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tellerrandDuftende Fleischspieße und Geständnisse

Das Hünkar

Durchs Fenster des Restaurants spannt sich eine große Brücke, kleine Lämpchen leuchten Spielzeugautos den Weg. Es ist die Brücke über den Bosporus, vom Orient zum Okzident. „Willkommen“ steht auf der Tür, deutsch auf dem einen Flügel, türkisch auf dem anderen.

Im Restaurant essen schweigend Männer. Eine Frau mit weißem Kopftuch geht von Tisch zu Tisch. Sie kann den zwei Fremden, die am Fenster Platz genommen haben, jede Frage beantworten. Hünkar ist eine Stadt in der Türkei, der „Kebab im Ofen gebacken“ wird in eine lange Teigrolle gefüllt und ins Rohr geschoben, und zum Hackfleischspieß serviert man Gemüse, wahlweise Reis oder Pommes, wenn es sein muss, auch mit „Ketschup und Majo“.

Bier transportiert der kleine Lastwagen auf der Brücke noch nicht. Die beiden Fremden entscheiden sich für eine Apfelschorle. „Und dann erzählt er mir, dass er das Hausmädchen gevögelt hat und dass er eine in London hatte und eine in Paris …“, sagt die Fremde. „Und als ich dann den Zwanziger in der Schublade gefunden hab, bin ich ausgerastet …“ Der Mann ihr gegenüber redet nicht so laut. Er rauft sich die Haare und gibt nett gemeinte, aber wenig hilfreiche Ratschläge von sich. Erst als der duftende Fleischspieß kommt, erhellt sich das Gesicht des Zuhörers. Auch die Betrogene schweigt für zwei Zehntelsekunden, als sie die große, dampfende Teigrolle vor sich sieht. „Das ist schon was anderes als so’n Döner!“, sagt sie. „Möchten Sie vielleicht noch etwas trinken?“, fragt die Frau mit dem Kopftuch in akzentfreiem Deutsch. „Ja, ich habe schon einen ganz trockenen Mund vom vielen Reden. Eine Apfelschorle noch bitte! … Und dann erzählt er mir von seiner Opernsängerin, und jedesmal, wenn er sie dort auf der Bühne gesehen hat, dachte er: Und mit diesen Lippen hat sie mir einen geblasen!“

Der junge Mann am Nebentisch, der gerade ein Stück vom Hefebrot abgerissen hat, zieht mit seinem Mittagessen ans andere Ende des Raums. Auch die vier Köche in ihren weißen Jacken runzeln die Stirn. „Ich glaube, der sucht nur eine zum Ficken …“ „Möchtest du mal probieren? Das ist der beste Fleischspieß, den ich je gegessen habe!“ Sie kostet, „wirklich gut – aber als er dann anrief und fragte, was denn mit mir los sei, nach diesen drei wundervollen Tagen im Bett …“ „Können wir zahlen?“ Der Zuhörer klappt sein Portmonee auf und sagt: „Das war wirklich gut! Ich habe noch nie einen so saftigen Spieß gegessen!“ „Danke!“ „Weshalb sprechen Sie eigentlich so gut Deutsch?“ „Weil ick ’ne waschechte Berlinerin bin!“, sagt die Frau mit dem Kopftuch. Der Zuhörer errötet.

„Mann“, sagt er, als er wieder allein ist mit seiner Erzählerin, „ich hab mich die ganze Zeit schon gefragt, was mit dem Kopftuch nicht stimmt!“ „Ich dachte, du hättest mir zugehört!“, sagt die junge Frau beim Hinausgehen und wirft noch einen Blick auf die Brücke im Fenster. Sie führt von Ost nach West, vom Orient zum Okzident. Im Fenster. HANS KORFMANN

Hünkar, Kottbusser Straße 10,

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