■ Die USA setzten auf dem Nato-Gipfel in Madrid kompromißlos die "kleine Lösung" durch: Die Osterweiterung beginnt mit Polen, Ungarn und Tschechien. Damit verwies die Führungsmacht die Westeuropäer, vor allem Frankreich, ins zweite Glied.: E
Die USA setzten auf dem Nato-Gipfel in Madrid kompromißlos die „kleine Lösung“ durch: Die Osterweiterung beginnt mit Polen, Ungarn und Tschechien. Damit verwies die Führungsmacht die Westeuropäer, vor allem Frankreich, ins zweite Glied.
Erste Zerreißprobe für „neue Nato“
Auch in der vielbeschworenen „neuen Nato“ bleiben die USA die Führungsmacht. Die Westeuropäer, zumal untereinander nicht einig, spielen weiterhin nur die zweite Geige. Seit Frankreich Ende der sechziger Jahre die Militärstruktur der Nato verließ, wurde die Vormachtstellung der USA in der westlichen Allianz nicht mehr so deutlich wie bei der Erweiterungsdiskussion auf dem Madrider Gipfel. Unter den Journalisten wurde in Anspielung auf die deutsche Euro-Diskussion kolportiert, Präsident Clinton habe seinen 15 Amtskollegen erklärt: „3 ist 3,0 – und dabei bleibt es“.
Ob wahr oder unwahr, das Bonmot kennzeichnet die Lage exakt. Zwar verhandelten die Chefbeamten der 16 Nato-Staaten bereits in der Nacht zum Dienstag zunächst, ohne einen Konsens über die Zahl der neu aufzunehmenden Länder zu erzielen. Insbesondere Frankreich, unterstützt von zwölf weiteren Nato-Staaten, drängte erneut, neben Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik in einer ersten Runde auch Rumänien und Slowenien aufzunehmen. Und auf der ersten Arbeitssitzung der 16 Staats- und Regierungschef gestern morgen vertrat Frankreichs Präsident Jacques Chirac diese Forderung noch einmal mit der Begründung, insbesondere Rumänien, aber auch Slowenien hätten alle Kriterien für eine Aufnahme erfüllt: Demokratisierung, marktwirtschaftliche Reformen und zivile Kontrolle der Streitkräfte.
Nach dieser Sitzung wurde am Mittag die Spannung noch einmal kurzzeitig erhöht, als die offizielle Bekanntgabe der Entscheidung verschoben wurde. Doch zu keinem Zeitpunkt seit ihrer Ankunft in Madrid am Montag ließ die Delegation aus Washington irgendeine Bereitschaft zum Kompromiß erkennen. Auch in der Frage eines konkreten Signals an die bislang neun anderen beitrittswilligen Staaten Osteuropas blieben die USA hart. Das Abschlußkommuniqué, das heute nachmittag veröffentlicht werden soll, enthält wahrscheinlich weder einen verbindlichen Zeitplan noch Ländernamen für eine zweite Beitrittsrunde. Nachdem die USA in den letzten Monaten den strategischen Einfluß Frankreichs in Afrika deutlich zurückgedrängt haben und auch eine Übernahme des Nato-Südkommandos durch Frankreich nicht zuließen, ist die Gipfelentscheidung von Madrid für Paris bereits die dritte Niederlage gegenüber Washington in jüngster Zeit.
Als bester Verbündeter von Präsident Clinton erwies sich in Madrid Großbritanniens Premierminister Tony Blair. In einem neunzigminütigen Vieraugengespräch im Hotelzimmer des US- Präsidenten machten die beiden in der Nacht zum Dienstag alles klar. Geradezu genüßlich verkündete Blairs Sprecher Allister Campbell gestern mittag, bereits Stunden bevor die 16 Staats- und Regierungschefs ihren gemeinsamen Beschluß gefaßt hatten, die neu begründete „special relationship“ zwischen London und Washington. „Es gibt drei neue Mitglieder. Punkt. Schluß!“ Schließlich sei „die Nato eine militärische Allianz und kein politischer Club“. Die Aufstockung um drei auf 19 Mitglieder sei der „größte Erweiterungsschritt in der 48jährigen Geschichte der Nato“. Durch die Aufnahme Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik würden das „europäische Nato-Territorium immerhin um 14 Prozent und die Außengrenzen der Allianz um 32 Prozent vergrößert“.
Und mit deutlichem Seitenhieb auf Frankreich wies Campbell darauf hin, daß Großbritannien „sein größtes bilaterales Verteidigungsprogramm mit Rumänien“ unterhalte, „weit größer als das Programm des Landes, das sich so vehement für eine Aufnahme Rumäniens in dieser ersten Runde einsetzt“. Während Frankreich und Großbritannien aus ihren klaren und entgegengesetzen Haltungen bei den internen Beratungen und vor der Presse keinen Hehl machten, glänzte die Bundesregierung in Madrid durch Positionslosigkeit und machte sich zum Gespött nicht nur der deutschen Journalisten. Außenminister Klaus Kinkel wiederholte seine Äußerung, die Bundesregierung könne mit der Erweiterung „um drei, vier oder fünf neue Mitglieder leben“. Über die Haltung von Bundeskanzler Helmut Kohl war nichts zu erfahren. Sein Sprecher Wolfgang Haussmann ließ eine für den Mittag angesetzte Pressekonferenz „mangels Masse“ absagen. Von anderen Delegationen wurde diese Positionslosigkeit diplomatisch höflich umschrieben mit dem Hinweis, Deutschland spiele auf Bitte von Nato-Generalsekretär Janvier Solana eine „Vermittlerrolle“ zwischen den USA und Frankreich. Doch deutlich wurde an diesem ersten Gipfeltag, daß von einer „Führung in Partnerschaft“ zwischen Washington und Bonn, mit der Clintons Vorgänger George Bush Kohl einst schmeichelte, keine Rede mehr sein kann. Andreas Zumach, Madrid
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