EU-Gipfel zum Brexit: Cameron unter Druck
Die EU-Chefs haben den britischen Premier gewarnt, dass das Votum unumkehrbar sei. Sie wiesen seine Bitten nach günstigen Konditionen für sein Land zurück.
Camerons Bitten um günstige Konditionen für das Vereinigte Königreich wurden der Reihe nach zurückgewiesen. Frankreichs Staatspräsident François Hollande machte klar, dass Großbritannien sich nicht nur die Rosinen herauspicken werden könne. Man könne nicht den freien Kapital-, Waren- und Dienstleistungsverkehr in Anspruch nehmen und die Personenfreizügigkeit einschränken, so Hollande.
„So läuft das nicht. Es sind die vier Freiheiten oder keine“, sagte Hollande. Daran lasse sich nicht rütteln. Merkel sagte, wer die EU-Familie verlassen wolle, könne nicht erwarten, keine Pflichten mehr zu haben, aber die Privilegien zu behalten.
Cameron frustrierte die Gipfelteilnehmer mit seiner Weigerung, das Sheidungsverfahren unmittelbar einzuleiten. Die Verhandlungen darüber seien Aufgabe seines Nachfolgers, sagte der Premier, der bei seinen Landsleuten für einen EU-Verbleib geworben und nach seiner Niederlage beim Referendum vergangene Woche seinen Rücktritt erklärt hatte.
London braucht Zeit
Jeder wünsche sich ein „klares Modell“ für die künftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, sagte der britische Regierungschef. Doch London brauche Zeit. Dafür habe es in Brüssel auch Verständnis gegeben, sagte Cameron.
Merkel sagte nach dem Gipfel, sie sehe keinen Weg, die Brexit-Entscheidung rückgängig zu machen. Es sei nicht die richtige Zeit für Wunschdenken, sagte sie. Tusk stimmte zu: „Europa ist bereit, den Scheidungsprozess zu starten.“
Dass vergangenen Donnerstag 52 Prozent der britischen Wähler für einen EU-Austritt Großbritanniens votierten, hat nicht nur auf der Insel, sondern in ganz Europa zu einem finanziellen und politischen Beben geführt. Das unerwartete Ergebnis wird der EU ihren reichsten Finanzmarkt, ihre größte Militärmacht und ein diplomatisches Schwergewicht nehmen.
Sondertreffen im September
Sowohl Großbritannien als auch die europäischen Partner versuchen nach dem Schock des Votums der britischen Wähler für den Brexit immer noch, sich zu sammeln. Nicht nur in Großbritannien rumort es. So verurteilte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban abermals die EU-Flüchtlingspolitik. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras machte unter anderem die Sparpolitik mitverantwortlich für das Brexit-Votum. Er hoffe, dass das Ergebnis des Referendums ein Weckruf für Europa sei.
Sich der Bedrohung für die Einheit der EU bewusst, plant Tusk ein Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in der Slowakei im September. Merkel versicherte in einer Regierungserklärung, sie werde sich mit voller Kraft für den Erhalt der Gemeinschaft einsetzen.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, keiner seiner Kommissare dürfe geheime Gespräche mit Großbritannien abhalten, bis London offiziell den Ausstieg beantragt habe. Die EU selbst wird am Mittwoch weiter in Brüssel über ihre Zukunft sprechen – dann jedoch ohne Cameron.
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