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EU-Unterstützung gefordertItalien erwartet 80.000 Flüchtlinge

Italien fordert von der EU Hilfe zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems auf Lampedusa. Die Grenzschutzagentur Frontex steht bereit.

Wohin? Eine Verteilung der Flüchtlinge auf andere EU-Staaten ist derzeit nicht möglich. Bild: dapd

ROM taz/dpa | Italiens Regierung bemüht sich um eine Europäisierung der Flüchtlingskrise, die das Land mit der Ankunft von 4.500 Tunesiern auf Lampedusa in nur vier Tagen getroffen hat. Seit Montag werden zwar keine neuen Bootsanlandungen mehr gemeldet. Innenminister Roberto Maroni und Ministerpräsident Silvio Berlusconi erhöhten jedoch den Druck auf die EU, um Unterstützung aus Brüssel zu erhalten.

Berlusconi telefonierte mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und erklärte, dass es sich um einen Notfall handele, der "die ganze EU betrifft und entsprechend angegangen werden muss". Van Rompuy habe zugesagt, das Thema baldmöglichst auf einem EU-Gipfel zu diskutieren, teilte die Regierung in Rom mit. Einen Termin für ein Gipfeltreffen gibt es aber bisher nicht. Auch die EU-Kommission wollte keine Stellung zu der Frage beziehen, wie die Flüchtlinge verteilt werden könnten. Der Sprecher der EU-Kommission, Michele Cercone, sagte dazu in Brüssel nur: "Ich bin nicht bereit, da ins Detail zu gehen." Derzeit ist eine Verteilung der Flüchtlinge auf andere EU-Staaten nicht möglich. Das Dublin-II-Abkommen legt fest, dass Asylbewerber bis zur Prüfung ihrer Anträge in dem Land bleiben müssen, in dem sie europäischen Boden betreten haben.

Die EU reagierte jerdoch anderweitig auf die italienischen Hilfsforderungen. "Wir wollen Italien finanzielle Hilfe gewähren und bereiten einen Einsatz der EU-Agentur Frontex vor", sagte ein Kommissionssprecher in Brüssel. Die Notfallhilfe könne "sehr rasch" erfolgen und aus dem europäischen Flüchtlingsfonds kommen. Frontex, die die Mitgliedsländer bei der Grenzüberwachung unterstützt und Einsätze koordiniert, signalisierte ebenfalls ihre Einsatzbereitschaft." Die Planungen für Aktionen laufen", sagte der Chef der Agentur, Ilkka Laitinien. Frontex, die im Mittelmeer und an der griechisch-türkischen Grenze im Einsatz ist, stelle vor allem Hubschrauber und Boote sowie mobile Radaranlagen und Wärmebildkameras zur Überwachung zur Verfügung. Frontex ist auch in der Rückführung von Flüchtlingen tätig.

In Rom legte Innenminister Maroni erstmals exakte Zahlen über die Flüchtlinge vor. Seit Mitte Januar, seit Ben Alis Sturz also, trafen auf Lampedusa 5.278 Flüchtlinge aus Tunesien ein, 4.500 allein seit dem vergangenen Mittwoch. Mehr als 2.000 von ihnen wurden mittlerweile in Auffanglager auf Sizilien und dem italienischen Festland geschafft, gut 2.000 aber befinden sich noch in dem am Sonntag wieder geöffneten Lager auf der Insel. Auf Sizilien landeten gestern auch erste Immigranten aus Ägypten. Maroni sagte, sollte sich die bisherige Entwicklung fortsetzen, sei die Ankunft von bis zu 80.000 Flüchtlingen innerhalb des nächsten Monats möglich. Gleich zwei Bootsunglücke trugen sich in den vergangenen Tagen zu. Tunesische Zeugen, die sich an Bord befunden hatten, berichteten, ihr Fischkutter sei auf hoher See von einem tunesischen Patrouillenboot gerammt worden und daraufhin in zwei Teile zerbrochen. Vierzig der 125 Passagiere seien mit hoher Wahrscheinlichkeit ertrunken. Ein weiteres Unglück mit fünf Toten und 17 Vermissten hat sich offenbar vor dem Hafen von Zarzis ereignet, als dort zwei kleine Boote miteinander kollidierten und kenterten.

