Drogenpolitik in Neuseeland: Ende der Party
Neuseeland wollte synthetisches Cannabis zulassen. Doch der weltweit einzigartige Feldversuch wurde nun im Wahlkampf gestoppt.
CHRISTCHURCH taz | Am Mittwoch um Mitternacht war alles vorbei. Eine Minute später, und ein Tütchen „Apocalypse“ könnte nicht nur benebelte Träume verschaffen, sondern seinen Besitzer 500 Neuseeland-Dollar (rund 300 Euro) an Strafe kosten. Der Verkauf gar 500.000 Dollar und zwei Jahre Haft. Neun Monate, nachdem Neuseeland im Rahmen eines neuen Gesetzesentwurfs synthetisch hergestellte weiche Drogen auf Dauer frei zugänglich machen wollte, wurde das weltweit einzigartige Experiment diese Woche vorerst gestoppt.
Kiwis und Drogen: seit eh und je ein spezieller Markt. Die illegale Einfuhr von Kokain und Opiaten für gerade mal vier Millionen Einwohner, deren zwei Inseln nur per Schiff oder Flugzeug erreichbar sind, lohnt kaum. Abgesehen vom selbst gezogenen Marihuana – jeder Zweite im Lande hat schon mal gekifft – ist daher das extrem schädliche Metamphetamin populär.
„P“ wird in Garagen-Labors selbst hergestellt und meist von Gangs vertrieben. Vor 15 Jahren schwemmten selbst fabrizierte „Party-Pillen“ auf den Markt: legale, weichere Ableger von Ecstasy und Speed, angeboten in poppigen Shops wie „Cosmic Corner“, die auch Jonglier-Zubehör, Sonnenbrillen und Wasserpfeifen führen. Da jede staatliche Regulierung fehlte, explodierte der Konsum: Allein 2007 wurden ganz legal fünf Millionen Pillen mit BZP verkauft, einem euphorisierendem Wurmmittel für Tiere – ein Rekord.
Ein Jahr später wurde die Substanz verboten. Aber die Kreativität der Rausch-Erfinder wuchs: Ab sofort gab es in den einschlägigen Shops auch synthetisches Cannabis in allen Wirkungsformen und Geschmacksrichtungen. Die Inhaltsangaben auf den Tütchen namens „Dream“ oder „Bliss“ waren mit harmlos klingenden Kräuternamen vernebelt. Wirkungslose Damiana-Blätter machten das neue „Gras“ aus, aber versetzt war es mit meist aus China importierter Chemie. Die Rezeptur wurde laufend verändert, sobald eine der Zutaten vom Markt genommen wurde. Seit Mitte 2013 sind geschätzte 3,5 Millionen Päckchen für rund 25 Dollar pro Stück verkauft worden. Der Rohwert der psychoaktiven Substanz ist nur ein Bruchteil davon.
Das extrem potente „Kronic“ – in seiner Wirkung stärker als ein herkömmlicher Joint und seit längerem verboten – sorgte immer wieder für Medien- und Mediziner-Alarm, da es schwere Nebenwirkungen wie Paranoia und Psychosen hervorrufen kann. Das rief Gesundheitsminister Peter Dunne auf den Plan, statt eines generellen Verbots eine kontrollierte Freigabe mit entsprechenden Testverfahren und Einfuhrbestimmungen der Substanzen anzuschieben. Im Juli letzten Jahres wurde der „Psychoactive Substances Act“ verabschiedet – ein weltweit einmaliger Gesetzesentwurf, der Mitte 2014 in Kraft treten sollte. „Kronic“ und andere Produkte wurden vom Markt genommen, die Reglementierung strenger. Statt 300 waren ab sofort nur noch 41 sanftere „legal highs“ zu haben. Sie durften nicht mehr in Supermärkten, Getränkeläden und Tante-Emma-Läden verkauft werden, sondern nur in speziellen Geschäften mit besonderen Auflagen.
