Soziale Kürzungen: Druck auf Arme steigt
Die schwache Wirtschaftslage führt zu mehr Bürgergeldempfängern und damit zu höheren Sozialausgaben. Das Rezept der Union: Sanktionen.

Die Sommerferien nahen, die Temperaturen steigen, aber viele Menschen in Deutschland können sich nicht einmal eine Woche Urlaub leisten. Laut Statistischem Bundesamt galt das im Jahr 2024 für jede fünfte Person hierzulande. Besonders häufig traf es Alleinerziehende, Alleinstehende und Familien mit vielen Kindern.
Wie viele Bürgergeldbeziehende auf Urlaub verzichteten, ging nicht daraus hervor. Doch eine Studie kam kürzlich zum Schluss, dass jeder oder jede Dritte von ihnen sogar auf Essen verzichtet, um über die Runden zu kommen. Fast drei Viertel der Befragten erklärten, die Regelsätze reichten nicht für ein würdevolles Leben. In dieser Stimmung hat das Bundeskabinett nun den Haushaltsentwurf verabschiedet.
Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage rechnet die Bundesregierung in diesem Jahr mit mehr Menschen, die Grundsicherung beziehen werden. Dies wird automatisch zu höheren Ausgaben beim Bürgergeld führen – aber für die Einzelnen sind keine Verbesserungen zu erwarten. Im Entwurf für den Bundeshaushalt werden das Bürgergeld und die Kosten für Unterkunft und Heizung, an denen sich der Bund beteiligt, mit insgesamt 42,6 Milliarden Euro veranschlagt. Zum Vergleich: 2023 betrugen diese Ausgaben rund 37,4 Milliarden Euro.
Bärbel Bas,Bundesarbeitministerin
Die öffentliche Debatte über das Bürgergeld, angefeuert durch die Union, dreht sich meist um Sanktionen bis hin zum kompletten Leistungsentzug – so als ließen sich dort Milliarden holen. Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot heißt es auch, dass Sanktionen „schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden“ sollen. Menschen mit psychischen Erkrankungen sollen aber besonders berücksichtigt werden.
Das Märchen der Totalverweigerer
In der vergangenen Woche hatte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) in einem Interview mit dem Deutschlandfunk klargestellt, dass Bestrafungen keinen großen Einspareffekt erzielen werden. „Die Sanktionen werden nicht helfen“, sagte sie. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass sich durch unkooperative Leistungsbeziehende große Summen einsparen ließen. Bas verwies dabei auch auf die Datenlage und betonte, dass die „sogenannten Totalverweigerer“ eine kleine Gruppe seien.
Bereits seit Ende März 2024 ist es möglich, den Regelbedarf für bis zu zwei Monate vollständig zu kürzen, „wenn jemand sich bewusst und grundlos weigert, eine konkret angebotene, zumutbare Arbeit aufzunehmen – und zuvor bereits gegen eine entsprechende Pflicht verstoßen oder selbst gekündigt hat“, erklärte ein Sprecher des Arbeitsministeriums der taz. Die Erwartung, dadurch Geld einzusparen, beruhe primär „auf der präventiven Wirkung“.
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht zudem eine Änderung für ukrainische Geflüchtete vor, die nach dem April 2025 eingereist sind. Künftig sollen diese wie andere Asylsuchende die geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten und nicht Bürgergeld.
Doch noch ist das nicht umgesetzt. Die Arbeiten für einen entsprechenden Gesetzentwurf hätten laut Sprecher „nach Regierungsbildung Anfang Mai begonnen“ und sollen zügig fortgeführt werden. Würde das umgesetzt, ließe sich zwar Geld einsparen – allerdings gibt es keine belastbaren Schätzungen über die Höhe, „da Fallzahlen und Kosten in unmittelbarem Zusammenhang mit der weiteren Entwicklung des Krieges stehen“, betonte der Sprecher.
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