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„Du Schwein hast kein Geld?“

Wegen Mord und Körperverletzungen verurteilt das Landgericht Neuruppin vier Jugendliche zu hohen Haftstrafen / Brutale Überfälle in Serie  ■ Aus Neuruppin Annette Rogalla

Müde und mit gesenkten Köpfen nahmen die Angeklagten das Urteil entgegen. Die nächsten Jahre werden sie im Gefängnis verbringen. Maik L. wurde zu zehn Jahren verurteilt, die höchste Strafe, die das Jugendstrafrecht vorsieht, Maik K. bekam sechs Jahre, Uwe Sch. vier Jahre, sechs Monate und Thomas F. zweieinhalb Jahre. Das Quartett mußte sich für einen Mord und Raub in drei Fällen verantworten.

An zwei Sommernächten des vergangenen Jahres sind sie durch Velten gezogen, einem kleinen Ort im Berliner Speckgürtel. Seither haben vor allem ältere Menschen Angst, bei Einbruch der Dämmerung aus dem Haus zu gehen. Der Jugendkammer am Landgericht Neuruppin haben es die Angeklagten nicht leicht gemacht: Nur zwei von ihnen, Maik K. und Uwe Sch., waren geständig; die beiden andern schwiegen, wollten sich nicht erinnern.

In der Nacht auf den 6. August vergangenen Jahres wurde Gunter Marx erschlagen. Es war purer Zufall, daß sich die Wege des Familienvaters und der vier jungen Männer in der Viktoriastraße kurz nach Mitternacht kreuzten. Maik L., Uwe Sch., Maik K. und Thomas S. hatten sich am nahen Badesee getroffen: Den Abend über haben sie dort mit anderen im Gras gelegen und gebechert, bis einer der vier meint, in der Disko sei es bestimmt viel lustiger. Doch weder die beiden Maiks, noch Uwe oder Thomas haben eine Mark in der Tasche. Jedoch 50 Mark pro Person möchte man schon dabei haben. Sie beschliessen, es sich zu besorgen, steigen in den kleinen VW- Polo von Maik K. und fahren die paar Kilometer nach Velten.

Stereotyp: „Ich war besoffen, stinkbesoffen“

„Alles was auf der Straße rumläuft ist dran, außer Frauen und Kinder“, hat Maik L. als Parole ausgegeben. Langsam kreisen sie durch die leeren Straßen, in der Viktoriastraße auf dem BÜrgersteig radelt Gunter Marx nach Hause. „Da ist einer“, ruft L., springt hinaus. In der Hand hält er den Radmutterschlüssel, der auf der Rückbank gelegen hat. Er tritt gegen das Fahrrad, Gunter Marx fällt hinunter und schlägt mit dem Kopf auf dem Boden. Sofort tritt Maik zu, trampelt ihm auf Kopf und Brust. Gunter Marx, 42, wehrt sich nicht. „Hast du Geld,“ fragt Maik. Nein. „Du Schwein hast kein Geld?“ Viermal schlägt Maik L. mit dem Radmutterschlüssel zu.

In der Verhandlung erinnerte sich Uwe Sch. noch sehr genau, wie sich die zersplitternden Schädelknochen anhörten: „Als wenn einer mit einer Eisenstange auf eine Gummimatte drischt.“ Maik L. erinnerte sich an gar nichts. „Zu besoffen — Filmriß“. „Besoffen, total besoffen“ — ungezählte Male bekam das Gericht das zu hören.

Beim sterbenden Marx findet Maik L. keine Mark. Im Auto sagt er seinen Freunden: „Der ist tot.“ Die jungen Männer fahren eine Runde durch die Stadt, kommen zurück. Wieder steigt Maik L. aus, geht auf den Mann, der sich nicht mehr rührt, zu, tritt noch ein paar Mal in sein Gesicht: „Der ist wirklich tot.“ Die Saufbrüder wollen's nicht glauben und fahren los.

Nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt treffen sie das Ehepaar F. Diesmal steigen alle aus, nur Thomas bleibt im Wagen sitzen — zu besoffen. Diesmal hält Uwe Sch. den Radmutterschlüssel, stürmt auf den 50jährigen F. zu. Er besinnt sich, was Maik L. vor einer Stunde damit getan hat, und schmeißt das Werkzeug ins Gras. Zielsicher spingt er Herrn F. an, der fällt zu Boden. Wie sie es zuvor bei Maik L. gesehen haben, springen jetzt Uwe und Maik K. dem Opfer ins Gesicht und auf den Brustkasten. Maik L., der kräftigste von ihnen, hält Frau F. den Mund zu und reißt ihr den Lederbeutel aus der Hand. Später finden sie darin knapp 100 Mark, die sie untereinander aufteilen. Heute, neun Monate Jahr nach dem Überfall, leidet Herr F. noch immer. Die äußeren Wunden sind weitgehend verheilt, die Kopfschmerzen jedoch bleiben. Das Gericht verzichtete auf seine Aussage. Als er in den Saal geführt wurde, bekam er einen Nervenzusammenbruch.

Mangelnde Fürsorge Frust, Alkohol und Gewalt

Außer Uwe Sch. hatten sich die Angeklagten noch für zwei frühere Raubüberfälle in Tateinheit mit Körperverletzung zu verantworten. Fünf Tage vor dem Mord waren sie schon einmal in Velten unterwegs. Die gleiche Tour: „Leute aufklatschen“, damit sie neues Bier kaufen konnten. Sie schlugen einen 80jährigen Mann, traten auch ihn, brachen ihm Rippen und Kiefer. Und erbeuteten 20 Mark.

Die Vorsitzende Richterin Gisela Thairen-Daig leitete die Verhandlung an den sechs Gerichtsterminen mit großer Sorgfalt und Umsicht. Es ging ihr um die Ohnmacht vor der Gewalt, die tödlich zu werden droht für das Vertrauen in die Gesellschaft. Und die häufig in den Kleinstädten um Berlin zu spüren ist, wo braun angehauchte Jungs das Sagen haben.

In der Verhandlung kamen auch Psychiater zu Wort. Von jedem der vier Angeklagten zeichneten sie einen Lebenslauf, der geprägt ist von mangelnder Fürsorge, Alkohol, Frustration und Brutalität. Die Gutachten nahm Staatsanwalt Jörg Möbius zur Grundlage für seine Plädoyers, die teilweise unter der verhängten Strafe lagen.

Maik L., dem man aus Sorge vor seinen eruptiven Gefühlsausbrüchen ein Beruhigungsmittel verabreicht hatte, wächst in einer kaputten Elternbeziehung auf. Der Vater verläßt Frau und zwei Söhne, lehnt strikt jeden Kontakt zu ihnen ab. Da kann Maik sich noch so bemühen. Die Mutter tut sich mit einem anderen Mann zusammen, sie trinken, sie schlagen sich. Der elfjährige Maik L. bekommt jede Facette des Alkoholikerdaseins mit. Mit vierzehn hängt auch er an der Schnapsflasche. Er fliegt von der Schule, in der Lehre legt er sich mit dem Meister an, schlägt auf ihn ein, bricht die Lehre ab. Er klaut, und immer wieder sind Alkohol und Gewalt im Spiel. Mit sechzehn versucht er, ein Mädchen zu vergewaltigen. Mit achtzehn tötet er Gunter Marx. Er hat etwa 3,1 Promille im Blut.

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