Drohende Abschiebung: Zurück in eine fremde Heimat
Familie Imeri wohnt in Elmshorn und soll zurück in das Kosovo - mitsamt ihrer vier in Deutschland sozialisierten Kinder. Anstoß dafür soll ein negatives, inzwischen revidiertes Urteil der Arge gewesen sein.
Viele halten die Imeris für ein Beispiel perfekt gelungener Integration - die Stadt Elmshorn etwa oder der dortige Diakonieverein Migration. Doch die sechsköpfige Familie soll abgeschoben werden, zurück in den Kosovo, nach zwölf Jahren in Deutschland. Ihre begrenzte Aufenthaltserlaubnis wurde Anfang dieses Jahres nicht verlängert. Der Grund: Die Familie könne nicht ausreichend für ihren Lebensunterhalt sorgen, so die Ausländerbehörde.
Der Vater, Djevdet Imeri, hatte Ende 2009 seine Arbeit unverschuldet verloren, arbeitet aber seit Mai 2010 unbefristet in einem Restaurant. Die Familie reichte Klage ein. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hat diese in zweiter Instanz zurückgewiesen. Die letzte Hoffnung der Imeris ist jetzt ein Härtefallantrag beim Innenministerium.
Die elfjährige Lorita kann das alles nicht begreifen. Sie sitzt im Wohnzimmer der kleinen Dreizimmerwohnung und sagt: "Meine Heimat ist nicht der Kosovo, sondern Elmshorn." Hier hat sie ihre Freundinnen, hier spielt sie Theater und geht in die sechste Klasse eines Gymnasiums. Warum soll sie in einem Land wohnen, in dem sie mit ihrer Familie ein einziges Mal Urlaub gemacht hat? Ihre Brüder spielen Fußball im Verein, die Jüngste wurde gerade eingeschult, drei der vier Kinder wurden hier geboren. Alle sprechen sie perfekt deutsch.
Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass minderjährige Kinder grundsätzlich aufenthaltsrechtlich das Schicksal der Eltern teilen. Kinder hätten demnach weniger Rechte als Erwachsene. "Das widerspricht eindeutig der UN-Kinderrechtskonvention", sagt Joachim Schröder, der Anwalt der Familie. Die Konvention wurde 1992 von der Bundesrepublik ratifiziert - mit der Einschränkung, sie gelte nicht für Flüchtlingskinder. Diese Einschränkung wurde im Juli dieses Jahres aufgehoben. "Somit gilt gleiches Recht für alle Kinder", sagt Schröder.
Der älteste Sohn der Imeris ist 16 und heißt Arjanit. Er ist so etwas wie der Mann im Haus, seit der Vater fast täglich arbeitet. Arjanit hat seine Arme auf der Sofalehne ausgebreitet und beginnt zu erzählen. Von der Flucht aus dem Kosovo 1998, von der geteilten Stadt Mitrovica, in der er mit seinen Eltern wohnte, als Albaner in der serbischen Hälfte. Sein Vater wurde politisch verfolgt, einen Tag nach ihrer Flucht standen die Serben bereits an ihrer Wohnungstür. Die Geschichte wühlt ihn auf, immer wieder bringt er die Reihenfolge der Ereignisse durcheinander.
Das Zimmer, das Arjanit sich mit seinem kleinen Bruder teilt, ist ausgelegt mit einem blauen Piratenteppich, an der Wand hängen Fußball-Poster von Podolski und Ibrahimovic. "Den mag mein kleiner Bruder, ich bin eher Poldi-Fan", sagt Arjanit. Und wo schlafen die Mädchen? Die Mutter deutet mit dem Kopf Richtung Schlafzimmer. Ein großes Bett steht dort, kaum groß genug für vier.
Die Ausländerbehörde, in der die Akte Imeri liegt, befindet sich in einer ruhigen Seitenstraße in Pinneberg. Ein kastenartiger Neubau, in der Wartehalle bunte Plastikstühle, Malstifte auf den Tischen. Hier fiel die Entscheidung zur Abschiebung - unter anderem anhand einer negativen Einschätzung der zuständigen Arge. In der Anfrage hieß es, man wolle wissen, wie motiviert Herr Imeri bei der Arbeitssuche sei. Die prompte Antwort: gar nicht. Er mache einen "äußerst unmotivierten Eindruck".
Als die Teamleiterin der Arge, Heidi Meyer, Monate später von dem Schreiben erfährt, schickt sie sofort eine korrigierte Fassung, die der taz nord vorliegt. Der Kollege sei neu und unerfahren gewesen, schreibt sie dort, viele Fakten habe er nicht gekannt. Sie bedauert, dass er sich durch die Ausländerbehörde habe "instrumentalisieren" lassen. Er hätte sich in den Fall besser einarbeiten müssen, "aber im Tagesgeschäft ist dies leider nicht immer möglich".
Ein Schuldeingeständnis, das nicht mehr berücksichtigt wurde. Warum, das möchte Marc Trampe, Sprecher der Ausländerbehörde, nicht sagen. Sein Hemd ist rosa, seine Haare trägt er zurückgegelt, auf dem Gesicht ein breites Lächeln. Er bedauere es sehr, könne aber zu einem laufenden Verfahren keine Auskünfte geben.
Das Innenministerium wird über den Härtefallantrag der Familie am 4. Oktober entscheiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin