: „Du musst nicht den Harten schieben“
ESSEN, NICHT FRESSEN Vier Jahre lang hat der Rapper Colos ohne Papiere in Deutschland gelebt. Ein Gespräch übers Tellerwaschen, miese Erlebnisse in Chemnitz und darüber, warum er sich dem Gangsta-Sein verweigert
Atdhe Gashi wird 1981 in Prizren geboren. Als 13-Jähriger flüchtet er mit seinen Eltern vor dem Krieg im Kosovo nach Deutschland. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat bleibt er illegal in Berlin und wird 2002 abgeschoben. Ende 2003 kehrt er zurück, beantragt Asyl, setzt sich aber in den Untergrund ab. Er beginnt ernsthaft zu rappen und veröffentlicht unter dem Alias Colos die beiden Alben „Honigblut“ und „Leben im Exil“. Im Jahr 2007 stellt er sich. Ein Jahr darauf heiratet er im Kosovo eine Kurdin mit deutschem Pass und darf legal in Berlin leben. Auf seinem dritten Album „Independent“ verarbeitet er seine Erfahrungen. Die Berliner Härte lehnt Colos unmissverständlich ab: „Nein, ich bin kein Gangster“, rappt er.
■ Colos: „Independent“ (Mellowvibes/Groove Attack)
INTERVIEW: THOMAS WINKLER
taz: Colos, was ist Heimat für Sie?
Colos: Heimat ist da, wo ich mich wohl fühle. Wo ich mit meiner Familie gut und sicher leben kann.
Und wo ist das?
Im Kosovo genauso wie in Deutschland. Im Kosovo leben meine Eltern und Geschwister, und in Deutschland habe ich meine eigene Familie gegründet.
Sie haben bis heute keinen deutschen Pass, Sie haben vier Jahre illegal hier gelebt. Sehen Sie Deutschland als Heimat?
Ich fand schon immer, dass man auf dieses Land stolz sein sollte.
Auch während der Illegalität?
Auch damals. Denn ich kenne ein schlimmeres Leben, ich kenne ganz andere Zustände. Auch wenn ich hier illegal gelebt habe, hatte ich trotzdem ein sicheres, ein gutes Leben. Es gibt ja trotzdem Ärzte, die einen untersuchen, Vereine, die einem weiterhelfen. Als Illegaler lebt man in Deutschland immer noch besser als anderswo. Viele Deutsche wissen das gar nicht zu schätzen.
Hat niemand in diesen vier Jahren Verdacht geschöpft?
Ich hab’ in meinen Texten ja sogar erzählt, dass ich illegal hier lebe. Aber alle denken, das ist doch sowieso nur Gequatsche wie im Gangsta-Rap. Es gibt viele, die rappen über das Leben als Asylant, weil die Ausländer das hören wollen, aber waren selber noch nie Asylant.
Wie hat man sich das Leben in der Illegalität vorzustellen?
Das Schwierigste am illegalen Leben sind die einfachsten Dinge: Wo esse ich heute? Wo schlafe ich heute? Was ist, wenn ich krank werde? Wo kriege ich Geld her? Man bekommt ja keine staatliche Unterstützung.
Wo haben Sie Geld hergekriegt?
Mit Schwarzarbeit. Ich hab anfangs vor allem als Tellerwäscher gearbeitet. Es gibt immer Läden, in denen das zwei, drei Monate geht. Bis sie einen dann anmelden wollen und man Papiere mitbringen soll. Dann hab’ ich denen gesagt, ich sei Asylbewerber, ich dürfte eh nicht arbeiten, dann haben die mir gekündigt. Man muss sich halt durchmogeln. Dann habe ich viel in der Sicherheitsbranche gearbeitet. Da gibt es kaum Kontrollen, vielleicht weil die Polizei nicht glauben kann, dass jemand, der ein Objekt bewacht, illegal in Deutschland ist.
Das machen Sie ja heute noch.
Ja, aber jetzt ganz legal! Freunde von mir haben eine Sicherheitsfirma. Lange habe ich als Türsteher gearbeitet. Aber da hatte ich keine Lust mehr drauf, bis morgens Tür zu machen, auch weil es immer wieder Stress gibt. Ich will jetzt lieber am Wochenende zu Hause sein bei meiner Frau. Deswegen mach’ ich in letzter Zeit nur noch Patrouillen in einer Siedlung in Neukölln. Da haben uns seit zwei Jahren die Anwohner engagiert, damit sie sich sicherer fühlen. Da ist vorher einiges passiert: Frauen wurden vergewaltigt, Leute wurden abgestochen, ständig Überfälle.
Das illegale Leben ist kompliziert, aber eine Platte aufzunehmen als Illegaler scheint einfach zu sein.
Das eine hat mit dem anderen nicht viel zu tun. Denn die Leute, die Musik machen, die interessiert es doch nicht, ob du eine Aufenthaltsgenehmigung hast. Die Leute interessiert nur, wie gut du bist und ob du Ehrgeiz hast. Als ich meinen Produzenten Woroc kennengelernt hatte, haben wir erst mal zwei Jahre lang nur Tracks gemacht. Ich hab Texte geschrieben, er hat Beats gebaut. Die ersten Mix-CDs haben wir auf der Straße verkauft. Als wir gemerkt haben, die Leute finden’s gut, da hab’ ich sogar Konzerte gegeben.