Verkehrt war einiges
Das halb-legale Grauzonen-Gewerbe staatlich zu sanktionieren und qualitativ zu verbesseren – das sei „pretty radical“ und „revolutionär“, stellte der Drogenforscher Dr. Chris Wilkins von der Massey Universität damals begeistert fest. Und Ross Bell, Direktor der neuseeländischen Drogenstiftung, frohlockte: „Wenn jemand die Pille oder das Pulver erfindet, das den Rausch beschert, den man möchte, aber nicht süchtig macht und sicher genug ist, um damit Auto zu fahren – was ist daran verkehrt?“
Verkehrt war leider einiges, wie die Realität rund um die einschlägigen Pillen-Shops bald zeigte. Ein „R18“-Laden in Christchurch ist nur zwei Türen von einer psychiatrischen Einrichtung entfernt. Gegenüber ist ein Kinderhort, ein paar Straßen weiter eine Grundschule. Eltern, Pfleger und andere Betroffene warnten immer vehementer von den Problemen, die der freie Verkauf von synthetischem Cannabis in ihrer Umgebung und ihren Familien auslöste. Mütter prangerten die Kronic-Sucht ihrer Kinder an und Fernsehberichte zeigten die desolaten Gestalten, die schon ab früh morgens in die einschlägigen Läden schlurften. „Legal Highs“ bekamen einen schlechten Ruf. Im April kam es landesweit zur Demonstration gegen den Verkauf des Synthetik-Dopes.
„Ein Fehler“ sei es gewesen, die legalen Drogen auf dem Markt zu lassen, räumte Premierminister John Key letzte Woche ein. Ob ultra-konservative 180-Grad-Wendung aus Wahlkampftaktik oder ernsthafte Schadensbegrenzung: Das Parlament verabschiedete im Eilverfahren einen Zusatz zu dem neuen Gesetz, das ab sofort den Verkauf aller 41 Rauschmittel verbietet. Die Auflagen für weitere Zulassungen wurden verschärft und können Hersteller bis zu einer Million Dollar pro Produkt kosten.
Zeit der Unschuld ist vorüber
„Mit den ‚legal highs‘ ist es für immer vorbei“, prophezeit Mark Carswell, der Inhaber der erfolgreichen „Cosmic Corner“-Kette, enttäuscht. Die Hälfte seiner Umsätze bricht weg, insgesamt sind es 140 Millionen Dollar Verlust für die gesamte Branche. Seit Jahren hat Carswell beim Gesundheitsministerum darum gekämpft, das unseriöse Vertreiber gestoppt werden, die viel zu starken Stoff zu Schleuderpreisen anboten: „Manches Zeug war billiger als Schnaps.“ In 17 Jahren habe es in Neuseeland keinen einzigen Todesfall durch die neuen Substanzen gegeben, ganz im Gegensatz zu Alkohol und Tabak. „Wir hätten eine liberalen, erwachsenen Umgang mit Drogen herbeiführen können. Jetzt ist das Thema erst mal politisch durch.“
Bei den Beratungsstellen im Land herscht Sorge. Rund 200 Kiwis seien bereits so süchtig, dass sie nur mit ärztlicher Hilfe entziehen könnten. Selbst das Gesundheitsministerium warnt, dass ein generelles Verbot die Pulver und Pillen auf den unregulierten und damit weit gefährlicheren Schwarzmarkt bringe, wo harte Drogen zirkulieren. Und chronisch Kranke oder Krebspatienten, die das legale Cannabis aus medizinischen Gründen zur Linderung ihrer Symptome geraucht haben, stehen ohne Versorgung da. Denn der Verkauf von Marihuana ist nach wie vor illegal.
In Christchurch, wo auch etliche der am Wiederaufbau nach dem Erdbeben beschäftigen Bauarbeiter als Kunden in den Pillen-Shops gesichtet wurden, werden mindestens zwei der acht einschlägigen Läden schließen. Am Mittwochabend kam es beim mit Stahltür gesicherten „R 18“-Laden im sozialschwachen Viertel Linwood wie auch anderswo zu panischen Hamsterkäufen. Zwei Süchtige bedienten sich besonders drastisch der verbliebenen Restbestände: Eine halbe Stunde vor Mitternacht zückten sie ein Messer und überfielen den Verkäufer, der Bargeld und die letzten legalen „Legal Highs“ herausrückte. Ein paar Straßenecken weiter wurden die Partypillenräuber gefasst. Mit der Unschuld der sanften Designer-Drogen ist es vorerst vorbei. Ab sofort sind auch sie ein schmutziges Geschäft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich