EU-Mitgliedschaft für Kiew: Ukraine will Beistand aus Polen
Die Ukraine sucht in Polen einen Verbündeten für die eigene EU-Mitgliedschaft und Energiesicherheit. Denn Deutschland stellt sich gegen einen schnellen EU-Beitritt der Osteuropäer.
Wenn sich der polnische Präsident Lech Kaczynski mit seinem ukrainischen Amtskollegen Viktor Juschtschenko am Freitag in Warschau trifft, soll dies als Zeichen der freundschaftlichen Beziehungen und des engen Informationsaustausches gelten. Doch diesmal wollen beide Präsidenten nicht nur über die bilaterale Zusammenarbeiter beider Länder sprechen, es geht auch um Energiesicherheit und den Nato-Gipfel in Bukarest.
Kiew zieht alle Register, damit der Aktionsplan für die Mitgliedschaft am 2. April in der rumänischen Hauptstadt offiziell beschlossen wird. Warschau sieht man als einen engen Verbündeten für dieses Anliegen, das für brisante Diskussionen in der ukrainischen Gesellschaft sorgt und auf heftigen Widerstand in Moskau stößt.
Polen gilt ebenso wie die USA und Großbritannien als Befürworter des Aktionsplans, doch unter europäischen Partnern ist diese Frage umstritten. Vorbehalte kommen in erster Linie aus Berlin. In Kiew registriert man mit einer gewissen Irritation, dass sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin artikuliert wurden. Deutschland halte den Zeitpunkt wegen der aktuellen geopolitischen Lage für falsch, verlautete aus den Diplomatenkreisen.
Die Chancen, dass Polen seinen westlichen Nachbarn noch umstimmen kann, sind gering. Doch Kiew sieht in Warschau nicht nur einen Anwalt für den zukünftigen Nato-Beitritt oder Verhandlungen mit der EU. Die strategische Partnerschaft beruht auch darauf, dass beide Staaten außen- und energiepolitisch viele gemeinsame Interessen haben. Beide haben zudem ähnliche Ängste wegen der politischen Entwicklung in Russland und der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Energielieferanten. So will Juschtschenko seinen polnischen Amtskollegen unter anderem über die ukrainisch-russischen Beziehungen und den Stand der Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau über die Gaslieferungen informieren.
Doch bei allen strategischen Überlegungen gibt es in der letzten Zeit auch einige Unstimmigkeiten. Die Probleme an der ukrainisch-polnischen Grenze sind nach dem Schengen-Beitritt Polens immer noch nicht gelöst. Das Abkommen über den kleinen Grenzverkehr, das den Einwohnern eines 50-Kilometer breiten Grenzstreifens den Grenzübergang erleichtern soll, wurde zwar mit großer Verspätung ausgehandelt, in Kraft getreten ist es allerdings noch nicht. Dieses bedeutet aber, dass viele Ukrainer in den strukturschwachen Grenzregionen weiter um ihre Existenzgrundlage bangen müssen.
Unter der Verschärfung der Visabestimmungen leiden vor allem die kleinen Unternehmen auf beiden Seiten der Grenze. Ukrainische Geschäfte im Westen den Landes können der Nachfrage nach Baumaterialien, Heizsystemen oder Kosmetikartikeln ohne Lieferungen aus Polen nicht nachkommen, polnische Großhändler klagen über Umsatzeinbrüche von bis zu 70 Prozent.
In der Ukraine ist man der Meinung, dass die Verzögerung bei der Unterzeichung des Abkommens über den kleinen Grenzverkehr durch die polnische Seite verursacht wurde. Schließlich wurde ein solches Abkommen mit Ungarn noch im vergangenen Jahr unterzeichnet. Allerdings leben im südwestlichen Transkarpatien an der ungarischen Grenze rund 130.000 ethnische Ungarn.
Nicht nur unter den Kaczynski-Brüdern , sondern noch mehr nach den letzten polnischen Parlamentswahlen haben sich die außenpolitischen Akzente verschoben. In Kiew hat man den Eindruck, dass Polen nicht mehr so aktiv wie früher seine Anwaltsrolle für die Ukraine wahrnehmen will. Mit Enttäuschung hat man registriert, dass Polens neuer Ministerpräsident Donald Tusk seinen Besuch in der Ukraine mehrmals verschoben hat und zunächst nach Moskau gereist ist.
Die Opposition und die Presse in Polen haben Tusk scharf kritisiert und ihm vorgeworfen, dass er auf diese Weise die guten polnisch-ukrainischen Beziehungen zerstöre. Doch die Ukraine und Polen stecken sich nicht nur große strategische Ziele, sondern wollen auch konkrete Projekte angehen. Eines davon - die Austragung der Fußballeuropameisterschaft im Jahr 2012 - kann scheitern, wenn die Vorbereitungen weiter stocken. Die beiden Präsidenten wollen sich in Warschau auch darüber unterhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!