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Drohende Fällungen in TempelhofSind Bäume schlecht für die Ökobilanz?

Auf dem Tempelhofer Damm soll für Jahre eine Großbaustelle entstehen. Jetzt ist die Debatte um das Schicksal von Dutzenden Straßenbäumen neu entfacht.

Todgeweiht? Die Bäume rechts im Bild sollen nach dem Willen der Senatsverkehrsverwaltung gefällt werden Foto: IMAGO / Olaf Wagner

Berlin taz | Droht ein „Baummassaker“ in Tempelhof-Schöneberg? Lässt der Senat Dutzende gesunde Platanen, Eichen und Ahorne fällen, um Autofahrende nicht zu sehr durch eine Baustellenumleitung zu belasten? Führt – umgekehrt – der Schutz einiger Bäume zu jahrelangen hohen Emissionen an anderer Stelle? Oder ist das Ganze am Ende nur ein „Sturm im Wasserglas“? Die Sache ist komplex.

Ortstermin am S-Bahnhof Tempelhof: Auf dem Mittelstreifen des Tempelhofer Damms, umtost vom Autoverkehr, der sich hier auf der B96 nach Norden und Süden oder auf die A100 quält, ragt eine stattliche Platane in den winterlichen Himmel. Jetzt ist sie kahl, bald wird sie wieder Schatten und Frischluft spenden – wenn sie nicht der Motorsäge zum Opfer fällt. Dieses Schicksal droht nicht nur ihr, sondern rund 60 weiteren, zum Teil freilich deutlich kleineren Bäumen auf dem Mittelstreifen des Tempelhofer Damms, zwischen Platz der Luftbrücke und Borussiastraße, kurz vor dem U-Bahnhof Alt-Tempelhof.

Die grüne Verkehrs- und Umweltstadträtin von Tempelhof-Schöneberg, Saskia Ellenbeck, schlug am Dienstagabend auf Bluesky Alarm: Sie sei von Staatssekretär Johannes Wieczorek informiert worden, dass die Senatsverkehrsverwaltung die Bäume auf dem Mittelstreifen „fällen lassen möchte“. Jahrelange Planungen und Abstimmungen seien nun hinfällig.

Hintergrund ist eine geplante und für eine Dauer von rund acht Jahren anvisierte Großbaustelle, bei der die Berliner Wasserbetriebe (BWB) drei über 150 Jahre alte Abwasserdruckleitungen austauschen will. Wärme- und Stromleitungen sowie die Tunneldecke der U6 sollen im selben Aufwasch erneuert werden und die Straße am Ende eine frische Asphaltdecke erhalten.

Stoßgebete gegen eine Havarie

Die Wasserbetriebe mahnen schon seit vielen Jahren die dringend notwendige Sanierung an: Man schicke regelmäßig „Stoßgebete zum Himmel“, dass es zu keiner Großhavarie unter dem T-Damm komme, so BWB-Sprecher Stephan Natz zur taz. Seit 2017 bewegt sich immerhin etwas. Das Unternehmen bekam damals grünes Licht – mit der Vorgabe, alle Arbeiten der unterschiedlichen Beteiligten zu koordinieren.

Allerdings musste schon mehrfach umgeplant werden – zuletzt, weil der Bezirk Tempelhof-Schöneberg sich gegen den Plan verwehrte, den besagten Mittelstreifen zu roden, um dort eine temporäre Fahrspur anzulegen. Die aktuelle, im Jahr 2022 begonnene Planung sieht vor, dass der von Süden kommende Verkehr weiterhin auf zwei Spuren über den T-Damm rollt. In der Gegenrichtung würden die Wilhelm-Kabus-Straße und die General-Pape-Straße, die links und rechts der Bahntrasse zwischen Gleisdreieck und Südkreuz verlaufen, als Umleitung ertüchtigt.

Mit seinem Schreiben an Stadträtin Ellenbeck rückt das Haus von Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) nun wieder davon ab, und die Begründung lässt aufhorchen: Die Umleitungen hätten eine deutlich schlechtere Ökobilanz als die Fällung der Bäume. Auf Nachfrage der taz begründet Bondes Sprecherin Petra Nelken den Schwenk so: „Auch ausgefeilte Umleitungen würden dazu führen, dass es massive Verkehrsverlagerungen und dadurch längere Fahrstrecken für Kraftfahrzeuge gibt.“ Dadurch entstünden nach Berechnung der Verwaltung „erhebliche zusätzliche Emmissionen“, nämlich „Lärmbelastungen der Bevölkerung“ und „Ausstoß von Luftschadstoffen“.

