: Dürfen Mediziner aktive Sterbehilfe leisten?
■ Kieler Arztehepaar kämpft gegen Haftstrafen wegen Mord und Totschlag. Bundesgerichtshof entscheidet am Freitag
Karlsruhe (taz) – Ärzte sollen kranken Menschen Linderung verschaffen. Wenn sie jedoch ihren Patienten beim Sterben helfen, befinden sie sich schnell mit einem Bein im Gefängnis. Vor dem Bundesgerichtshof kämpft derzeit ein Kieler Arztehepaar um seine Freiheit. Dr. Dieter M. war wegen Mordes an einer 88jährigen Frau zu elf Jahren Haft verurteilt worden, seine Frau Cornelia wegen Totschlags zu drei Jahren.
Doktor M., ein Orthopäde, hatte die alte Dame wegen ihrer Kniebeschwerden behandelt und persönliche Bekanntschaft mit ihr geschlossen. Als die Patientin 1987 bettlägerig wurde, nahm Familie M. diese bei sich auf. Cornelia M., ehemals Ärztin, inzwischen Hausfrau, pflegte die Frau, so berichteten Zeugen, mit rührender Sorgfalt.
Die Angeklagten wollten das Sterben nur verkürzen
Am Todestag der 88jährigen hatte sich deren Gesundheitszustand dramatisch verschlechtert. Das Arztehepaar war sich fachlich unsicher und zog einen ihm unbekannten Internisten, Dr. S., hinzu. In einer nächtlichen Beratung einigte man sich darauf, der Patientin eine starke Dosis des Schmerzmittels Dolantin zu verabreichen, um ihr einen milden Tod zu ermöglichen. Der Tod trat tatsächlich eine Stunde später ein. Die Angeklagten sind sich sicher, daß sie den Sterbevorgang nur verkürzten.
Für das Kieler Landgericht stellte sich der Fall jedoch ganz anders dar. Die Richter unterstellten Dieter M., daß er den schnellen Tod nur deshalb herbeigeführt habe, um mit Hilfe eines manipulierten Testaments die äußerst wohlhabende Dame zu beerben. Das Urteil: Mord aus Habgier. Cornelia M. dagegen habe aus Mitleid gehandelt. Aber auch sie habe sich strafbar gemacht, da die aktive direkte Sterbehilfe (siehe Kasten) nicht zulässig sei. Für große Verwunderung sorgte jedoch, daß gegen den dritten Beteiligten, Dr. S., nicht einmal Anklage erhoben wurde, obwohl man sein Verhalten eigentlich nicht anders als das der Ärztin bewerten konnte.
Die Eheleute gingen in Revision beim Bundesgerichtshof, dem höchsten deutschen Strafgericht. Sie verwiesen auf die Aussagen der insgesamt 29 Sachverständigen, die im 18monatigen Kieler Mammutprozeß gehört worden waren. Deren Fazit lautete: Um einen schmerzfreien Tod zu ermöglichen, war die hochdosierte Dolantin-Gabe medizinisch durchaus angezeigt. Entfällt aber der Tötungsvorwurf, so wurde weiter argumentiert, kommt es auf die ohnehin umstrittenen Hintergedanken von Dieter M. nicht mehr an.
Die Staatsanwaltschaft fordert „lebenslänglich“
„Die Angeklagten und Dr. S. haben völlig offen gehandelt“, erklärte Johann Schwenn, einer der acht (!) Verteidiger. Dies zeige schon, daß man nicht das Gefühl gehabt habe, eine Straftat zu begehen. Das Urteil des Bundesgerichtshofs, das für Freitag erwartet wird, könnte für viele Ärzte wegweisend sein. Denn bisher ist die Zulässigkeit der bloß indirekten aktiven Sterbehilfe (siehe Kasten) nicht ausreichend geklärt.
Angefochten hat das Urteil auch die Kieler Staatsanwaltschaft, jedoch mit entgegengesetzter Richtung. Sie will beide Angeklagten „lebenslänglich“ hinter Gittern sehen. Überzeugen konnte sie jedoch nicht einmal ihre Kollegen von der Bundesanwaltschaft. Diese pflichtete gestern im wesentlichen der Verteidigung bei. Die Haltung der Bundesanwaltschaft war auch ausschlaggebend dafür, daß Dieter M. nach einem Jahr aus der U-Haft entlassen wurde. Christian Rath
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