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ENDE Kommende Woche debattiert der Bundestag darüber, wer künftig beim Sterben helfen darf. Ärzte, Vereine, Angehörige?Ein Streitgespräch„Einige Elemente Ihres Vereins gefallen mir nicht, Herr Kusch“ „Sie schaffen bloß weitere Hürden, Herr Lauterbach“

Gespräch Heike Haarhoff Fotos Karsten Thielker

taz.am wochenende: Herr Kusch, Herr Lauterbach, Sie beide haben mehr Erfahrung mit Tod und Sterbebegleitung als die meisten Menschen im Land. Können Sie sich vorstellen, einmal in eine Situation zu geraten, in der Sie selbst Ihrem Leben ein Ende setzen möchten?

Roger Kusch: Seit ich unseren Verein „Sterbehilfe Deutschland“ 2009 gegründet habe, habe ich einen ziemlich guten Überblick über das Grauen, das Menschen krankheitsmäßig ereilen kann. Ich bin permanent konfrontiert mit Schicksalen von Menschen, deren Leid so unerträglich ist, dass ich, der ich früher niemals über Suizid nachgedacht hätte, heute sage: Wäre ich in ihrer Situation, dann würde ich es genauso machen – und mich selbst töten.

Karl Lauterbach: Ich glaube, dass es keinen Arzt gibt, der nicht schon Todesarten gesehen hat, die er selbst so auf keinen Fall durchleben möchte. Das gilt auch für mich. Insofern kann ich mir den Suizid unter extremen Bedingungen vorstellen. Man muss aber sagen, dass dies der rare Tod ist. Die meisten Menschen sterben nicht so.

Welche Unterstützung würden Sie sich wünschen für den Fall, dass Sie Ihr Leben selbst beenden wollen?

Kusch: Die Unterstützung derjenigen Menschen, die mir am nächsten stehen. Sie hätte ich gern um mich. Ich möchte überdies nicht in einem düsteren Keller in unangenehmer Atmosphäre sterben, sondern lieber in meiner eigenen Wohnung. Und ich wäre auf einen Arzt angewiesen, der weiß, wie es technisch geht, einen Arzt also, wie unser Verein ihn vermittelt. Ohne ärztliche Hilfe, Begleitung und Betreuung gibt es keinen Suizid in würdiger Form, meine ich.

Lauterbach: Als Arzt würde ich wahrscheinlich keine Hilfe von Dritten brauchen. Vermutlich wäre ich auch eher ein Mensch, der sich von seinen Angehörigen verabschieden wollte, bevor der Sterbeprozess beginnt, um sie damit nicht zu belasten.

Zurzeit ist all das, was Sie sich wünschen, erlaubt in Deutschland. Warum brauchen wir überhaupt eine gesetzliche Neuregelung der Suizidhilfe?

Lauterbach: Es gibt Änderungsbedarf, weil derzeit gerade für Ärzte nicht alles erlaubt ist, was sinnvoll wäre. In Deutschland riskieren Ärzte, die sich an der Beihilfe zum Suizid beteiligen, in zehn von 17 Ärztekammern ihre Berufserlaubnis, weil diese zehn Ärztekammern ihnen eine solche Tätigkeit standesrechtlich verbieten. Das ist nicht bloß eine unerträgliche Bevormundung, sondern es erzeugt enormen Druck und hat eine abschreckende Wirkung auf die Ärzte. Ihre Bereitschaft, Menschen beim Suizid zu helfen, sinkt. Ich bin aber der Meinung, dass die Bereitschaft bei Ärzten, sich an der Suizidbeihilfe zu beteiligen, gesteigert werden müsste.

Warum?

Lauterbach: Sehr viele Suizidversuche ohne ärztliche Assistenz misslingen – mit katastrophalen Folgen für alle Beteiligten. Deswegen müsste es mehr Ärzte geben, die sich dieser Menschen annehmen. Vor allem, indem sie durch Gespräche den Suizid verhindern. Aber auch, wenn sie bereit sind, anders zu helfen. Diese Ärzte brauchen Rechtssicherheit – sowohl vor dem Standesrecht, als auch vor dem Strafrecht. Genau das wollen wir mit unserem Gesetzesentwurf erreichen.

