: Du sollst unzerbrechlich sein
GESTALTUNG Von Dessau nach Palästina und zurück: Das Bauhaus knüpft zerrissene Geschichtsfäden zusammen
■ Dauer: „Chanan Frenkel, Ricarda und Heinz Schwerin – Vom Bauhaus nach Palästina“ läuft als Sommerausstellung der Stiftung Bauhaus Dessau bis zum 13. Oktober im Meisterhaus Muche/Schlemmer in Dessau-Roßlau.
■ Begleitprogramm: 12. 9., 18–20 Uhr, 13. 10. 11–13 Uhr: Jutta Schwerin liest auf der Terrasse des Meisterhauses Muche/Schlemmer (bei schlechtem Wetter im Meisterhaus Kandinsky/Klee) aus Ihrem Buch „Ricardas Tochter“, mit anschließender Kuratorenführung durch die Ausstellung. www.bauhaus-dessau.de
VON SONJA VOGEL
Das waren Gegenstände unseres Alltags, nichts Besonderes“, sagt Jutta Schwerin bewegt. „Und nun sind sie auf einmal museal.“ Die 72-Jährige steht vor einer Vitrine mit bunten Holzautos. Unverkennbar der Bauhausstil: massiv, simpel, funktional. Gefertigt wurden sie in den Vierzigern in Jerusalem von ihren Eltern, den Bauhausschülern Ricarda und Heinz Schwerin. 1937 waren die Spielzeuge auf der Pariser Weltausstellung zu sehen, leben konnten die Einwanderer von der Fertigung kaum – zu prekär waren die Bedingungen im Palästina der Dreißiger. Jetzt, siebzig Jahre später, wird der künstlerische Wert der Holzautos wiederentdeckt. Und ihre Migrationsgeschichte, denn von Dessau aus ging die Bauhauskunst in die Welt.
Das Bauhaus aus internationaler Perspektive zu betrachten ist ein Novum. Rund 25 Bauhausschüler wanderten in den Dreißigern nach Palästina aus, auf der Flucht vor den Nazis oder als überzeugte Zionisten. Sie alle hinterließen als Architekten, Designer oder Fotografen Spuren im neu entstehenden Staat; nicht nur in der Weißen Stadt von Tel Aviv. Und mit ihnen kam auch ein Stück europäischer Moderne.
Der Geschichte von drei ausgewanderten Bauhäuslern hat die Stiftung Bauhaus Dessau nun ihre diesjährige Sommerausstellung gewidmet: „Chanan Frenkel, Ricarda und Heinz Schwerin – Vom Bauhaus nach Palästina“. Zur Eröffnung sind deren Kinder angereist: die in Berlin ansässige Politikerin Jutta Schwerin, die 2012 mit „Ricardas Tochter. Leben zwischen Deutschland und Israel“ (Spector Books) ihre Lebensgeschichte herausbrachte; ihr Bruder, der israelische Historiker Tom Segev; und der in Tel Aviv lebende Architekt David Frenkel. Alle zwischen 1941 und 1945 geboren.
Die Ausstellung wird in unmittelbarer Nähe zum Bauhaus in Dessau gezeigt, in den Meisterhäusern Muche und Schlemmer. Auf zwei Etagen sind die Exponate verteilt – Fotografien, Zeichnungen, Holzarbeiten und Architekturmodelle. Viele werden erstmals gezeigt. Auf dem Weg ins Haus Schlemmer hakt sich Jutta Schwerin bei ihrem Kinderfreund Frenkel ein. Ins Gespräch vertieft schlendern sie durch die Gärten der Meisterhäuser, wo vor achtzig Jahren die legendären Gartenpartys stattfanden. Keine 500 Meter weiter hatten ihre Eltern studiert.
„junge menschen! kommt ans bauhaus!“ – mit diesem Slogan eröffnet die Ausstellung. Das Bauhaus hatte 1928 mit ihm um Studierende geworben. Damals war es die führende Schule für moderne Gestaltung. Die große Hoffnung, Teil einer Avantgarde zu sein, zeigt eine Postkarte, die Heinz Schwerin an seinen Vater schrieb. „aufheben!!!!!!“, steht darauf, „wenn ich mal ein berühmter mann sein werde, is det dink millionen wert!“ Kurz darauf musste der Kommunist das Bauhaus verlassen, ohne Diplom. Mit ihm ging auch Ricarda Meltzer, die dort Fotografie studiert hatte.
Nach der politisch motivierten Entlassung des Direktors Hannes Meyer geriet das Bauhaus stark unter Druck, den Nazis galt es als „rote Kaderschmiede“, und in Dessau war die NSDAP bereits 1931 die stärkste Partei. In der Ausstellung kann man eine Rede von Chanan Frenkel nachhören, in der er 1932 über das Ende des Bauhauses reflektiert – sehr vorausschauend. Kurz darauf wird die Kunstschule nach Berlin, dann zur Selbstauflösung gezwungen. Und auch Ricarda und Heinz Schwerin, der aus der politischen Haft entkommen konnte, fliehen 1932 in die Schweiz, nach Ungarn und dann nach Palästina.
