Druck auf Wikileaks nimmt zu: Hackerethik gegen Staatsbürokratie
Amazon, Paypal und Mastercard haben die Zusammenarbeit mit Wikileaks beendet. Im Gegenzug spiegeln Netzaktivisten die Inhalte des Portals. Was bedeutet das alles?
Die Entscheidungsschlacht zwischen Hackerethik und Staatsbürokratien ist in vollem Gange: Erst griffen unbekannte Hacker die Online-Plattform Wikileaks an, dann kündigten PayPal, Amazon und nun auch Mastercard ihre Zusammenarbeit mit dem Portal auf, am Montag stellte Großbritannien Medienberichten zufolge einen Haftbefehl gegen Wikileaks-Chef Julian Assange aus. Doch der letzte Kampf um die Meinungsfreiheit ist noch nicht ausgebrochen.
Auch wenn es schwer fällt, analysieren wir die Lage nüchtern. Zwar treffen die letzten Schritte die Plattform hart, existenzbedrohend sind sie jedoch vorerst nicht. Amazon war immer nur ein Ausweichquartier für die Enthüllungen von Wikileaks. PayPal hatte Wikileaks bereits vor knapp einem Jahr gekündigt. Und die USA haben – trotz permanenter Vorwürfe – weder Anklage erhoben noch konnte die US-Regierung begründen, gegen welches Gesetz Assange verstoßen haben soll.
Bedenklich sind die Entwicklungen auf alle Fälle. PayPal, Amazon und zuletzt auch MasterCard haben Ihre Dienstleistungen gegenüber Wikileaks eingestellt, weil die Plattform gegen Gesetze verstoße. PayPal weitete die Haftung für diese Inhalte sogar auf die deutsche Wau-Holland-Stiftung aus, die vom deutschen Staat als gemeinnützig anerkannt ist und Spenden für Wikileaks annahm.
PayPal bestätigt auf Anfrage von taz.de zwar den Sachverhalt, möchte sich aber nicht weiter äußern: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir darüber hinaus reichende Fragen zum Account nicht mit Ihnen, sondern nur mit dem Kontobesitzer erörtern dürfen." Warum Medienhäuser unbehelligt bleiben, die das angeblich illegale Material ebenfalls veröffentlichen – kein Kommentar.
Lange Rede, kurzer Sinn: Die US-Regierung hat mit politischem Druck ein enges Netz um Wikileaks gespannt und versucht den ungeliebten Aktivisten, plattzumachen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Auch Wikileaks hat es offenbar auf Konfrontation angelegt.
Der unmittelbare Eindruck einer konzertierten Attacke gegen Wikileaks entsteht daher, dass die Haupt-Domain wikileaks.org derzeit nicht erreichbar ist. Der amerikanische Provider EveryDNS soll die Domain blockiert haben, berichten Wikileaks-Fans. Auf Twitter gibt es Tausende von Hassbotschaften gegen das Unternehmen.
Doch EveryDNS bestreitet das. "Wikileaks.org ist das Ziel von massiven Attacken geworden, die die Stabilität unserer Infrastruktur gefährdeten – und damit auch die Stabilität von 500.000 anderen Websites", heißt es auf der Homepage des Providers. Nur deshalb habe man den Account stillgelegt. Bleibt die Frage: Warum hat Wikileaks für seine wertvolle Domain überhaupt einem Kostenlosprovider mit Sitz in den USA übertragen? Und: warum wechselt Wikileaks den Dienstleister nicht – wie viele Male zuvor?
Die Geschichte erinnert an ein Pseudo-Drama, das sich im Frühjahr 2009 abspielte. Damals war der Domainname wikileaks.de blockiert. Wikileaks wähnte sich als Opfer des deutschen Bundesnachrichtendienstes, der die Domain wegen dort publizierten Geheimakten kassiert haben sollte. "China - und nun Deutschland - sind die einzigen Länder dieser Welt, die versuchen eine ganze Wikileaks-Domain zu zensieren", hieß es in einer Pressemitteilung.
Die Wahrheit sah anders aus: ein Wikileaks-Enthusiast hatte aus Übermut versucht, die Domain des Bundesnachrichtendienstes zu übernehmen. Als ihm der Provider daraufhin die Verträge kündigte, verlor er auch die Domain wikileaks.de – und verpeilte den Umzug zu einem anderen Provider. Doch Wikileaks gefiel sich weiter in der Opferrolle und schaffte es so, neue Unterstützer zu gewinnen.
Wenn Wikileaks ruft, eilen Tausende zu Hilfe. Als die Plattform am Sonntag dazu aufrief, neue Speicherplätze für die Geheimdokumente bereitzustellen, meldeten sich innerhalb eines Tages über 500 Freiwillige, um die Geheimakten auf ihren eigenen Servern zu veröffentlichen – kostenlos und in Eigenregie. Die Zukunft von Wikileaks ist also zunächst gesichert.
Das heißt keinesfalls, dass man die Hände in den Schoß legen kann. Hilfe wird auch weitrhin dringend gebraucht. Zum Beispiel gegen die USA. Dass die Regierung der Supermacht Berge von Geheimakten in einem System unterbringt, auf das Millionen Diplomaten, Amtsträger, Soldaten zugreifen können, ist eine Bankrotterklärung vor dem Informationszeitalter. Wer Herrschaftswissen beansprucht, muss den Umgang mit Wissen beherrschen.
Aber nicht nur in der Ausführung hapert es. Der Konfliktfall Wikileaks offenbart immer neue Defizite. So warnt ein Vertreter des Außenministeriums die Studenten der renommierten Columbia University davor, sie könnten ihre Karrierechancen riskieren, wenn sie Wikileaks-Inhalte ansehen oder – Gott bewahre – auf Facebook darüber diskutieren. Meinungsfreiheit im "Land of the Free" scheint nur noch ein Traum aus der Vergangenheit zu sein.
Auch in den Medien sieht es übel aus. Zwar werden die Wikileaks-Dokumente ausführlich gewürdigt, doch immer wieder wird Julian Assange als Verräter gebrandmarkt – ein Vergehen, dass dem gebürtigen Australier mangels US-Staatsbürgerschaft gar nicht begehen kann. Schlimmer noch: Kolumnisten rufen zu Attacken gegen Wikileaks und seinen Chef auf.
In der Washington Times durfte der Konservative Aktivist Jeffrey T. Kuhner einen unverhohlenen Mordaufruf publizieren – die Redaktion verzichtete auf jede Distanzierung. Stattdessen stellte die Zeitung dem Kommentar ein Fahndungsplakat zur Seite: "Julian Assange – Wanted Dead". Wenn Mordanschläge der einzige Reflex auf internationale Herausfordrungen sind, kann sich die Supermacht USA endgültig von der Bühne internationaler Politik verabschieden.
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