Kusch: Ich sehe das ganz anders als Herr Lauterbach. Wir haben in Deutschland das liberalste Suizidbeihilferecht der Welt, nämlich gar keins. Wenn etwas nicht verboten ist, ist es im Rechtsstaat erlaubt. Jede gesetzgeberische Änderung führt zu einer Einschränkung der Selbstentfaltung von 80 Millionen Menschen im Land.

Lauterbach: Das stimmt nicht. Der Gesetzentwurf, den ich mit Peter Hintze, Carola Reimann und anderen gemacht habe, würde – übrigens im Gegensatz zu allen anderen derzeit diskutierten Vorschlägen – an der jetzigen strafrechtlichen Erlaubnis nichts ändern. Es gäbe bloß dank einer Neuregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch zusätzlich für Ärzte Rechtssicherheit im Standesrecht.

Herr Kusch, Ihr Verein arbeitet doch auch mit Ärzten zusammen. Was spricht denn gegen mehr Rechtssicherheit für diese Berufsgruppe?

Wer darf beim Sterben helfen?

Die Debatte: Am 2. Juli berät der Bundestag zum ersten Mal über die vier Vorschläge, wie Suizidhilfe in Zukunft gesetzlich geregelt werden soll. Im Herbst wird abgestimmt, welcher Entwurf tatsächlich in Kraft treten soll. Derzeit sind der Suizid und die Beihilfe dazu straffrei. Etwa 10.000 Menschen pro Jahr setzen ihrem Leben selbst ein Ende. 500 von ihnen nehmen dabei ein von Sterbehelfern bereitgestelltes Mittel ein. Lediglich die Tötung auf Verlangen ist strafrechtlich verboten.

Die Vorschläge: Der aussichtsreichste ist der von Vertretern aller fünf Fraktionen. Sterbehilfe soll demnach straffrei bleiben, jedoch nicht „geschäftsmäßig“ werden, also nicht über den Einzelfall hinausgehen. Unterstützt wird er unter anderem von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und Angela Merkel (CDU). Karl Lauterbach (SPD) will mit seinem liberaleren Ansatz die Rechte der Ärzte, die Sterbehilfe anbieten, stärken. Er könnte zur Konkurrenz für den oben genannten Vorschlag werden.

Kusch: Ein Recht, das nichts verbietet, kann nicht liberaler werden, als es ist. Mit einer zusätzlichen Norm im Bürgerlichen Gesetzbuch schaffen Sie bloß eine weitere Hürde, die eine Impulswirkung ungeahnten Ausmaßes haben und für neue Unsicherheiten sorgen wird. Der Hinweis von Herrn Lauterbach auf die ärztliche Berufsordnung ist richtig. Ja, wir haben unterschiedliche Regelungen in den siebzehn Ärztekammern, das ist in einem föderalen Land wie Deutschland aber gang und gäbe, denken Sie nur an die Schulpolitik. Faktisch ist es aber so: Ein Arzt, der Sterbehilfe leistet, braucht in Deutschland nicht um seine Approbation zu fürchten. Die Approbation wird nämlich nicht aberkannt von der Ärztekammer, sondern von der Regierungsstelle. Und die ist an Gesetze gebunden, die den Entzug der Approbation gar nicht ermöglicht. Ein Arzt, der Suizidhilfe leistet, ist also nicht in Gefahr.

Lauterbach: Das sagen Sie so apodiktisch. Umfragen unter Ärzten zeigen ein anderes Bild. Wir wissen, dass bis zu einem Drittel der Ärzte in Deutschland sich Unterstützung bei der Sterbehilfe vorstellen könnte, vorausgesetzt, es gäbe Rechtssicherheit.

