EU-Gipfel in Brüssel: Es geht um mehr als um Juncker

Europas Staats- und Regierungschefs wollen am Freitag ihren Kandidaten für den Kommissionschef benennen. Das könnte länger dauern.

Folgt der Juncker-Werbung auch ein gleichnamiger Kommissionspräsident? Bild: dpa

BRÜSSEL taz | Erst die Politik, dann das Personal: Diese Devise hat Kanzlerin Angela Merkel für den EU-Gipfel heute in Brüssel ausgegeben. Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen. Denn vor allem in der Wirtschaftspolitik liegen die Positionen zwischen Ländern wie Frankreich und Italien auf der einen, Deutschland und Großbritannien auf der anderen Seite meilenweit auseinander.

Nun droht ein Machtkampf um die künftige EU-Politik. Theoretisch könnte daran sogar die Nominierung von Jean-Claude Juncker zum neuen Präsidenten der EU-Kommission scheitern. Zwar ist dem eine Mehrheit sicher – sogar die Skeptiker aus Schweden und den Niederlanden ziehen mit. Und Merkel hat klargestellt, dass sie zur Not auch den britischen Premier David Cameron überstimmen will.

„Es ist kein Drama, wenn wir auch nur mit qualifizierter Mehrheit abstimmen werden“, so Merkel im Bundestag. Doch die Debatte über die „strategische Agenda“ hat Vorrang. Und dabei dürfte es hoch hergehen. Die Links-Regierungen in Paris und Rom fordern statt Austerität aktives Fördern von Wachstum und Investitionen, Berlin und London halten dagegen.

Frankreichs Präsident François Hollande hat einen detaillierten Plan für „Wachstum und Wandel“ vorgelegt, Italiens Regierungschef Matteo Renzi fordert mehr Flexibilität beim Stabilitätspakt. Doch es geht um mehr – möglicherweise auch um die Wahl Junckers. So macht Renzi seine Zustimmung von einem Politikwechsel abhängig. Umgekehrt hat Merkel versprochen, Cameron entgegenzukommen. Der konservative Brite fordert genau das Gegenteil von Hollande und Renzi: mehr Liberalisierung, mehr Privatisierung, weniger Europa – und weniger Macht für die EU-Kommission.

Kompromisspapier von Van Rompuy

Letztlich geht es also um die Machtfrage, um Allianzen und Prioritäten für die nächsten fünf Jahre. Eine Schlüsselrolle fällt dabei wieder Merkel zu, denn ohne oder gar gegen Berlin geht im Jahre fünf nach Beginn der Eurokrise in Brüssel gar nichts. Die Kanzlerin würde gern ihre umstrittenen Reformagenda für alle Euroländer vorantreiben, was in Rom und Paris auf wenig Gegenliebe stößt. Zudem möchte sie London bei der Stange halten.

Wie eine Einigung aussehen könnte, ist unklar. Ratspräsident Herman Van Rompuy hat zwar ein Kompromisspapier vorgelegt. Doch was ist, wenn Cameron Nachbesserungen fordert, bevor es zur Entscheidung über Juncker kommt? Wenn der Kandidat die Agenda ablehnt, weil er nicht an der Kette der Staats- und Regierungschefs hängen will?

Offiziell gibt man sich in Brüssel gelassen. Man werde diese Fragen beim Mittagessen klären, so Diplomaten. Doch hinter vorgehaltener Hand wird schon über eine Gipfel-Verlängerung gesprochen. Bis zum späten Nachmittag könnte das Treffen dauern, Überraschungen seien nicht ausgeschlossen – zumal noch andere brisante Themen auf der Tagesordnung stehen.

So wollen die Chefs die Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, Moldau und Georgien unterzeichnen und über mögliche neue Sanktionen gegen Russland beraten. Vor allem die USA machen Druck, damit die EU neue Strafen verhängt. Bereits beim letzten Gipfel warben sie für „smarte“ Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor, die Europas Wirtschaft verschonen.

Eine Entscheidung werde wohl erst in letzter Minute fallen, heißt es in deutschen Regierungskreisen. „Die Fortschritte sind bisher nicht so deutlich angesichts von fast sieben Tagen Waffenruhe, wie ich mir das wünschen würde“, so Merkel am Donnerstag. Der Gipfel könnte spannend werden.

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