Durchbruch am Holzmarkt: "Das wird hier keine Idylle werden"
Der Aufsichtsrat der BSR hat grünes Licht für den Verkauf des Geländes am Spreeufer gegeben. Die Erwartungen sind hoch - das wissen auch Christian Schöningh, Mario Husten und Juval Dieziger.
taz: Am Mittwoch hat der Aufsichtsrat der BSR den Kaufvertrag für das Holzmarkt-Gelände abgesegnet. Erleichtert?
Juval Dieziger: Ich bin ungeheuer froh. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal nachts an etwas anderes gedacht habe. Seit der Kündigung der Bar 25 habe ich nun fünf Jahre für dieses Projekt gekämpft. Ja, die Erleichterung ist riesig.
Ihre Holzmarkt Genossenschaft wurde im Verlauf des Bieterkrimis plötzlich zu everybody’s darling. Hat Sie das überrascht?
Am Mittwoch hat der Aufsichtsrat der BSR grünes Licht für den Verkauf des Grundstücks an die Holzmarkt Genossenschaft gegeben. Das bestätigte BSR-Sprecherin Sabine Thümler der taz: "Damit wird der notariell bekundete Kaufvertrag wirksam."
Bereits am 1. Oktober hatte der Vorstand der BSR der Genossenschaft den Zuschlag erteilt. Sie hatte sich in einem Höchstbieterverfahren gegen den Mitkonkurrenten Abris Lelberg durchgesetzt. Das Verfahren war in die Kritik gekommen, weil Lelberg selbst Mitglied im Aufsichtsrat der BSR ist. Lelberg war bei der Sitzung des Gremiums am Mittwoch nicht zugegen. Dem Vernehmen nach will er gegen die Vergabe nicht klagen.
Die Holzmarkt Genossenschaft plant auf dem nördlichen Gelände zwischen der Lichtenberger Straße, der Holzmarktstraße und der Bahntrasse ein elfgeschossiges Gebäude namens Eckwerk. Dort sollen unter anderem ein IT-Zentrum und ein Studentenwohnheim einziehen. Am Spreeufer auf dem südlichen Teil sollen ein Künstlerdorf sowie ein Club und ein Restaurant entstehen. Den östlichen Abschluss bildet ein Hotel. Zum Holzmarkt gehört auch ein Park mit einer Fläche von 6.000 Quadratmetern. (wera)
Mario Husten: Um Zustimmung zu bekommen, muss man transparent sein. Die Leute müssen wissen, wofür sie sein können. Bei uns war von Anfang an klar: Wir entwickeln ein Konzept und stellen es öffentlich zur Diskussion. Ob wir jetzt jedermanns Liebling waren, weiß ich nicht. Aber jeder hat gesehen, dass es in diesem Konzept Kultur gibt, dass es Arbeitsplätze gibt, dass Unternehmen angesiedelt werden. Es gab auch den Vorwurf, wir hätten alles reingeschrieben, was derzeit politisch aktuell ist. Vielleicht ist es aber auch deshalb aktuell geworden, weil wir es thematisiert haben.
Sie haben aber auch aktives Lobbying betrieben.
Husten: Wir haben aktiv für unser Konzept gekämpft, das ist richtig. Aber von wegen Erleichterung: Es ist ja kein Schlusspunkt. Es ist erst der Beginn. Jetzt müssen wir auf dem Grundstück das umsetzen, was wir versprochen haben. Daran werden wir gemessen. Wir sind gegenüber denen, die uns vertraut und die uns als Genossenschaft Geld gegeben haben, verantwortlich.
Die Erwartungen sind hoch. Haben Sie Angst, sie zu enttäuschen?
Christian Schöningh, 51, ist Architekt im Büro "Die Zusammenarbeiter". Er streitet seit langem für neue Wohnformen. Zum Holzmarkt stieß er im März 2012. Schöningh hat für die Holzmarkt-Genossen den Kontakt zur Stiftung Abendrot hergestellt. Mario Husten, 45, ist Ökonom, hat aber auch lange als Journalist, etwa für die FAZ, geschrieben. Später war er auch als Medienberater für Verlage tätig. Husten kümmert sich seit 2011 vor allem um den Aufbau der Holzmarkt Genossenschaft. Juval Dieziger, 37, ist gelernter Koch und Gründer der Bar 25. Zurzeit betreibt er das Restaurant Katerschmaus und den Club Kater Holzig. Der Schweizer hat auch als Schauspieler gearbeitet und nennt sich gerne "Business Hippie".
Husten: Wir müssen nun einen Schritt weiter, nicht nur inhaltlich, sondern auch organisatorisch. Auf dem Holzmarkt wird nicht der Kater oder die Bar wieder errichtet sein. Da geht es um Quartiersentwicklung. Angst wäre das falsche Wort. Respekt haben wir schon.