Kusch: Ich weiß, wovon ich rede. Wir arbeiten bei Sterbehilfe Deutschland mit fünf Ärzten zusammen. Einer davon ist öffentlich bekannt, er kommt aus Datteln, das gehört zur Ärztekammer Westfalen-Lippe. Jeder weiß, dass er Sterbehilfe leistet …

Im Gebiet einer Ärztekammer, die ausdrücklich geregelt hat, dass ein Arzt Sterbehilfe nicht leisten soll.

Kusch: Genau. Der Arzt hat aber in all den Jahren nicht ein Mal eine Abmahnung von seiner Kammer bekommen. Nein, die mangelnde Bereitschaft zur Suizidhilfe liegt nicht an fehlender Rechtssicherheit, wie Sie behaupten, Herr Lauterbach, sondern an der weltanschaulichen Haltung vieler Ärzte. Und jetzt kommen Sie daher und wollen die Handlungsfreiheit derjenigen, die zur Suizidhilfe bereit sind, erheblich einschränken, indem Sie Ihr vermeintliches Versprechen für mehr Rechtssicherheit an strenge Kriterien wie die Unheilbarkeit der Erkrankung oder den unmittelbar bevorstehenden Tod knüpfen, unter denen die Suizidhilfe überhaupt nur möglich sein soll.

Herr Lauterbach, in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs heißt es: „Besteht für todkranke Menschen die Möglichkeit, den behandelnden Arzt des Vertrauens um Hilfe zu bitten, wird dem Wirken von Sterbehilfevereinen in Deutschland die Grundlage entzogen.“ Warum soll der Verein von Herrn Kusch nicht mehr existieren?

Lauterbach: Ob er existiert oder nicht, ist für mich, ehrlich gesagt, keine wichtige Frage.

Kusch: Herr Lauterbach, bei allem Respekt!

Lauterbach: Ich gebe zu, dass einige Elemente Ihres Vereins mir nicht gefallen. Ich finde allein die Vorstellung abstoßend, dass ich erst mal Vereinsmitglied sein muss, bevor ich Suizidhilfe in Anspruch nehmen kann. Viele Menschen, die akut an einem schweren Krebsleiden erkranken, haben vorher nie über Sterbehilfe nachgedacht. Sie sind plötzlich mit der Situation konfrontiert, an ihrer Krankheit zu verzweifeln. Für sie ist es eine Zumutung, sich auf dem Krankenbett noch mit einer Vereinsstruktur zu beschäftigen oder Mitglied zu werden oder Beiträge zu zahlen. Aber deswegen haben wir nicht etwa vor, Herrn Kuschs Verein zu verbieten.

Kusch: Das widerspricht allem, was Sie in den letzten Monaten öffentlich gesagt haben. Lassen Sie unseren Verein doch endlich in Ruhe!

Lauterbach: Das tun wir doch. Ein Vereinsverbot ließe sich nur strafrechtlich durchsetzen, die Verfasser anderer Gesetzesentwürfe streben das tatsächlich an – wir nicht.

Worum geht es dann?

Lauterbach: Wir wollen ein zusätzliches, niedrigschwelliges Angebot schaffen, bei dem auch derjenige auf Sterbehilfe durch Ärzte zurückgreifen kann, der in keinem Verein Mitglied ist. Sterbehilfe soll eine Aufgabe sein für alle Ärzte, die das wünschen – und von allen Menschen genutzt werden dürfen, die das wünschen. Und wenn sich diese Auffassung durchgesetzt hat, dann, das jedenfalls ist unsere Vermutung, sind Vereine wie der von Herrn Kusch gar nicht mehr notwendig.

Kusch: Das ist doch Unsinn. Schauen Sie nur in die Schweiz. Dort hat die Sterbehilfe-Organisation Exit einen geradezu explosionsartigen Zuwachs an Mitgliedern. Aktuell hat sie 90.000 Mitglieder, und das, obwohl die ärztliche Bereitschaft, Suizidhilfe zu leisten, in der Schweiz laut Umfragen viel höher ist als in Deutschland. Warum also gehen die Leute trotzdem zu Exit? Weil sie selbst in der Schweiz praktisch nicht wissen, an welche Ärzte sie sich wenden sollen, um an das Rezept zu kommen.