Was die Klimabilanz angehe, führe die Umleitungsvariante zu rund 30.000 Tonnen mehr CO², währen durch die Fällung der 60 Bäume im selben Zeitraum nur 8,75 Tonnen weniger CO² gebunden würden. Zudem könne bei deren Erhalt „gegenwärtig nicht ausgeschlossen werden, dass die umfassenden Tiefbauarbeiten eine weitere Verschlechterung der Baumvitalitäten zur Folge haben werden“. Außerdem befürchte man Verdrängungsverkehre in die anliegenden Wohngebiete – namentlich die Tempelhofer Gartenstadt, auch als „Neu-Tempelhof“ oder „Fliegerviertel“ bekannt.

Auf Bezirksseite lässt man diese Logik nicht gelten. Die Senatsverwaltung lasse bei ihrer Kalkulation „wichtige Faktoren außen vor“, schreibt das Büro von Stadträtin Ellenbeck der taz – „großräumige Umfahrungen, Verkehrsverlagerung und die Tatsache, dass für alle Pendler*innen, die vom Platz der Luftbrücke nach Westen wollen, sich die Fahrtzeit und Strecke nicht nennenswert verändern würde“. Außerdem würden „alle anderen Klimaeffekte von Bäumen, wie Kühlung, Feinstaubreduktion, Regenschutz und Schattenspender“ nicht berücksichtigt.

Für Autofahrende in Richtung Westen und Norden würde die Umleitungslösung „kaum einen Umweg“ bedeuten. Autofahrende in Richtung Osten könnten dagegen das Nadelöhr am Tempelhofer Feld „großräumig umfahren oder an der Alboinstraße auf die Stadtautobahn fahren“. Mit dem Konzept „wäre auch ein Schutzkonzept für die Gartenstadt Tempelhof erarbeitet worden, so dass möglichst geringe unintendierte Effekte entstehen würden“.

„Nachpflanzen ist schlechteste Lösung“

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Berlin, der von einem „Baummassaker“ spricht, leistet argumentative Unterstützung: Bis neue Bäume Funktionen wie einen relevanten Schattenwurf erfüllten, vergingen 30 Jahre, bis zur Erreichung von Naturschutzfunktionen wie dem Angebot an Bruthöhlen 60 bis 80 Jahre. „Einfach Straßenbäume zu fällen und später junge Bäume nachzupflanzen ist die schlechteste Lösung“, so der BUND in einer Mitteilung. Die ökologischen „Dienstleistungen“ junger Bäume seien auch in Sachen Staubfilterung und der Umwandlung von Kohlendioxid in Sauerstoff noch „übersichtlich“.

Fällungen, insbesondere von gesunden Bäumen, führen regelmäßig zu Protesten. Zuletzt trommelte die Initiative Volksentscheid Baum gegen eine Rodung auf dem Marx-Engels-Forum in Mitte, das grundlegend umgestaltet werden soll.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass links und rechts des T-Damms mehrere hundert weitere Bäume stehen, die meisten davon deutlich größer als die auf dem Mittelstreifen. Dort wurde offensichtlich seit vielen Jahren nicht mehr systematisch nachgepflanzt, etliche Bäume wurden radikal zurückgeschnitten, es gibt große Lücken, auf denen derzeit Großwahlplakate dominieren. Nur bei wenigen Exemplaren wäre der Verlust so augenfällig wie bei der Platane am S-Bahnhof.

Möglicherweise kann sich am Ende ohnehin der Bezirk mit seiner favorisierten Planung durchsetzen. Nach taz-Informationen handelt es sich bei dem Schreiben des Staatssekretärs eher um eine Bitte zum Umdenken, nicht um eine Anweisung. Nicht ausgeschlossen also, dass es sich bei dem aktuellen Konflikt doch nur um einen „Sturm im Wasserglas“ handelt, wie es BWB-Sprecher Stephan Natz in angemessener Metaphorik andeutet.

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1 Kommentar

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  • Es gibt doch die riesen Maschinen , die auch ausgewachsene Bäume umsetzen können.