piwik no script img

Dyke* March Berlin am 23. Juli„Unabhängig, billig, flexibel“

Die Demo für lesbische Sichtbarkeit zieht zum 9. Mal durch Berlin. Alle, die Lesben gut finden, sind willkommen, sagt Mitorganisatorin Manuela Kay.

Für lesbische Sichtbarkeit auf die Straße: beim Dyke* March Berlin im Juli 2020 Foto: Christian Mang
Andreas Hergeth
Interview von Andreas Hergeth

taz: Manuela, wir kennen uns schon lange und duzen uns. An den ersten Dyke* March hier in Berlin im Jahr 2013 erinnere ich mich noch gut, damals waren wir Kollegen, es ging vom Frankfurter Tor zum Kottbuser Tor, zur Party im Südblock.

Manuela Kay: Wir sind jahrelang zum Südblock gelaufen, von unterschiedlichen Startpunkten aus. Aber wir können derzeit leider weder dem Südblock noch einer anderen Location zumuten, mit 5.000 Lesben vorm Tresen zu stehen.

Wie lief die Demo eigentlich letztens Jahr, unter Coronabedingungen?

Überraschend gut, wir waren so rund 4.000 Leute, damit hatte ich nicht gerechnet. Es gab ein strenges Hygienekonzept, da haben sich auch alle dran gehalten. Wir sind zum Brandenburger Tor gelaufen. Das war’s, es gab keine große Abschlussveranstaltung, weil es Menschenansammlungen zu vermeiden galt. Dieses Jahr ist der Mariannenplatz der Endpunkt.

Und Startpunkt das Brandenburger Tor …

… genau. Und wer will: Es gibt tatsächlich eine Party, organisiert von Sara Moshiri im Rahmen des Queer Garten im Festsaal Kreuzberg Biergarten – da gibt es den Dyke* Garten im Anschluss an den Dyke* March. Da können nicht alle Demoteilnehmerinnen hin, aber ein paar Hundert passen rein. Es ist eine Open-Air-Tanzveranstaltung, darauf freue ich mich sehr.

Bild: Tanja Schnitzler
Im Interview: Manuela Kay

geboren und aufgewachsen in West-Berlin; Journalistin, Autorin und Ko-Geschäftsführerin des Special Media SDL Verlags, Mit-Herausgeberin der Zeitschriften Siegessäule – Queer in Berlin sowie von L-MAG, Das Magazin für Lesben. Seit 2013 Mit-Organisatorin des Dyke* March Berlin. Buchveröffentlichungen u. a. „Schöner Kommen“ (Querverlag, 2000) „Sehnsucht nach Subversion“ (Querverlag 2021). Mit-Organisatorin des Pornfilmfestivals Berlin.

Eine Demo kostet Geld. Bislang haben l-mag und der Verlag Special Media SDL, in dem das lesbische Magazin erscheint, die Kosten getragen. Immer noch?

Nein, weil es im letzten Jahr dem Verlag coronabedingt nicht so dolle ging, haben wir gesagt, dass das anders gehen muss. So kam es zum Spendenaufruf. Und der war sensationell erfolgreich. Wir wollten aber auch nur 1.000 Euro, weil wir gar nicht mehr brauchten. Und dieses Mal brauchten wir nur 500 Euro für den Lautsprecherwagen – und das Geld war in fünf Tagen zusammen. Die Spendenbereitschaft und Solidarität da draußen gegenüber dem Dyke* March freut einen sehr.

So wenig Geld braucht es?

Ja, so eine Demo kostet gar nicht so viel. Auch wenn die großen CSDs immer etwas anderes erzählen … Man braucht nicht immer so große Bühnenaufbauten. Weltstars treten bei uns eh nicht auf. Und abgehalfterte Schlagerstars zu sehen und mit deren Auftritt die Sponsoren und ihre Gelder zu begründen, das finde ich nicht logisch.

Die Ordnerinnen sind ehrenamtlich dabei?

Alles ehrenamtlich. Ordnerinnen sind es so um die 30. Im Kern-Orgateam sind wir diesmal mit mir zu dritt, und für bestimmte Teilbereiche haben wir uns drei bis vier Unterstützerinnen dazu geholt, die sich konkret um Dykes on Bikes (lesbische Bikerinnen; fahren traditionell an der Spitze von Pride-Paraden und Dyke* March; Anm. d. Red.), um Ordnerinnen, um Social Media etc. kümmern.

Dyke* March Berlin

Das Vorbild stammt aus den USA: Der erste Dyke* March mit über 20.000 Teilnehmer:innen zog 1993 durch Washington. Schnell gab es andere Ableger in weiteren großen US-Städten. Traditionell findet die Demonstration für mehr lesbische Sichtbarkeit am Vorabend des CSD statt. Inzwischen ziehen Dyke* Marches in Kanada durch verschiedene Städte und in Europa zum Beispiel in London und eben Berlin.

