EIN STIMMENSPLITTING IM BUNDESRAT SCHWÄCHT DAS LÄNDERPARLAMENT: Politik mit Rechenschieber
Der Einfall, die Macht der Parteispitzen durch die Möglichkeit des Stimmensplittings im Bundesrat noch weiter zu vergrößern, ist so genial schlicht, dass man sich zunächst nur fragt, warum eine entsprechende Grundgesetzänderung nicht längst verabschiedet wurde. Schon jetzt ist der Einfluss der Bundesebene auf die Länderkammer sehr viel größer, als die Eltern des Grundgesetzes das je beabsichtigt hatten. Könnten Koalitionsregierungen ihre Stimmen auch noch aufteilen, dann müssten die jeweiligen Parteizentralen künftig lediglich Order erteilen. Wenn die Fraktionsbildung im Bundesrat von der unschönen Praxis zur verfassungsmäßig erwünschten Norm wird, dann bringt niemand mehr die Kraft auf, sich gegen den Willen der bundespolitischen Führungsspitze zu stemmen.
Arithmetischer Blödsinn ist in diesem Zusammenhang das Argument, die Länderkammer müsse endlich der Möglichkeit beraubt werden, bundespolitisch notwendige Maßnahmen zu blockieren. Die Gefahr einer ausschließlich parteistrategisch bestimmten Blockade wäre ja sogar größer als bisher – und die Freiheit der Koalitionsbildung auf Länderebene gehörte endgültig der Vergangenheit an. Man sieht die Generalsekretäre der großen Parteien förmlich vor sich, wie sie die bundespolitischen Vorhaben mit dem Rechenschieber abgleichen und dann verkünden, welche Landesregierungen gebildet werden müssen. Die Parteisoldaten haben sich derart großen Einfluss gewiss schon lange gewünscht. Laut Grundgesetz sollen ihre Organisationen bei der politischen Willensbildung des Volkes lediglich mitwirken. Von einem Monopol ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede und schon gar nicht davon, dass es deren vornehmste Aufgabe ist, diese Willensbildung zu verhindern. Ungeachtet dessen haben sich die Parteien in der Vergangenheit keinerlei Zurückhaltung auferlegt. Das föderale Prinzip aber wirkte ihrer Allmacht bislang noch immer entgegen. So gab es im Bundesrat gelegentlich gemeinsame Initiativen von Landesregierungen unterschiedlicher Couleur, und immer wieder mussten sich Bundesregierungen das erwünschte Abstimmungsverhalten eines Landes mit finanziellen Zuwendungen erkaufen. Sehr lästig.
Wäre das Stimmverhalten im Bundesrat ebenso berechenbar wie im Bundestag, all das gehörte der Vergangenheit an. Retten können den Föderalismus derzeit nur die kleinen Parteien. Solange der SPD in deren Reihen mehr Koalitionspartner zur Verfügung stehen als der Union, so lange werden die Konservativen kein Interesse an einem Stimmensplitting im Bundesrat haben. Ausgerechnet die Kleinen als Garant des Föderalismus? Es ist weit gekommen. BETTINA GAUS
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