Lauterbach: Sie haben doch in Wirklichkeit bloß die Befürchtung, dass im Bundestag nicht unser sehr liberaler Antrag, sondern ein Verbotsantrag für Sterbehilfevereine durchkommt. Deswegen verunglimpfen Sie jetzt jegliche gesetzliche Neuregelung. Aber Sie werden nicht erreichen können, dass wir nicht beschließen. Es wird ein Gesetz geben.

Kusch: Das befürchte ich auch. Und sollte sich tatsächlich Ihr Antrag durchsetzen, dann sage ich Ihnen voraus: Sowohl das Selbstbestimmungsrecht der Patienten wie die Berufsfreiheit der Ärzte wie auch unsere Vereinstätigkeit werden erheblich eingeschränkt werden – und zwar durch die Kriterien, die Sie aufstellen. Demnach darf Suizidhilfe ja nur noch geleistet werden, wenn es sich um eine unumkehrbare, zum Tode führende Krankheit handelt. Die 90-jährige, multimorbide Frau, die bei uns Mitglied ist und Hilfe möchte, um sich selbst töten zu können, hat aber keine Krankheit, die unumkehrbar zum Tode führt. Sie hat tausend Zipperlein, sie erträgt die Last des Lebens nicht mehr, sie will nicht ins Pflegeheim. Für uns sind das akzeptable Gründe.

Lauterbach: Ich halte allein schon Ihr Beispiel für ein Trauerspiel. Der lebenssatten Frau, die niemandem zur Last fallen oder nicht ins Pflegeheim will und deswegen überlegt, sich umzubringen und dazu auch noch die Hilfe eines Arztes zu beanspruchen, der müssen wir aus meiner Sicht anders helfen als mit der Sterbehilfe.

Kusch: Herr Lauterbach, das ist anmaßend!

Lauterbach: Nein, das ist meine Meinung.

Kusch: Sie sitzen hier als Vertreter des Deutschen Bundestags. Und der Deutsche Bundestag maßt sich an, ein Volk von achtzig Millionen Menschen per Gesetz in ihrer Lebensführung in die Kategorien richtig – falsch und ethisch korrekt – ethisch unkorrekt einstufen zu wollen.

Lauterbach: Das ist abwegig.

Kusch: Alle vier Gesetzentwürfe maßen sich an, den Menschen vorzuschreiben, wie sie ihr Leben zu führen haben. Wenn eine Frau mit neunzig Jahren lebenssatt ist, geht es den Deutschen Bundestag überhaupt nichts an, was sie mit ihrem Leben macht.

Es gibt keine Grenzen der Selbstbestimmung?

Karl Lauterbach

52, ist Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion. Er ist Professor für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie in Köln.

Lauterbach: Unser Antrag tastet das Recht auf Selbstbestimmung doch gar nicht an. Die 90-jährige, lebenssatte Frau kann sich selbst umbringen, wenn sie das für richtig hält…

Kusch: Wie denn? Wie denn?

Lauterbach: Sie kann einen Arzt bitten, ihr zu helfen, sie kann einen Nicht-Arzt bitten, ihr zu helfen, sie kann in die Schweiz reisen, sie kann Ihren Verein aufsuchen. Nichts davon verbieten wir in irgendeiner Weise strafrechtlich. Ich persönlich bin nur der Meinung, dass die vielen Menschen bei der Suizidhilfe Priorität genießen sollten, die todkrank sind und schwere Leiden haben. Für Ärzte, die diesen Menschen aus humanitären Gründen helfen, wollen wir explizit Rechtssicherheit. Die anderen Fälle sollen die Ärztekammern und die Menschen selbst regeln.