Zum neunten Mal zieht am Freitag (23. Juli) der Dyke* March Berlin – die Demo für lesbische Sichtbarkeit – durch die Stadt. Treffpunkt ist um 19 Uhr das Brandenburger Tor. Es geht Unter den Linden entlang, über Friedrich-, Französische Straße an der Fischerinsel vorbei, über die Annen- und die Heinrich-Heine-Straße schließlich in die Oranienstraße und dann zum Ziel: dem Mariannenplatz in Kreuzberg. Abends gibt es eine Open-Air-Party im Dyke* Garten im Festsaal Kreuzberg, Ticket im Vorverkauf, Tickets auch an der Abendkasse erhältlich, es handelt sich um eine Veranstaltung für Getestete, Genesene und vollständig Geimpfte mit Nachweis. (heg)

Habt ihr eigentlich dieses Jahr ein extra Motto? Ich konnte keins auf der Homepage finden. Klar, es geht um Sichtbarkeit …

Wir haben nie ein extra Motto. Wir wollten den Dyke* March in Berlin von Anfang an ganz eng am amerikanischen Vorbild halten. Das heißt: keine Reden, egal von wem, keine politischen Parteien, keine Sponsoren, keine großen Trucks –

– also das genaue Gegenteil von einem CSD der herkömmlichen Art.

Ja. Denn damit hältst du es unabhängig, billig, beweglich und flexibel. Wir haben nur eine Botschaft: lesbische Sichtbarkeit. Deshalb heißt es immer „Für lesbische Sichtbarkeit und Lebensfreude!“ Diese Lebensfreude bezieht sich darauf, dass wir unsere politischen Forderungen natürlich jeden Tag irgendwie leben und dafür kämpfen müssen. Und am Dyke* March holen wir uns die Power und Energie dafür. Letztes Mal haben wir ein neues Banner gemacht: „Wir sind ein Haushalt“, um uns auf die Coronalage zu beziehen und diese engen Vorstellungen von einem Haushalt aufzusprengen und zu sagen, dass wir alle zusammengehören. Das ist aber auch kein Motto, sondern ein Statement.

Also kein Motto – aber politische Forderungen!?

Die Forderungen müssen die Teilnehmenden selber auf ihre Schilder schreiben. Den Dyke* March muss man ein bisschen selber machen.

Zum zehnjährigen Jubiläum von l-mag haben du und deine Mitstreiterinnen den Dyke* March 2013 nach Berlin geholt.

Party machen ja alle zu einem Jubiläum. So kam die Idee auf, einen Dyke* March zu organisieren. Ich bin ja immer schon sehr Nordamerika-affin, ich hab mir viel von der dortigen LGBTI-Bewegung abgeguckt, da kann man viel lernen – okay, vieles ist auch gruselig. Mein erster Dyke* March war 1994 in New York, das hatte mich so sensationell empowert, wie man modern sagt.

Damals sagte man geflasht.

Genau! Dann war ich in San Francisco beim Dyke* March und fragte mich, warum es so etwas eigentlich nicht in Europa gibt. Und dann kam die Idee, zum Jubiläum das zu machen, wofür unser Magazin steht: lesbische Sichtbarkeit. Das hat super gut eingeschlagen. Nach dem Folgejahr gab es die ersten Dyke* Marches auch in Hamburg und Köln und daraus wurde ein Schneeballeffekt, es gibt mittlerweile rund 15 Dyke* Marches in Deutschland. Darauf sind wir natürlich stolz, dass wir zur richtigen Zeit den richtigen Funken entzündet haben.

Siehst du einen gesellschaftlichen Fortschritt, Stichwort lesbische Sichtbarkeit, wenn du die Zeit von 2013 bis heute betrachtest?

Na ja, lesbische Sichtbarkeit klingt nicht so sexy, ehrlich gesagt. Das ist ja eher eine Grundforderung. Sie ist aber leider notwendig, weil Lesben immer noch die unbekannten, mysteriösen Wesen sind. Und leider zwischen queer und nichtbinär und allen möglichen Kategorien, die als Erweiterung von schwul-lesbisch toll sind – aber halt keine wirkliche Erweiterung, weil so ein Verschwinden von Lesben stattfindet. Da muss man dagegen halten. Na ja, ich kann das mit der Sichtbarkeit auch schon nicht mehr hören. Man kann das anderen auch so schwer erklären. Wie, du sitzt doch vor mir, du bist doch nicht unsichtbar! Aber die gesellschaftliche Repräsentanz verschwindet immer mehr.

Und die Schwulen?

Schwule haben es geschafft, sichtbar zu sein und zu bleiben. Trans*­Men­schen schaffen es glücklicherweise immer mehr, sichtbar zu werden, das finde ich toll. Nichtbinäre kommen jetzt ins Bild, das ist auch gut. Aber Lesben verschwinden – und das finde ich nicht gut. Darum gibt es den Dyke* March, der auch zeigen soll, dass nicht nur Lesben für Lesben auf die Straße gehen, weil ja auch alle anderen für und mit uns auf die Straße gehen können.

