piwik no script img

EU-Strukturförderung erhöht CO2-AusstoßStraßenbau durch Naturschutzgebiete

Die Senkung der Treibhausgase spielt bei der EU-Strukturförderung in den neuen Mitgliedsländern keine Rolle. Im Gegenteil - der Ausstoß könnte sogar noch steigen.

Sind Umweltschutz und Ausbau der Infrastruktur wirklich gleichberechtigte Ziele? Bild: dpa

BRÜSSEL taz Den Schock hat fast jeder Reisende schon mal erlebt: Irgendwo in der Idylle wächst eine Betonkonstruktion aus dem Boden, erstes Teilstück einer Autobahn mitten im Naturschutzgebiet. Ein blaues Schild mit goldenen Sternen weist stolz darauf hin, dass hier europäische Fördergelder verbaut werden. Aktuelle Beispiele gibt es genug - in Palma de Mallorca oder Andalusien finanziert die Kommissionsabteilung für Regionalentwicklung neue Straßen, die von der für Naturschutz und Artenvielfalt zuständigen EU-Abteilung scharf verurteilt werden.

Noch dramatischer ist die Situation aber in den neuen Mitgliedsländern, wie eine Anhörung der Grünen Fraktion im Europaparlament deutlich machte. Zwischen 2007 und 2013 wird die EU in den zehn Ländern Mittel- und Osteuropas 177 Milliarden Euro an Strukturförderung investieren. Fast ein Drittel davon fließt in Verkehrsinfrastruktur, allein 25 Milliarden werden für neue Straßen und Autobahnen ausgegeben. Mit immerhin 14 Milliarden wird der Bahnverkehr bezuschusst. Doch der öffentliche Nahverkehr, der in diesen Ländern großen Nachholbedarf hat, erhält nur 4,8 Milliarden.

Obwohl sich die EU das Ziel gesetzt hat, die Treibhausgase bis 2020 um mindestens 20 Prozent zu senken, spielt das Thema in der Strukturförderung überhaupt keine Rolle, wie das Umweltnetzwerk Friends of the Earth herausgefunden hat. "Nimmt man die geplanten und bei der EU beantragten Projekte zum Maßstab, so ist Polen entschlossen, seine CO2-Emissionen bis 2013 im Vergleich zu 2003 um 31 Prozent zu steigern", rechnet die Umweltorganisation vor.

Bei erneuerbaren Energien und Technologien, die Energie einsparen, sieht die Bilanz ähnlich düster aus. Nur 2,1 Prozent der Mittel, die von 2007 bis 2013 in die Strukturförderung Mittel- und Osteuropas fließen, beziehen sich auf Projekte in diesem Bereich. Dabei wären die Einsparmöglichkeiten durch bessere Isolierung, dezentrale Energiequellen und Investitionen in die maroden Netze enorm groß.

Der spanische Grünen-Abgeordnete David Hammerstein warnte davor, in den neuen EU-Ländern die Fehler zu wiederholen, die bei der ökonomischen Aufholjagd in Spanien, Portugal, Irland und Griechenland gemacht worden seien. Diese vier Länder, die in den vergangenen Jahren einen enormen Wirtschaftsaufschwung erlebt haben, verzeichnen gewaltige Steigerungsraten beim Ausstoß von Treibhausgasen. In Spanien ist der CO2-Ausstoß seit 1990 um 50 Prozent gestiegen. Für den Aufschwung habe sein Land einen hohen ökologischen Preis bezahlt, so Hammerstein. Sein Landsmann Javier Ruiz-Tomás von der EU-Umweltabteilung tat den Vorwurf mit einem Achselzucken ab. Wirtschaftswachstum und Umweltschutz seien gleichberechtigte Ziele der EU-Politik. Man könne nicht das eine gegen das andere aufrechnen. Und Matthew Arndt von der Europäischen Investitionsbank meinte: "Wir müssen Straßen bauen, wo sie gebraucht werden. Wenn es Staus gibt, dann ist das ein Zeichen, dass es noch zu wenige Verkehrswege in einer Region gibt."

Dem widerspricht Malgorzata Górska von der polnischen Vogelschutzvereinigung entschieden. Bei der Anhörung in Brüssel berichtete sie von einem Schildbürgerstreich europäischer Bürokratie in Nordpolen. Ein Teilstück der Via Baltica, die von Warschau bis Tallinn führen soll, wurde so geplant, dass mehrere Naturschutzgebiete zerschnitten und der Lebensraum seltener Tierarten zerstört würde. Die Arbeiten in zwei Bauabschnitten hat der Europäische Gerichtshof inzwischen per einstweiliger Verfügung gestoppt. Wegen sechs weiterer Teilstrecken hat die EU-Kommission Vertragsverletzungsverfahren angestrengt, da sie gegen Naturschutzbestimmungen verstoßen. In den Abschnitten dazwischen wird weiter gewalzt und betoniert - mit Fördermitteln der Europäischen Union.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!