Christian Schöningh: Es geht auch um Verteilungs- und Eigentumsfragen. Wir werden nicht Grundstückseigentümer, sondern bekommen ein Erbbaurecht und fokussieren damit auf die Nutzung. Die Verteilfragen werden wir durch die Organisationsform der Genossenschaft beantworten. Aus beiden Aspekten kann viel Kraft entstehen. Daraus resultiert die ökonomische Basis: Es geht um gemeinsamen Mehrwert – ausdrücklich nicht nur in Euro. Und es geht nicht um Profitmaximierung.
Der Senat will landeseigene Flächen künftig auch an Interessenten verkaufen, die nicht das höchste Gebot abgeben, aber eine „Stadtrendite“ in Aussicht stellen. Auch wenn das beim Holzmarkt-Areal nicht zur Debatte stand: Wie hoch fällt denn da die Stadtrendite aus?
Dieziger (lacht): Fünfundzwanzig Prozent. Mindestens.
Schöningh: Es wird dort einen Park geben. Wer will, kann das in Euro umrechnen. Eine Grünfläche hat nach gängigen Kriterien nur noch 5 Euro pro Quadratmeter Wert für uns. Wir haben dem Land Berlin keine Rechnung dafür gestellt. Wir haben in einem Höchstbieterverfahren den Zuschlag bekommen und erlauben es uns trotzdem, ein Drittel der Fläche zu „entwerten“. Das ist in Euro gerechnet eine Stadtrendite von 6.000 Quadratmeter öffentliche Grünfläche, abgekauft zum Baulandpreis, also mehrere Millionen Euro. Hier passiert, was das Land am Mauerpark nicht machen will.
Husten: Man muss das nicht unbedingt in Euro umrechnen. Eine Brache wird zu einem lebenswerten Raum. Das ist Stadtrendite. Kunst, Kultur, die Gründerszene sind unbestreitbar wichtige Wirtschaftsfaktoren Berlins. Wir schaffen Arbeitsplätze in einem kreativen und sozialen Umfeld.
Dieziger: Die Bar 25 war ein bekannter Ort auf der ganzen Welt. Dieser öffentliche Mehrwert entsteht erneut.
Wie ist das für Sie biografisch? Werden Sie jetzt mit dem Holzmarkt alt? Richten Sie sich da ein?
Dieziger (lacht): Ich richte mich da ein.
Schöningh: Solche Projekte haben immer eine lange Laufzeit. Wir denken das in einem Zeitraum von zunächst mindestens zehn Jahren. Der Holzmarkt soll ja ein sich änderndes, wandelndes, wachsendes Projekt sein.
Husten: Aber das Projekt hängt natürlich nicht von einigen wenigen Personen ab, die sich da womöglich auf Lebenszeit einrichten. Entscheidend ist die gemeinsame Verantwortung für das Projekt. Ich engagiere mich, weil ich von der Idee, dem genossenschaftlichen Wirtschaftsmodell und vor allem von den Mitstreitern überzeugt bin. Gut, dass es jeden Tag mehr werden.
Die 90er Jahre waren in Berlin die große Zeit der Beweglichkeit. Jeder ist andauernd umgezogen. War das nicht auch ein Jungbrunnen, aus dem man viel Kraft schöpfen konnte?
Dieziger: Auf jeden Fall. Sich zu erneuern ist sicher etwas, was gerade in der Kultur immer was Positives ist. Es ist aber ein Unterschied, wenn man etwas aufbaut und viel Zeit investiert. Die Bar 25 war ein erfolgreiches Unternehmen, aber eine Nullsumme. Am Ende haben wir da nichts reinvestieren können, im Gegenteil: Wir mussten für den Kater wieder Kredite aufnehmen. Und dann nach zwei Jahren zu gehen, heißt: wieder viel gearbeitet, gelebt und am Ende „erfolgreich“ die Schulden bezahlt.
Husten: Das ist ein spannendes Thema. Baulich und unternehmerisch geht es genau darum, stetigen Wandel zu ermöglichen. Das wird ein spannender Mix aus Temporärem und sich festigender Infrastruktur.
Schöningh: Das ist auch ästhetisch und städtebaulich eine echte Herausforderung; es soll ja kein Freilichtmuseum werden.
Dieziger: Der Holzmarkt ist nicht mehr der Club mit einer Mauer drum herum. Es ist ein Künstlerdorf. Da wird das Provisorische, Experimentelle weiterhin wichtig sein. Im Dorf gibt es 30 Prozent Ankermieter, 40 Prozent sind „normale“ Mieter, Künstler und Handwerker, und 30 Prozent sind geförderte Räume. Die werden durch andere Einnahmen gedeckt. Wenn deren Mieter dann bleiben wollen, wird eine neue Hütte aufgebaut. Vielleicht kommt auch jemand und sagt, ich will da erst mal mein Zelt hinstellen. Und in einem Jahr sagt man: Das war super, was du gemacht hast, lass uns zusammen was Neues bauen. Das wird ein Dorf in stetigem Wandel sein.
Ist das nicht etwas zutiefst Spießiges, in eine Millionenmetropole ein idyllisches Dorf pflanzen zu wollen?
Dieziger: Man könnte statt Dorf auch sagen: das Kreuzberger oder Neuköllner Modell. Kleinteilig, gemischt. Der Hackesche Markt war mal der schönste Ort von Berlin. Jetzt sind da lauter Ketten drin.