Jeder darf mitlaufen?

Alle. Alle, die Lesben gut finden, sind willkommen.

Eine Frage nach den Begrifflichkeiten von wegen queer versus schwul etc., wie ist das bei dir?

Ich hab mich schon seit den 1990ern, seit ich in den USA dieses Wort gelernt habe, als queer bezeichnet, weil ich es cool fand. Jetzt bezeichne ich mich wieder als lesbisch, weil ich es politisch wichtig finde. Also ich bin lesbisch, queer, ich bin Butch … meine Güte, man muss das alles auch nicht so super ernst nehmen.

Die ganze Diskussion ist so akademisch verbrämt.

Ja. Aber mit akademischem Theorien hat mein Leben nur bedingt zu tun. Und das vieler anderer auch. Diese internen Streitigkeiten finde ich unerträglich. Klar, wir stecken da immer wieder mittendrin, und wenn du in einem queeren Verlag Magazine (neben l-mag auch das queere Berliner Stadtmagazin Siegessäule; Anm. d. Red.) machst, ist das dein täglich Brot. Aber die Territorialkämpfe sind mir echt fremd. Ich weiß durch meine langjährige Zusammenarbeit mit Schwulen, dass das anders geht. Klar muss man sich manchmal gegenseitig den Kopf waschen, und auch – ja, sagen wir mal: klare Kante zeigen. Aber sich gegenseitig ständig zu bekriegen und zu beschimpfen! Lesben gegen Trans*Menschen, Queere gegen Bisexuelle oder Nichtbinäre gegen Intersexuelle – das beschädigt uns nur. Das ist politisch total falsch und schädlich und spielt denen in die Hände, die unsere wirklichen Feinde sind. Deshalb bin ich nicht dafür zu haben, deshalb ist der Dyke* March auch nicht dafür zu haben.

Zersplitterung mindert die Schlagkraft.

Es mindert die Schlagkraft. Aber es ist manchmal eben auch schwierig. Ich war auf CSDs, wo ich bei Trucks von Mercedes Benz und Ryanair auch nicht mehr dabei sein wollte. Das ist nicht meins. Da finde ich mich überhaupt nicht wieder. Dennoch, und das ist wichtig zu sagen: Der Dyke* March ist keine Konkurrenz zu irgendeinem CSD. Es ist ein Ausrufezeichen hinter Gay Pride. Wir sortieren uns nirgendwo dazu und sind auch nicht das lesbische Feigenblatt eines männlich dominierten CSD. Wir sind unsere eigene Veranstaltung. Wir zeigen aber durchaus unsere Sympathie für jeden CSD, der stattfindet.

Was ganz anderes zum Schluss: Berlin wählt im September ein neues Abgeordnetenhaus. Welche Regierende oder Regierenden Bür­ger­meis­te­r:in würdest du dir wünschen?

Hach (lacht).

Also ich könnte mit Franziska Giffey leben, weil ich sie tatsächlich für sehr feministisch halte, und das finde ich gut

Manuela Kay

Eine Kollegin und ich haben das letztens diskutiert und fänden Klaus Lederer ganz gut …

Also ich könnte mit Franziska Giffey leben, weil ich sie tatsächlich für sehr feministisch halte, und das finde ich gut. Ich könnte auch sehr gut mit Klaus Lederer als Bürgermeister leben, weil ich den für integer halte. Die Grünen sind mir ehrlich gesagt mittlerweile zu spießig geworden. Aber ich könnte auch mit Frau Jarasch – nur kenne ich sie überhaupt nicht, das ist ihr Problem. Aber das alles ist losgelöst von den Parteien, wenn du mich jetzt nach Personen fragst.

Eine kurze Bilanz von Rot-Rot-Grün, jetzt, wo die Legislaturperiode bald zu Ende geht, die sich ja die Unterstützung von queeren Projekten auf die Fahnen geschrieben hatten?

Da hat sich tatsächlich viel getan, dass muss ich wirklich sagen. Ich finde, dass Berlin da durchaus eine Vorreiterstellung hat. Dirk Behrendt (der Justizsenator; Anm. d. Red.) hat da sehr viel getan. Und ich sag mal, dass sich Michael Müller nicht gewehrt hat, mehr hat er aber nicht getan (lacht).

Ein gutes Zeugnis also?

Relativ, ja. Wobei ich finde, dass unsere momentanen Probleme in Berlin nicht so sehr in der Förderung von schwul-lesbischen Projekten liegen, sondern im Stoppen dieses Mietenwahnsinns. Denn wenn wir alle keine Wohnung mehr haben, können wir auch keinen LGBTI-Aktivismus mehr machen. Das finde ich das viel wichtigere Thema. Da ist politisch noch viel Luft nach oben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!