ENTWICKLUNGSHILFE: MEHR GELD, WENIGER EINFLUSS: Verzicht auf die „Terror-Dividende“
Wie unwichtig Regierung und Parlament die Entwicklungszusammenarbeit finden, haben sie im Sommer bewiesen. Bei den Verhandlungen zum Bundeshaushalt wurde der Etat des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) um 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr gekürzt. Die sieben Milliarden Mark für Heidemarie Wieczorek-Zeul waren 12 Prozent weniger als im letzten Jahr der Kohl-Regierung und lagen mit einem Anteil von 0,26 Prozent am Bruttoinlandsprodukt weit entfernt von den angepeilten 0,7 Prozent, die immer wieder etwa in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung beschworen wurden.
Nach dem 11. September schien das anders. Plötzlich erinnerte sich auch die SPD daran, dass Entwicklungshilfe mehr ist als Almosen, sondern die globalen Lebensbedingungen verbessern soll – auch mit dem Ziel, Folgekosten durch Armut, Hunger, Krieg und Umweltzerstörung zu vermeiden. Die SPD dachte an Willy Brandt, der schon seit Jahrzehnten auf die Verantwortung für die Entwicklungsländer hingewiesen hatte. Und mit einem schlechten Gewissen wegen der Versäumnisse der Vergangenheit und einem noch schlechteren Gewissen wegen ihrer Zustimmung zum Krieg in Afghanistan votierten die rot-grünen Abgeordneten im November dafür, etwas für die Armen und nicht nur für die Armee zu tun und stockten auch den BMZ-Etat auf: um ganze 200 Millionen Mark.
Wie wichtig der Regierung dagegen eine andere Form der Investition für den Süden ist, zeigt sich derzeit im indischen Tehri: Dort werden gerade tausende von Menschen vertrieben, weil ihr Land für einen Stausee geflutet wird. Das Projekt, an dem der Siemens-Konzern beteiligt ist, wird mit einer Exportbürgschaft aus deutschen Steuergeldern abgesichert. Und auch bei der Süßwasserkonferenz in Bonn wird diese Woche darüber geredet, wie öffentliches Geld auch aus Deutschland die Privatisierung der Wasserversorgung in den Schwellenländern vorbereiten kann. Profitieren werden davon vor allem die internationalen Konzerne, unter ihnen die deutsche RWE.
Die rot-grüne Entwicklungspolitik hat keine Linie, und sie erntet keine „Terror-Dividende“: Auf der einen Seite engagiert sich die Regierung beim Schuldenerlass für die ärmsten Länder und kündigt einen globalen Plan zur Bekämpfung der Armut an. Andererseits bekommen im Zweifel und im Alltag wirtschaftliche Aspekte regelmäßig den Vorzug. Das verstößt gegen die eigenen Grundsätze, Koalitionsvereinbarungen, Regierungserklärungen und Bundestagsbeschlüsse, aber es provoziert nur Schulterzucken. Nicht einmal für einen ordentlichen Streit ist das Thema Entwicklungshilfe noch wichtig genug. BERNHARD PÖTTER
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