Husten: Man soll da auch hinkommen, weil es den Bäcker gibt. Den Markt. Etwas, das mit eigener Hände Arbeit gemacht wird. Aber es wird mit Sicherheit keine Idylle werden. Der Widerspruch ist ja schon im Gesamtkonzept angelegt. Das Gründerzentrum hat baulich sicher wenig mit dem Dorf zu tun, steht aber direkt daneben. Das eine geht aber nur mit dem anderen. Zu Stadt gehört der Widerspruch.
Nach der Sitzung des BSR-Aufsichtsrats beginnen nun die Mühen der Ebene. Was werden die ersten Schritte sein? Ein neuer Bauantrag beim Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg?
Schöningh: Mit dem erworbenen Grundstück hängt der alte Bauvorbescheid zusammen.
Mit dem Sie das elfgeschossige Eckwerk auf dem nördlichen Teilgrundstück bauen können.
Schöningh: Genau, und auf dem südlichen gibt es Dorf und Park. Wir haben im Laufe des Bieterverfahrens auf der Grundlage unseres Konzepts einen neuen Antrag gestellt, der dem Änderungsbeschluss des Bezirks weitgehend entspricht, also alles eine deutliche Nummer kleiner. Und was mit dem B-Plan wird, kann uns im Grunde drei Jahre lang egal sein. So lange gilt der neue Bauvorbescheid. Der ermöglicht unser Konzept und gewährt dem Bezirk für diesen Ort ein als richtig beurteiltes Konzept.
Stehen Sie schon in den Startlöchern?
Husten: Ein Teil des Grundstücks wird gerade noch saniert. Es ist aber klar, was gleich zu Beginn passieren wird. Es wird eine provisorische Lösung für den Club und das Restaurant geben – und es wird mit dem Bau des Parks begonnen.
Wann werden Club und Restaurant wieder öffnen?
Dieziger: Wenn alles gut geht, im nächsten September. Danach bauen wir das richtige Restaurant und das temporäre kann wieder abgetragen werden.
Auf dem Gelände sollen Altlasten liegen.
Schöningh: Wir bekommen von der BSR ein teilsaniertes Grundstück. Gefahren gehen davon dann nicht mehr aus. Das bekommen wir schriftlich. Den Grund und Boden fassen wir danach nicht mehr an. Da kommt Muttererde drauf. Das wäre anders gewesen, wenn wir Keller oder Tiefgaragen gebaut hätten.
Und wann wird der Baubeginn für das Eckwerk sein?
Schöningh: Wenn alles gut läuft, frühestens in anderthalb Jahren. Also zuerst der Park, der temporäre Club und das Restaurant, dann Dorf und Eckwerk und am Ende das Hotel.
Dieziger: Die Idee ist, dass wir uns das Grundstück clustermäßig zurückerobern.
Kann man das so sagen: Sie stehen weniger unter Druck als ein Investor, weil Sie nicht den Kapitalmarkt bedienen müssen, sondern nur den Erbpachtzins?
Husten: Nur? Das ist ein wenig untertrieben.
Schöningh: Aber natürlich ist es so, dass die Stiftung Abendrot mit uns nach Lösungen sucht, wenn es Probleme gibt. Eine Bank würde da sofort die Daumenschrauben anziehen.
Husten: Jeder Teil des Projekts muss erstens für sich funktionieren und zweitens einen Beitrag für die Genossenschaft entrichten. Der Club und das Restaurant sind kein Selbstzweck, sondern tragen zur Wirtschaftlichkeit und damit auch zum Unterhalt des Parks bei, ebenso wie das Eckwerk und das Hotel. Wie gesagt, es geht nur gemeinsam.
Wie lange noch werden das Restaurant und das Holzig auf dem alten Gelände weitermachen?
Dieziger: Wir bleiben hier bis August 2013.
Es gibt aktuell Vorwürfe vom Holzig-Nachbarn Lichtpark, dass Sie denen gekündigt haben, um auf Ihr Grundstück zu können.
Dieziger: Die Holzmarkt Genossenschaft hat im Bieterverfahren erklärt: Wir stehen zu unserem Wort. Das gilt auch für den Kater Holzig. Wir waren und sind gesprächsbereit. Und es gibt immer zwei Seiten einer Medaille.
Zeigen die Vorwürfe, dass Ihnen ein anderer Wind ins Gesicht bläst? Dass Sie nicht mehr jedermanns Liebling sind?
Husten: Wind, der uns ins Gesicht bläst, sind wir gewohnt. Wir waren und wollen auch nicht jedermanns Liebling sein. Uns hat die Bereitschaft zum kritischen Dialog stets vorangebracht.
Sicher wird auch Visit Berlin einmal mit dem Holzmarkt werben. Werden Sie genervt sein, wenn jeden Tag organisierte Radtouren übers Gelände fahren und fotografieren?
Dieziger (lacht): Die organisierten Radtouren kommen nicht bei uns vorbei. Die Touristen werden dann viel eher vom Holzmarkt aus starten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“