Kusch: Sie können doch nicht sagen, Sie schaffen Rechtssicherheit für einen Teil der Patienten, und der andere Teil bleibt im Nebel. Woher nehmen Sie eigentlich das ethisch-moralische Recht, der Frau die Suizidhilfe zu versagen?

Lauterbach: Darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, für welchen Arzt mit welchen Patienten ich auf jeden Fall erreichen will, dass die Ärztekammer ihm die Suizidhilfe nicht verbieten darf.

Wo genau verlaufen denn die Grenzen für den Staat, sich in intimste Entscheidungen am Lebensende einzumischen?

Kusch: Herr Lauterbach, Sie jedenfalls schaffen mit Ihrer Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch ein Einfallstor für zusätzliche Strafrechtsrisiken für Ärzte. Die Regelung hat auch auf die strafrechtliche Bewertung jeglicher Handlung erhebliche Auswirkungen. Wenn ein Arzt sich über Ihr Gesetz hinwegsetzt, wird jeder Staatsanwalt das als Motiv interpretieren, dass der Arzt die Rechtsordnung sowieso nicht ernst nimmt, und wird dann doppelt und dreifach prüfen, wie der Arzt denn die Willensbildung des Patienten geprüft hat oder wie er die Alternativen zum Suizid besprochen hat. Gegen mich läuft bereits ein Strafverfahren.

Wegen der Suizidassistenz an zwei Frauen hat die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen Sie und einen Arzt Anklage wegen Totschlags erhoben.

Kusch: Ja. Deswegen glaube ich aber immer noch an den Rechtsstaat. Eine Anklage ist schließlich noch kein Beweis für die Straftat. Wenn nun aber Ihr Vorschlag Gesetz würde, Herr Lauterbach, dann könnte ich hier nicht mehr ruhig sitzen. Die Staatsanwaltschaft prüft nämlich, und das ist ihr gar nicht vorzuwerfen, immer eine Gesamtschau – da geht es um die Lebenssituation der Sterbewilligen, um die Handlungsweise des Arztes sowie um meine Tätigkeit als Vereinsvorsitzender. Mit Ihrem Gesetz hätte die Anklage gegen mich eine ganz andere Substanz.

Herr Kusch, Ihr Verein ist manchen Menschen auch deswegen suspekt, weil Sie teilweise auffällig hohe Mitgliedsbeiträge verlangen.

Kusch: 7.000 Euro Mitgliedsbeitrag ist viel Geld, das will ich gar nicht bestreiten. Allerdings handelt es sich da um den einmaligen Betrag, den wir von Mitgliedern nehmen, die umgehend Suizidhilfe beanspruchen wollen. Damit wollen wir ein Signal senden, dass der Normalfall unserer Hilfe die lange Kenntnis des Mitglieds ist, und nicht der hektische Schnellbeitritt kurz vor dem Tod. Wenn jemand das nicht bezahlen kann, geben wir Ermäßigung. Es ist noch nie ein Sterbewunsch abgelehnt worden wegen Geld.

Ist es ethisch, für Suizidhilfe Geld zu verlangen?

Kusch: Wie soll es denn sonst gehen? Der Vorwurf, dass wir Geschäfte mit dem Tod machen, ist absurd. Ich selbst arbeite ehrenamtlich. Wir müssen Vereinsbeiträge nehmen, weil die Ärzte für uns nicht kostenlos arbeiten. Sogar ein Pfarrer bekommt Geld. Da könnte man sich ja auch fragen, ein Pfarrer spendet Segen, warum bekommt er Geld dafür?

Lauterbach: Ich finde die Kritik an der Höhe der Mitgliedsbeiträge auch irrelevant, weil es ja eine freiwillige Entscheidung ist, dem Verein beizutreten. Das Angebot, das wir mit unserem Gesetzentwurf schaffen wollen, soll übrigens kostenfrei sein. Die Kosten für ein paar hundert assistierte Suizidhilfen kann unsere Solidargemeinschaft tragen, das sind Ausgaben für die Ärmsten und Kränksten, da darf Geld aus meiner Sicht keine Rolle spielen.