Vor diesem Hintergrund begab sich Roms Außenminister Franco Frattini nach Tunis. Auf die im Vorfeld erhobene Forderung, italienische Beamte sollten in Tunesien auf dem Lande ebenso wie mit Schiffspatrouillen vor der Küste selbst die Kontrolle übernehmen, verzichtete er in seinem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten Mohamed Ghannouchi völlig. Stattdessen probierte Frattini es mit Hilfsangeboten und stellte Soforthilfe von fünf Millionen Euro ebenso wie Kreditlinien von 158 Millionen Euro in Aussicht.

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3 Kommentare

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  • IN
    Ihr NameDoris

    Ich sehe nur männliche Flüchltlinge, wo sind die Frauen, hatten wohl Angst belästigt zu werden oder gibt es keine Frauen mehr, Notstand?

  • F
    Frank

    Da haben Demokraten und Rechtsextreme ein und das Selbe Problem.

    Mit dem feinen Unterschied, dass das "Auslaender raus" so einfach im Moment nicht zu haben ist.

    Bisher war die demokratische Methode die Auslaender gar nicht erst rein zu lassen, und wenn dann nur zu Bedingungen die genau das, "Auslaender raus" sicherstellen.

    Allerdings bekaempfen Demokraten das Interesse von Auslaendern an eine Einreise nicht prinzipiell, sondern nur diejenigen welche als "unnuetztlich" beurteilt werden. Das betrifft in der Regel sogenannte Wirtschaftsfluechlinge; Arme, ungebildete Menschen aus den den Rohstofflieferantenstaaten dieses Planeten.

     

    Im Moment aber, Tunesien, Aegypten, Algerien...,

    gibt es da hierzulande entworfene juristische und in den afrikanischen Staaten ordnungspolitische Probleme.

    Die abweisenden, juristischen Sortierungskriterien sind nicht "revolutionsfest". Das oeffnet die gesetzlichen Grenzen der Zuwanderung nach Europa!

     

    Da ist es sicher hilfreich, in diesen Zeiten der Rechtsunsicherheit, etwas Truppenverlegungen in Erwaegung zu ziehen.. bis die "Leistungstraeger" dieser Welt die juristische Mauer entsprechend umformuliert haben. Bis zur Wiederherstellung der durch Polizei und Militaer zu errichtenden -Mauer- (Mauer? da war doch was), im Auftrag der europaeischen Wirtschaftsriesen, will man die Aussengrenzen am Liebsten selbst dicht machen.

     

    Politisch war ja alles unter Kontrolle.

    Das Militaer hat in Agypten zB. zu keinem Zeitpunkt die Kontrolle verloren (das MILITAER war der Verhandlungspartner der europaeischen und amerikanischen

    Diplomatie). In Tunesien ist eine vergleichbare "stabile" Macht, die internationalen Vertraege und Vereinbarungen sind vom aegyptischen Militaer bestaetigt worden!, nicht verfuegbar.

    1,5 Milliarden, seit 1979 jaehrlich allein aus den USA an Agypten, sind schon sehr viel Militaer..

    Da muss in anderen afrikanischen Staaten, nicht nur in Nordafrika, noch kraeftig nachgelegt werden.

     

    Ganz friedlich, wie immer.

  • S
    Sebastian

    Die Union will wenigstens im Sinne des Volkes handeln, im Gegensatz zu den anderen Parteien die mal wieder auf die Meinung des Volkes scheißen! Aber ich befürchte das Frau Merkel auch noch einknicken wird...