ES WIRD ZEIT, DIE ZENTRALEN FRAGEN DER BIOTECH-DEBATTE ANZUSPRECHEN: Diskussion statt Konkurrenz
Ab welchem Zeitpunkt soll einem Embryo ein Recht auf Leben eingräumt werden? Auch Wissenschaftler und Mediziner sind sich bei der Beantwortung dieser unser gesellschaftliches Zusammenleben nachhaltig beinflussenden Zukunftsfrage uneins. Während die Ärzte gegen den Atomkrieg IPPNW sich gestern gegen eine Selektion durch die Präimplantationsdiagnostik aussprachen, votierte der Deutsche Ärztetag fast zeitgleich für die begrenzte Zulassung des Embryonenchecks. Es ist offensichtlich: Der Streit spitzt sich zu. Der Graben verläuft dabei quer durch die großen Volksparteien. Erst stritt sich die SPD, jetzt ist die CDU dran. Zuschauer können nur staunen, wie deren Meinungsmacher plötzlich übereinander herfallen.
Wie werden die modernen Biotechnologien unser Leben verändern? Und vor allem: Wollen wir das überhaupt? Jetzt rächt sich, dass die beiden grundlegenden Fragen der Debatte jahrelang ein Schattendasein führen mussten. Im Vordergrund standen stattdessen Akzeptanzstrategien der Biotechlobby. Die zahlreichen Veranstaltungen im „Jahr der Lebenswissenschaften“ 2001 hätten die „breite gesellschaftliche Debatte“, die jetzt allenthalben gefordert wird, initiieren können. Das hätte vielleicht mehr gebracht, als die Konkurrenz zwischen mehreren Ethikräten. Konsens scheint derzeit nur in einem Punkt zu bestehen: Die letzte Entscheidung wird der Gesetzgeber haben – das Parlament. Und welche Mehrheiten sich hier herausbilden werden, das wagt zur Zeit niemand vorherzusagen. Sollten die Abgeordneten Wodarg (SPD) und Hüppe (CDU) mit ihrem gestern angekündigten fraktionsübergreifenden „Forum Menschenwürde“ erfolgreich sein, dann hätte die verbrauchende Embryonenforschung trotz Kanzlerworte keine Chance in Deutschland.
Damit würde jedoch auch die Präimplantationsdiagnostik ad acta gelegt. Weitere Überraschungen wären nicht auszuschließen. So hat der Streit um die Embryonen jetzt auch die Pränataldiagnostik erfasst. Der Ruf nach einer kritischen Überprüfung von Diagnoseverfahren während der Schwangerschaft wird immer lauter. WOLFGANG LÖHR
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