War das nicht ein Risiko?
Ich bin ja nicht so oft aufgetreten. Und wenn, dann hab ich immer ein paar Jungs von mir mitgenommen, die im Notfall Stress machen sollten, damit ich abhauen kann. Richtig kribbelig war’s aber am 1. Mai 2007, da bin ich auf der Antifa-Bühne aufgetreten: Da hatte ich große Angst. Als ich mittags um zwölf zum Hermannplatz kam und der voller Polizisten war, flatterte mein Herz. Ein Polizist hat mich dann auch noch angesprochen: „Eh, du bist doch Colos.“ Ich dachte, jetzt ist es vorbei, aber der war cool.
Die Antifa hat Sie eingeladen – machen Sie Polit-Rap?
Ich versuche mich von Politik fernzuhalten. Politik ist eine dreckige Sache, ich habe schlechte Zeiten gehabt wegen der Politik. Ich sehe meinen Rap eher sozialkritisch, ich versuche über Alltagsprobleme zu reden.
Ein Track wie „Ausländer raus? raus aus dem Ghetto“ ist ganz klar politisch.
Klar, das hat auch einen politischen Aspekt. Der hat aber mehr zu tun mit meinen Erfahrungen in Chemnitz: Als ich 2004 zurückkam, wurde ich nach einer Woche erwischt, habe einen Asylantrag gestellt und wurde erst mal nach Chemnitz geschickt. Ich würde nicht sagen, das war Ausländerfeindlichkeit, die ich da erlebt habe, aber ich habe deutlich gemerkt, dass ich nicht willkommen bin. Das hat mich enttäuscht. Das fing schon im Heim an. Da dachten die Mitarbeiter, sie könnten quatschen, was sie wollen, weil ja eh keiner Deutsch versteht. In der Kantine sagt mir dann der Typ, der das Essen verteilt: „Hier, dein Fressen.“ Der dachte halt, ich würde nicht verstehen, dass Fressen was für Tiere ist. Ich bin stehen geblieben und habe ihn berichtigt: „Das heißt Essen.“ Er: „Fressen.“ Ich: „Essen.“ Irgendwann war er entnervt und zischt mich an: „Geh jetzt weiter, sonst lass ich dich abschieben.“
Sie verweigern sich ausdrücklich den üblichen Ritualen des Gangsta-Rap. In Ihrem Plattenvertrag steht sogar, dass Sie andere Rapper nicht beleidigen dürfen. Wessen Idee war das?
Meine. Damals, 2007, war es ja besonders schlimm. Da konnte man als Rapper nur erfolgreich werden, wenn man einen anderen Rapper oder am besten gleich alle anderen Rapper beleidigte und behauptete, man sei selber der Beste. Die meisten Plattenfirmen, mit denen ich verhandelt habe, wollten von mir die Gangsta-Sachen.
Gehört das sportliche Dissen nicht zum Rap?
Doch, unbedingt. Ich hab auch nichts gegen Battlen, aber jeder kann sich doch seine Richtung aussuchen. Du kannst Battle-Rap machen, Gangsta-Rap, sozialkritische Sachen, Straßen-Rap, es gibt ja verschiedene Sparten.
Wo sehen Sie sich? Sind Sie Conscious Rapper?
Das haben mir viele gesagt, aber ganz ehrlich: Ich weiß nicht, was das Wort bedeutet.
„Conscious“ heißt so viel wie „bewusst“ und steht für sozial relevanten, politisch bewussten Rap.
Dann bin ich eben ein Conscious Rapper. Ich versuche, die Leute im positiven Sinne zu beeinflussen. Und das war schon immer so: Eigentlich habe ich, da war ich noch in der Schule, mit Breakdance angefangen. Aber dann hab ich einen Typen beim Tanzen gesehen, der ist so übel auf die Fresse gefallen, überall war Blut, da hab ich lieber angefangen, Texte zu schreiben. Und schon damals waren das sozialkritische Sachen.
Einerseits versuchen Sie, positive Botschaften zu senden, andererseits propagieren Sie einen archaischen Ehrbegriff und eine ausprägte Männlichkeit. Wie geht das zusammen?
Meiner Meinung nach kann man diese Sachen zusammenbringen. Ich weiß, wie ich aussehe. Ich weiß, aus welchen Kreisen ich komme. Aber ich muss ja nicht alle Vorurteile bestätigen. Für Jugendliche sehe ich aus wie einer, dem sie nacheifern wollen, für die bin ich erst mal ein Gangsta-Rapper. Aber denen kann ich sagen: Okay, wenn du so sein willst wie ich, dann musst du aber auch im positiven Sinne sein wie ich. Dann musst du nicht den Harten schieben. Ich rappe über meine Schwächen, über meine Fehler, und trotzdem bekomme ich Respekt. Ich habe gelernt: Wenn ich Gutes tue, kommt Gutes zurück. Das dauert vielleicht ein bisschen länger, aber es kommt. Aus diesen Erfahrungen kann ich nun sagen: Es geht auch anders.