Herr Kusch, was machen Sie, wenn Herr Lauterbachs Entwurf Gesetz wird?

Kusch: Im letzten Jahr haben wir 44 Menschen beim Suizid geholfen. Von denen dürften wir vielleicht künftig noch sieben bis zehn Menschen helfen. Dem Rest nicht. Ich finde das unmenschlich.

Roger Kusch

60, gründete den Verein „Sterbehilfe Deutschland“, der als einziger Beihilfe zum Suizid anbietet. Kusch war CDU-Justizsenator in Hamburg.

Lauterbach: Das heißt, die Mehrzahl der Menschen, denen Sie geholfen haben, ist gar nicht sterbenskrank?

Kusch: Es kommen zu uns Menschen, die sich ihr ganzes Leben nicht mit Suizid und Tod beschäftigt haben, und dann wird es plötzlich ganz schlimm, und sie kommen auf den letzten Drücker. Manchmal helfen wir innerhalb einer Woche. Aber diesen Menschen können wir nicht helfen, wenn wir beispielsweise einen zweiten Arzt brauchen bei der Begutachtung, wie Herr Lauterbach das fordert. Es ist schon schwierig für uns, überhaupt einen Arzt zu finden.

Lauterbach: Was ist das Problem daran, dass sich zwei Ärzte den Patienten anschauen? Im medizinischen Alltag ist es üblich, dass bei wichtigen Entscheidungen mehrere Ärzte eingebunden werden. Warum soll das bei der Feststellung, ob die Krankheit unumkehrbar ist und ob folglich Suizidhilfe gewährt werden darf, anders sein?

Kusch: Unsere Mitglieder sind verunsichert. Seit die Gesetzentwürfe diskutiert werden, kriegen wir dreimal so viele Anrufe wie sonst. Im Verein haben wir mehr als 90 Mitglieder mit grünem Licht, das heißt, dass wir ihnen auf Abruf Sterbehilfe leisten. Diese 90 Menschen werden immer ängstlicher.

Einer der zentralen Vorwürfe – übrigens gegen Sie beide – lautet, der Suizid werde zur gesellschaftlichen Normalität, wenn die ärztliche Beihilfe leichter zugänglich gemacht werde.

Kusch: Da greife ich doch gern die Zahl auf, die Herr Lauterbach immer wieder öffentlich nennt. Wenn wir die geschätzten 500 assistierten Suizide jährlich in Deutschland mit den 800.000 Sterbefällen vergleichen, dann wirkt diese Zahl doch sehr klein. Und selbst wenn man die 500 assistierten Suizide mit den 10.000 unbegleiteten Suiziden pro Jahr vergleicht, braucht man sich über das Wort der gesellschaftlichen Normalität keine Gedanken zu machen.

Lauterbach: Das sehe ich genauso. Es gibt international keinerlei empirische Grundlage für die Behauptung, wer den ärztlich assistierten Suizid erlaube, treibe damit die Zahl der Freitode in die Höhe. Die überhöhte Bedeutung, die dem Suizid in der allgemeinen Debatte mittlerweile zugeschrieben wird, liegt an ganz anderen Sorgen. Der Suizid wird vermischt mit der Debatte um Altersarmut, um die Vereinsamung alter Menschen, um die Möglichkeiten der Palliativmedizin und die Zukunft unseres Pflege- und Hospizsystems. Egal, was wir jetzt im Bundestag beschließen: Bei den Fragen, wie ältere Menschen sterben, wie viel Angst sie vor dem Tod haben oder wie sie sterben wollen, wird diese Gesetzgebung keine Rolle spielen.

Heike Haarhoff, 45, ist taz-Gesundheitsredakteurin. Sie hat sich gerade eine Vorsorgevollmacht ausstellen lassen

Karsten Thielker, 49, ist freier Fotograf in Berlin. Als Krisenberichterstatter ist er dem Tod fast täglich begegnet

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