„Sie wollten nicht nach Palästina. Sie emigrierten als Flüchtlinge, während Frenkel als Zionist unterwegs war“, erklärt der Kurator Werner Möller von der Stiftung Bauhaus Dessau die Diversität ihrer Lebenswege. Chanan Frenkel hatte als zionistischer Pionier schon in Palästina gelebt, bevor er 1933 mit Bauhausdiplom zurückkehrte. In diesem Zwiespalt zwischen erzwungenem Exil und der Utopie eines neuen Staats bewegten sich viele der Neuankömmlinge.
„Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass sie eine hohe Kultur verloren hat, und dazu gehörte sicher auch das Bauhaus“, erinnert sich Tom Segev in einem Interview an die schwierige Situation der Eltern. „Sie haben hier gelebt, wie sie in Europa gelebt hätten – aber auch eine Illusion, eine Bauhaus-Illusion.“ Und so erzählt die Kunst der ausgewanderten Bauhäusler auch vom schmerzhaften Misslingen der kulturellen Integration, von Verlust und vom Scheitern einer Utopie. Vor allem Ricarda Schwerin fühlte sich in Israel nie richtig zu Hause. Bis zu ihrem Tod 1999 sprach sie kein Hebräisch.
Ganz anders Frenkel. Als Architekt arbeitete er für die britischen Mandatsbehörden. Im Haus Muche sind Modelle seines berühmtesten Bauwerks zu sehen, einer auf Funktionalität ausgerichteten Blutbank in Jaffa. Ein eigener Raum ist dem Haus des Architekten gewidmet. Chanan Frenkel hat es selbst entworfenen, genauso wie die Möbel. Fotos zeigen die Inneneinrichtung im Bauhausstil: hohe Schrankwände, schmale Sideboards, Einbauküche. „noch ein mies-sessel wäre nicht schlecht“, schrieb Frenkel 1933 nach Deutschland, „soviel ecken, dass man 2 sessel hinstellen kann, hat eine wohnung.“ Sein Sohn David Frenkel wohnt heute noch darin. In Dessau steht der Siebzigjährige vor den Bildern des Tel Aviver Wohnzimmers. „Mein Herz hämmert“, sagt er und zeigt auf eines der Fotos. „Diese Schale hat mein Vater gemacht. Die Möbel sind vom Bauhaus nach Palästina gewandert.“
Nach einer schwierigen Anfangszeit hatten Ricarda und Heinz Schwerin 1936 in Jerusalem die Spielzeugwerkstatt Schwerin Wooden Toys gegründet. Neben den in Dessau ausgestellten Holzautos liegt das selbst gemachte Magazin P.W.B. (Palästina Werkstätten Berichte) aus. Darin von den Schwerins notiert die „7 Gebote für das gute Spielzeug“. „1. Du sollst unzerbrechlich sein“, „4. Du sollst die kindliche Phantasie anregen.“ Auch selbst entworfene Möbel aus dieser Zeit sind zu sehen, eine geschwungene Anrichte und ein Bettkasten. Normalerweise stehen sie in der Wohnung der Tochter. Jutta Schwerin streicht über das helle Holz. „Meine Eltern hatten die Bettwäsche darin, ich meine T-Shirts“, sagt sie. Bis zum Ende der Ausstellung im Oktober stecken ihre Kleider in Kartons.
Nachdem Heinz Schwerin 1948 während des israelischen Unabhängigkeitskriegs tödlich verunglückt war, lernte Ricarda den renommierten Fotografen Alfred Bernheim kennen. Sie arbeiteten zusammen. Um die Welt gingen in den Sechzigern ihre eindrucksvollen Porträts. Bernheim und Schwerin fotografierten die Persönlichkeiten des jungen Israel.
Im Haus Schlemmer muss man erst durch das minimalistische Badezimmer, um in den kleinen, quadratischen Raum mit den großformatigen Porträts zu gelangen. In Reihe hängen dort Samuel Joseph Agnon, James Baldwin, Martin Buber und die ehemalige Premierministerin Golda Meir, die Falten im strengen Gesicht tief ausgeleuchtet.
Dass die berühmten Porträts von Hannah Arendt – auch jenes, das sie mit Zigarette im Lehnstuhl zeigt – von Ricarda Schwerin stammen, weiß kaum jemand. Und auch die Bilder der legendären Griechenlandreise, die Schwerin in den Sechzigern mit Hannah Arendt und Hans Blücher unternahm, sind in Dessau zu sehen. In kleinen Formaten. So wirken die sauber digitalisierten Fotos sehr intim – das Bard College in New York, das Arendts Nachlass verwaltet, war erst auf Nachfrage auf die 77 Fotos aufmerksam geworden, die in einer Kiste verstaubten.
So wie ihnen geht es wohl noch einigen Kunstgegenständen, die auf dem Weg zwischen Dessau und dem Exil verloren gegangen sind. Dass die Stiftung Bauhaus Dessau mit „Vom Bauhaus nach Palästina“ diese gerissenen Fäden der Bauhausgeschichte wieder zusammenknüpft, ist ein Schritt hin zu einer internationalen Perspektive. Und die Stiftung Bauhaus plant bereits eine ähnliche Ausstellung zu Hannes Meyer.