EU-Regeln für Arzneimitteltests: Ethikkomissionen müssen zustimmen
Die neue EU-Verordnung zu klinischen Studien regelt auch, wie die teilnehmenden Patienten über die Arzneimitteltests informiert werden müssen.
Warum sind klinische Studien notwendig?
Der Contergan-Skandal von 1961 war der Auslöser für eine grundlegende Reform des Arzneimittelrechts Ende der 70er Jahre: Seither muss ein Medikament, bevor es auf den Markt kommt, zwingend seine Wirksamkeit, Verträglichkeit und Qualität nachweisen. Dies geschieht zunächst über präklinische Tests, dazu zählen Labortests, Zell- und Tierversuche. Es folgen klinische Studien an Menschen, und diese wiederum werden in drei Stufen durchgeführt: zunächst an wenigen gesunden Menschen, dann an wenigen kranken und schließlich an vielen kranken Menschen. Der Pharmahersteller bezahlt die Studien und führt sie in Zusammenarbeit mit Kliniken durch.
Wer ist für die Zulassung zuständig?
Die Genehmigung erteilt für Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut oder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte; für Europa ist die European Medicine Agency (EMA) in London zuständig. Für die Zulassung reicht der Hersteller ein Dossier (500.000 Seiten) mit sämtlichen Daten zur Prüfung bei der EMA ein. Im Fall einer Empfehlung der EMA erteilt die EU-Kommission die Zulassung. Zwischen Idee und Markteinführung liegen nach Angaben des Verbands forschender Arzneimittelhersteller durchschnittlich zwölf Jahre. Die Entwicklungskosten pro Medikament liegen laut Pharmaindustrie zwischen 400 und 800 Millionen US-Dollar.
Warum ist ein gemeinsamer europäischer Ansatz nötig zur Regelung der Studien?
Etwa ein Viertel aller jährlichen rund 4.400 Anträge für klinische Studien in der EU werden an mehreren Zentren oder sogar in mehreren Mitgliedstaaten durchgeführt. An diesen sogenannten multizentrischen Prüfungen nehmen 67 Prozent aller Probanden teil. Um Bürokratie abzubauen, hat die EU nun eine neue Verordnung auf den Weg gebracht, wonach für alle beteiligten EU-Länder künftig nur noch ein Antrag pro Studie nötig ist, egal in wie vielen Ländern die Studie stattfindet. Dies soll ab 2016 gelten.
Wie sieht die Beteiligung der EU-Mitgliedstaaten aus?
Der Antrag ist dann nur noch einzureichen über eine Online-Studienportal der EMA. Das Bewertungsverfahren bezieht alle beteiligten EU-Staaten ein; federführend bei der Bewertung soll jeweils ein sogenannter Reporting Member State sein. Dieser darf vom Studiensponsor, also der Pharmaindustrie, vorgeschlagen, aber nicht bestimmt werden.
Sind auch weiterhin Ethikkommission bei der Genehmigung von Studien eingebunden?
In ersten Entwurfsfassungen der EU-Verordnung hatten ausdrückliche Angaben darüber gefehlt, dass auch künftig Ethikkommissionen der Studie zustimmen müssen. Dies hatte in Deutschland zu erheblichen Protesten geführt. Die jetzt vom EU-Parlament verabschiedete Verordnung sieht vor, dass eine klinische Studie von der Ethikkommission jedes an der Studie beteiligten Mitgliedstaates positiv beurteilt worden sein muss. Sollte sie in einem Mitgliedstaat von der Ethikkommission abgelehnt werden, kann sie dort nicht durchgeführt werden.
Müssen die Studienteilnehmer zustimmen?
Auch die Schutzbestimmungen für teilnehmende Patienten wurden gegenüber ersten Entwürfen verschärft: So ist die schriftliche Einwilligung der Patienten zur Teilnahme an der Studie nach umfassender Aufklärung Pflicht. Auch Jugendliche ab 12 Jahren müssen nach Aufklärung ausdrücklich der Teilnahme zustimmen. Der Elternwille allein reicht nicht.
Was ist mit nichteinwilligungsfähigen Patienten?
Bei Kindern unter 12 Jahren muss deren mutmaßlicher Wille berücksichtigt werden. Eine Bedingung ist auch, dass mit der Studie eine Heilung angestrebt werden soll. In Notfallsituationen, etwa wenn ein Patient mit Schädel-Hirn-Trauma bewusstlos und kein Angehöriger verfügbar ist, soll zunächst ein Arzt allein entscheiden können, den Patienten in die Studie einzubeziehen, sofern diese der Behandlung seines Leidens dient. Sollte der Patient oder seine Angehörigen nachträglich der Teilnahme widersprechen, dürfen die bislang gesammelten Daten für die Studie nicht verwendet werden.
Für nicht einwilligungsfähige Patienten, wie etwa Demenzkranke, gilt: Zustimmen muss der gesetzliche Vertreter; die Studie muss zudem zwingend „eigennützig“ sein, also auf die Behandlung des individuellen Leidens des Patienten ausgerichtet sein und nicht etwa auf einen allgemeingesellschaftlich erwünschten Erkenntnisgewinn.
Daneben sieht die EU-Verordnung mehr Transparenz bei den Studiendaten und eine weitreichende Offenlegungspflicht für die Industrie vor.
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