen der EGMR die Sicherungsverwahrung beanstandet hat, in Haft bleiben können, wenn eine „psychische Störung“ vorliegt und hohe Rückfallgefahr für schwere Gewalt- und Sexualtaten besteht.

Zwar hat der Bundestag auf Initiative von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) schon 2010 die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung weitgehend abgeschafft. Sie ist aber weiter gesetzlich möglich, wenn zuvor eine psychiatrische Unterbringung bestand. Die Bundesregierung will nun prüfen, welche Auswirkungen das Urteil auf diese Bestimmung hat.

Derzeit sitzen in Deutschland rund 500 Menschen in Sicherungsverwahrung. Sie haben ihre Haft vollständig verbüßt, gelten aber noch als gefährlich. Nach einer Statistik von 2011 war nur in rund zwei Dutzend Fällen die Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet worden, in fünf Fällen nach Abbruch einer psychiatrischen Unterbringung.

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6 Kommentare

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  • V
    viccy

    @ "EU?"

    Christian Rath ist einer der fähigsten Journalisten, wenn es um juristische Beiträge geht. Und das bezieht sich nicht auf die "taz", sondern auf die ganze Presselandschaft. Daran ändern auch ein Tippfehler nichts. Lies mal mehr von ihm, bestimmt wirst du zu dem gleichen Schluss kommen.

  • E
    EU?

    Der EuGH hat ne Menge mit der EU zu tun.

    Nur geht es grad um den EGMR. Und der hat weder was mit EU noch mit EuGH zu tun. Aber Journalisten werden das wohl nie lernen.

  • E
    Erw

    "Zwei aktuelle EU-Urteile..."

     

    Das gibt einen Bildblog Eintrag^^

  • V
    viccy

    Wem der Staat Unrecht antut, den muss er dafür auch entschädigen. Das gilt auch dann, wenn "Sexmonstern" - oder welche geifernden Vokabeln die yellow press sonst so verwendet - Unrecht getan worden ist.

     

    Es haben damals viele Uni-Professoren davor gewarnt, die Sicherungsverwahrung so zu machen, wie es der Bund dann getan hat. Damals hat man auf die Elfenbeinturm-Bewohner nicht hören wollen, heute darf dann der Steuerzahler dafür einspringen.

  • J
    Jörn

    Eine Entschädigung für unrechtmässige Haft sollte sich von selbst verstehen. Noch dazu sind die Entschädigungssätze in Deutschland skandalös niedrig.

     

    Moralisch mag man die unrechtmässige Inhaftierung Unschuldiger von der unrechtmässigen Inhaftierung Schuldiger unterscheiden wollen. Für das Recht gibt es jedoch nur die Frage, war die Inhaftierung rechtmässig? Da sie dies nicht war, muss entschädigt werden. Ob jemand ein guter, böser oder gefährlicher Mensch ist, darf da keine Rolle spielen. Schliesslich ist ein Grundpfeiler unseres Rechtstaates nulla poene sine lege - keine Strafe ohne Gesetz. Ein Grundsatz der umso wichtiger ist, als er z.B. von den USA ignoriert wird.

  • O
    ohno

    Und was hat der EuGh jetzt mit der EU zu tun?