Durchs himmelhochjauchzende Dröhnland: Rockin' Körnerfresser
■ Die besten, wichtigsten und unwichtigsten Konzerte der kommenden Woche
The Seer haben einen Bassisten. Der heißt Nils Möller und glaubt, seine Band habe eine Platte aufgenommen, „die wir auch in vielen Jahren noch anhören können, ohne daß wir weniger stolz darauf wären“. Um Zeitlosigkeit also geht es bei „Liquid“, dem aktuellen Tonträger des Augsburger Quintetts. Dummerweise ist eine der ältesten Regeln der populären Musik die, daß sich Zeitlosigkeit und Pop-Appeal nur in den seltensten Ausnahmefällen miteinander versöhnen lassen. Für solch glückliche Moment der Pop-Historie braucht es schon veritable Genies wie Brian Wilson und John Lennon. Und soviel ist sicher: In Augsburg ist vorläufig keines ansässig. The Seer machen fröhlichen Pop mit lustig jingelnden Gitarren. Musik, zu der man ganz knorke Light-Bier trinken kann oder eine Weinschorle. Das ist jetzt nicht mal böse gemeint. Wirklich. (Das glaubt mir wieder keiner)
11.9., 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
Musik, in der gerade nichts Grundsätzliches mehr passiert, neigt dazu, immer verspielter, verschachtelter und bis in die letzten Ecken ausformuliert zu werden. Im Gitarrenrock, der selbst sein Chartspotential überlebt hat, geschweige denn eine avantgardeverdächtige Gegenwart hat, ist dieser Zustand schon so lange aktuell, daß eine Band wie Sans Secoursinzwischen doch schon wieder als aufregend gilt. Und das obwohl der Trick der inzwischen in Dortmund lebenden Österreicher eigentlich nur darin besteht, halb elegische, halb knackige Rocksongs mit ausufernden Instrumentalausflügen zu kontrastieren. Der Versuch, die elektrische Gitarre als Improvisationsinstrument neu zu etablieren, ohne gleichzeitig Jazzrock zu werden, gelingt zwar auf der ganzen Linie. Tatsächlich kann man auch selig von vergangenen Zeiten träumen, als jungshaftes Getue noch eine popmusikalische Dimension hatte, die nicht Prodigy hieß. Die entscheidende Frage aber bleibt: War's das? Oder: Fällt demnächst mal jemandem was Neues ein?
12.9., 22 Uhr, Privatclub, im Keller des Restaurants Markthalle, Pücklerstraße 34, Kreuzberg
Ach ja, ihn gibt es auch noch. TV Smith hat auch schon bessere Zeiten gesehen, damals Ende der 70er als Mastermind der Adverts, die nie recht aus der zweiten Reihe britischer Punkbands hervortraten, aber trotzdem mit „Gary Gilmores Eyes“ wenigstens einen Nummer-eins-Hit hatten. Seitdem hat er den Gebrauch von E-Gitarren immer mehr eingeschränkt und ist zum Singer/ Songwriter mutiert, bei dem nur mehr die manchmal auftretende Formelhaftigkeit der Texte noch an die Vergangenheit erinnert. „Its expensive to be poor“, singt er schwer sozialkritisch auf seiner letzten Platte. Mit dabei ein weiterer Held aus alten Politzeiten: Attila the Stockbroker
12.9., 20 Uhr, Tommy-Weißbecker-Haus, Wilhelmstraße 9, Kreuzberg
Auch in London reifen noch Jungsträume. „Stones“ heißt die erste Platte von Addict, Led Zeppelin geben sie als Vorbild und dann spannen sie bedeutungsschwangere und pathosgeladene Melodiebögen. „Natürlich klingen“ solle die Musik, sagen sie, sozusagen also die Körnerfresser-Variante des Hardrock. Falls ihr Name zu Mißverständnissen führen könnte, bauen sie vor: Drogen müssen nicht sein, süchtig wären sie allemal nach Snowboarding und Musik. Mit den Preisen und Risiken von Funsportarten kann man heutzutage immerhin tatsächlich noch Eltern erschrecken. Im Vergleich dazu wirken selbst Rekord bescheiden, wenn sie es rollen lassen und vom großen Wegfahren träumen. „Ich sitz zu Hause auf der Coach und hör zum dritten Mal Born To Run, ich will das auch, ich muß hier raus, so ein Scheiß, daß ich nicht fahren kann“, singen sie, aber die Bezugspunkte sind weniger bei Springsteen zu suchen als in der neuesten deutschen Vergangenheit, dem von Selig begründeten und ins Dreiste lappenden Selbstbewußtsein, auch noch jeden anglo-amerikanischen Stil 1:1 ins Deutsche zu übersetzen. Solange das einigermaßen funktioniert, ist es ja auch okay.
16.9., 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Man hört der Musik von Morning Again nicht sonderlich an, daß die Band damit rechnet, noch einmal die Sonne aufgehen zu sehen. Passenderweise stammt das Quintett aus Südflorida, wo der Dauersonnenschein offensichtlich aufs Gemüt drückt, denn dort entstand die prosperierendste Death-, Doom-, bzw. Thrash-Metal- Szene des Planeten rund um das legendäre Morrisound-Studio in Tampa. In selbigem haben Morning Again zwar nicht aufgenommen, aber ihr Dauerbrett ist trotzdem angemessen produziert. Das bedeutet in dieser Branche vor allem: Fett, laut, böse, höher, schneller, weiter.
Mit Length of Time, 17.9., 20 Uhr, SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg
Endgültig verabschiedet von englischen Texten haben sich Porf, nachdem man jahrelang recht unentschlossen zwischen den Stühlen hing. Schlußendlich ist das aber auch egal, weil Stephan Rürup eh nie viel singen durfte und wenn, die Stimme vorzugsweise lautmalerisch eingesetzt wurde. Ansonsten ist bei den Münsteranern alles beim alten, nur besser produziert. In einem inzwischen recht transparenten Sound loten Porf aus, was Rock aktuell hergibt, von langsam-meditativen Sequenzen bis zum mächtigen Gedonner. Das huscht mal schnell in den Jazz, macht Hardcore-Anleihen, bewirbt sich als Soundtrack zur nächtlichen „Space- Night“ und scheint doch immer sehr genau zu wissen, wo es hinwill. Bei aller offensichtlichen Durchdachtheit wird man allerdings den Eindruck nicht los, es hier mit einem Haufen Spinner zu tun zu haben.
17.9., 22 Uhr, Duncker, Dunckerstraße 64, Prenzlauer Berg, Eintritt frei! Thomas Winkler
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