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Dub von Roísín Murphy und Crooked ManGleich noch mal, aber ganz anders

Roísín Murphy veröffentlicht mit dem House-Pionier Richard Barratt „Crooked Machine“, einen Discodubmix als eigenständiges Werk.

Kann auch Dub: Discodiva Roísín Murphy Foto: Adrian Samson

I feel my story is still untold. But I’ll make my own happy ending“, hauchte Róisín Murphy mit dramatischem Pathos zum Auftakt ihres letztjährigen Hitalbums „Róisín Machine“ ins Mikrofon. Seit dem Ende ihrer in den 1990er Jahren das TripHop-Genre definierenden Band Moloko hat die gebürtige Irin mehrere Dancefloor-Soloalben und EPs veröffentlicht, die ihr die Reputation einer Nu-Disco-Diva einbrachten – nicht trotz, sondern vielleicht gerade wegen der Kompromisslosigkeit, mit der sie zielstrebig selbstbewusst-schrullige Dancefloor-Produzenten wie den Briten Matthew Herbert und den genialen US-Expat Maurice Fulton für die Produktion verpflichtet hatte.

Ging es bei Moloko bisweilen recht gechillt zur Sache, wurden auf Murphys Soloveröffentlichungen die Beats zwingender und die Inszenierungen sexueller: Inzwischen verfügt die 47-Jährige über eine beachtliche schwule Fangemeinde. Mit „Róisín Machine“, ihrem konzeptuell ausbalanciertesten Werk bislang, katapultierte sie sich 2020 als Solokünstlerin in absolute Superstar-Höhen – auch wenn ihre Idee von Stardom, wie ein eloquenter Kritiker schrieb, eher der Vorstellung entspricht, wie Cosey Fanni Tutti, die einstige Stripperin, radikal-feministische Perfomance-Künstlerin und Mitgründerin des britischen Industrial-Quartetts Throbbing Gristle, im Videoclip „You Make Me Feel (Mighty Real)“ zur Musik der queeren US-Disco-Ikone Sylvester tanzt.

Crooked Machine

Roísín Murphy: „Crooked Machine“ (Loaded/BMG)

„Róisín Machine“ wurde vom britischen House-Auteur Richard Barratt alias DJ Parrot alias Crooked Man produziert. Auch der Sheffielder ist mit dem Spagat zwischen Industrial und Disco ganz gut beschrieben, und auch seine Geschichte ist bislang außer in der taz kaum erzählt worden. Das könnte sich mit der Veröffentlichung von „Crooked Machine“ nun ändern, einer radikalen Eins-zu-eins-Dekonstruktion des Murphy-Albums, die sich genauso an den echoverhangenen und canna­bis­schwangeren Remix-Techniken jamaikanischer Produzenten orientiert wie an den experimentellen „Disco Dubs“ eines Larry Levan.

Gekrümmt, verwachsen und schief

Anders als traditionelle Remix-Sammlungen oder Instrumental-Alben verhält sich „Crooked Machine“ zu Róisín Machine“ wie Burning Spears’ „Garvey’s Ghost“ zum Vocal-Album „Marcus Garvey“. „Crooked“ heißt auf Deutsch verwachsen, gekrümmt, aber auch schief und betrügerisch – auf sein Original bezieht sich „Crooked Machine“ als Mutation und Reduktion, als Wurmfortsatz und geisterhafte „Hauntology“.

Als DJ Parrot oder unter seinem „Bucklicht Männlein“-Alias prägte Richard Barratt mehr als 30 Jahre Clubmusik in seiner nordenglischen Heimatstadt Sheffield, der Heimat von Synth- und Industrial-Acts wie Cabaret Voltaire und Heaven 17, dem „Intelligent Techno“-Label Warp, Elektronikduos wie Autechre oder Moloko und Wahlheimat von Maurice Fulton und seiner Partnerin, der japanischen Sängerin Mutsumi Kanamori.

In Sheffields postindustrieller Atmosphäre organisierte Barrat Mitte der 1980er Jahre Partys im legendären Club „Jive Turkey“. Dort lief Jazz Dance und Electro, früher HipHop, Soul und Disco – Genres, aus deren Mischung sich nahezu zeitgleich in New York und Chicago House entwickeln sollte. Und anders als auf den vorwiegend weißen Northern-Soul-Allnightern war auch das Publikum im „Jive Turkey“ gemischt.

Im Bann der elektronischen Tanzmusik

Durch seine Tätigkeit als DJ lernte Parrot Richard H. Kirk von Cabaret Voltaire kennen, der zunehmend in den Bann der neuen elektronischen Tanzmusik geriet, aber anders als die jungen DJs ein eigenes Studio besaß. Zusammen formten die beiden das Duo Sweet Exorcist – den Namen hatten sie sich von einem Curtis-Mayfield-Album ausgeborgt.

Die Sounds, die sie sampelten, bestanden zum Teil aus echolotartigen, synthetischen Studio-Testtönen, wie sie auch jamaikainische Dub-Produzenten gerne am Anfang von Tracks verwendeten, nur um sie dann in analogen Tape-Echos zu ertränken. „Testone“ von Sweet Exorcist wurde zu einem großen Rave-Hit; ihre „CC EP“ auf Warp prägte das Bleep-Techno-Genre und klingt in seiner primitive Loop- und Layering-Ästhetik auch 30 Jahre später noch erstaunlich visionär und psychedelisch, hat man die richtigen Drogen zur Hand. Sweet Exorcist veröffentlichten auch das erste Album bei Warp.

Im Laufe der Jahre verschwanden ihre Bleeps zugunsten von retrofuturistischen Disco- und House-Elementen und Barrat hat inzwischen ein neues Zuhause bei DFA, dem New Yorker Label des seelenverwandten LCD-Soundsystem-Frontmanns und Disco-Archäologen James Murphy gefunden.

Ihr Gesang kehrt als Echo zurück

Auf „Crooked Machine“ gibt Barratt seinen Tracks reichlich Luft zum Atmen; Róisín Murphys Gesangslinien sind bis auf einen gelegentlich aus der Echokammer kurz auftauchenden Chorus abwesend. „Less is more“ heißt der Remix von „Something More“ und das ist durchaus programmatisch zu verstehen. Wo „Narcissus“ im Original sich etwa mit symphonischen Disco-Streichern aufbaut, um dann nach etwa einer Minute Stimme und einen zwingenden Bass zu droppen, mixt „Echo Returns“ ein Element auf Tracklänge in den Vordergrund, das man im Original gar nicht bemerkte: das Klöppeln einer alten Rhythmus-Box, wie man sie von Shuggie Otis und Sly Stone kennt.

„We Are the Law“, die version von „Murphy’s Law“, beginnt nun mit einem A-cappella-Chorus, der nach ein paar Wiederholungen im Hall verschwindet, um dann Schlagzeug und Bass die Bühne zu überlassen. Diese Interpretation von Dub erinnert an King Tubby und Lee Scratch Perry. Zugleich kehrt Barratt damit in die kreative Zwischenzeit der frühen 1980er Jahre zurück, in der Disco wieder Underground-Musik und House noch nicht geboren war.

Anders als die ersten Remixer der 1970er Jahre, deren Job es war, Songs von Radiolänge auf das neue Format der 12“- Maxi-Single zu dehnen und einen durchgehenden Beat zu etablieren, wagten Remixer auf den B-Seiten von New Yorker Disco-Labels wie Prelude oder West End einen experimentelleren, dekonstruktiveren Zugang. Sie versuchten Tänzer in Rage zu treiben, indem sie Tonspuren mit Sound-Effekten belegten oder ganz herausnahmen, nur um sie mit umso größerem Wumms wieder zurückbringen.

Reggae und Disco im wechselseitigen Austausch

Der Austausch von Reggae und Disco war keine Einbahnstraße: Reggae-Größen wie Sly & Robbie produzierten zusammen mit dem aus Benin stammenden Synthesizerpionier Wally Baadarou in den Compass Point Studios in Nassau auf den Bahamas nicht nur wegweisende Alben von Grace Jones und Tom Tom Club, in denen sich Dub-Feel und modernste Studiotechniken zu einem elektronischeren Discoverständnis verbanden, sondern auch Gwen Guthries legendäre „Padlock“-EP, deren Mixdown vom Paradise-Garage-Maestro Larry Levan besorgt wurde.

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Anders als beim Reggae blieben Dub-Versionen ganzer Dancefloor-Vokal-Alben gleichwohl eine Seltenheit (man denke etwa an „Night Dubbing“ von Imagination und Massive Attacks „No Protection“). „Crooked Machine“ ist somit nicht nur ein Happy End für Richard Barratts lange, aber oft unbeachtet gebliebene ­Produzentenkarriere, sondern auch ein großer Beitrag zum vielleicht kleinsten Genre der Welt. Und Róisín-Murphy-Fans können sich beim Hören des Albums mit Bob Marley sagen: „Baby, you so nice – I’d like to do the same thing twice!“ Dass Marley kein großer Dub-Freund war, steht auf einem anderen Blatt.

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1 Kommentar

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  • "eine beachtliche schwule Fangemeinde"

    dann oute ich mich mal als nicht-schwule Minderheit...