piwik no script img

Du weißt nicht, wie, und nicht, wo, und nicht, wann

Die Berliner Band SIND hatte einen der schönsten Sommerhits, die kein Hit wurden. Heute stellt das ungoogelbare Quintett sein Debütalbum „Irgendwas mit Liebe“ im Säälchen vor

Von Thomas Winkler

Da braucht man schon Selbstbewusstsein, eine Band SIND zu nennen. Klar, da steckt viel drin: Schließlich ist das Wörtchen „sind“ nicht nur irgendeine Konjugation des Hilfsverbs „sein“, sondern auch noch die erste und dritte Person Plural. Wir, sie und das Sein – darunter macht es das Quintett aus Berlin nicht. Und dann noch das: Das Wort beginnt mit „Sin“ wie Sünde und endet auf ND wie Neues Deutschland. Aber das führt jetzt dann doch vielleicht zu weit. Aber eins ist schon mal sicher: Wer sich SIND nennt, muss fest daran glauben, dass seine Musik so gut ist, dass sie auch gefunden wird, obwohl man quasi ungoogelbar ist.

Nun, da das Debütalbum von SIND erscheint, wird man sehen, ob „Irgendwas mit Liebe“ tatsächlich gut genug ist, dieses Manko zu überwinden. Aber man darf sagen: Die Chancen stehen nicht schlecht. Aus Berlin jedenfalls ist schon lange nicht mehr solch ein intelligenter und zugleich doch eingängiger Indie-Rock gekommen. Dafür war bislang ja eher Hamburg zuständig, auch wenn einige der wichtigsten Diskurs-Pop-Protagonisten längst in Berlin leben.

Dabei haben SIND eine Geschichte, die sehr Berlin ist. Nicht nur haben sich drei Fünftel der Band, Sänger Arne und die beiden Gitarristen Hannes und Max, bereits auf einem hiesigen Schulhof kennengelernt – es kamen auch noch die fehlenden zwei Fünftel, Schlagzeuger Ludwig und Bassist Mathias, im Kater Blau dazu. Der Club auf dem Holzmarkt, Nachfolger der legendären Bar25, war das Wohnzimmer der Band, dort wurde geprobt für das erste Konzert im Januar 2014.

Dort entstanden auch die Songs für die erste EP, die Ende 2016 erschien. „Deine Magie“ ist einer der besten Sommerhits, die leider kein großer Hit wurden. Ein Song, der golden strahlt, aber mit jener feinen Melancholie unterlegt ist, die die herbstliche Ernüchterung bereits vorwegnimmt. Ein Stück Musik also auch, das genau jene Stimmung einfängt, die da an der Spree herrscht zwischen der allabendlichen Restaurierung des glorreich-hedonistischen Arm-aber-sexy-Berlin und dem Bewusstsein, dass all das längst vom Aussterben bedroht ist.

Die Songs sind Berichte aus einem Mikrokosmos, behalten aber den Horizont im Blick

Von diesem Schwebezustand, aus dieser Zwischenzeit berichtet nun auch das erste Album von SIND. „Du weißt nicht, wie, und nicht, wo, und nicht, wann/ Aber glaub mir, wir kommen irgendwann an“, singt Arne. Es ist, so sagt die Band, eine Botschaft an die eigenen Eltern, die sich keine Sorgen machen sollen, was aus den Söhnen wird. Es ist aber vor allem nicht das einzige Mal, dass die Songs von Menschen berichten, die auf der Suche sind. Auf der Suche nach einem Job, nach der Liebe, nach dem Sinn im Leben, nach dem Leben selbst, nach sich selbst, vielleicht auch nur nach dem nächsten WLAN-Spot oder auch nach einem Nachnamen, auf die die fünf von SIND immer noch verzichten.

Aber, und das macht wohl ihre Größe aus: Die Songs von SIND sind Befindlichkeitsberichte aus einer Nische, aus einem Mikrokosmos, behalten aber den Horizont, das große Ganze, im Blick. Wenn in „Alpinaweiß“ der Protagonist mal wieder seine Wohnung renoviert, dann will er einen Neuanfang wagen nach dem Ende einer Beziehung. Aber das Lied erzählt natürlich auch von einem, der hofft, seinem Leben einen Neuanstrich zu geben. Und dann gibt es noch jenen Partygänger, der sich im Titelsong ehrlich einführt: „Hallohallo, ich bin Narzisst.“ Auch hier wird ein Einzelschicksal zum Fallbeispiel für eine Kultur, wird eine individuelle Geschichte zur Zustandsbeschreibung einer Stadt.

Das alles vertonen SIND mit elegantem Understatement. Die Gitarren geben das Gerüst, bleiben aber stets zurückhaltend, und der Rhythmus tuckert entspannt im mittleren Tempo wie eines jener selbst zusammengezimmerten Hausboote durch die Rummelsburger Bucht. Die wilde Party, das sagen diese Töne, mag zwar vorbei sein, aber das bedeutet noch lange nicht, dass das Leben nicht weitergeht. Eine Erkenntnis, die man allerdings ebenso wenig googeln sollte wie den Namen der Band.

SIND: „Irgendwas mir Liebe“ (RecordJet) Record-Release-Konzert: 20. 4., 20.45 Uhr, Säälchen, Holzmarktstr. 25, Friedrichshain

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen