Drogen in der Surfszene: „Damals war alles eine endlose Party“
Früher trank der Surfer Darryl „Flea“ Virostko Wodka, bevor er die Wellen in Santa Cruz bezwang. Heute hilft er Surfern beim Entzug. Ein Gespräch über Sucht.
sonntaz: Herr Virostko, es ist vier Uhr nachmittags – wie verlief Ihr Tag bisher?
Darryl Virostko: Ganz normal: Ich bin um sechs Uhr aufgestanden, weil meine kleine Tochter Lily quengelte, hab mir einen Kaffee gemacht und mit ihr gespielt. Um sieben hat meine Freundin sie übernommen, und ich bin zur Baustelle eines Bekannten gefahren. Da helfe ich im Moment aus, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Nach der Schicht war ich noch kurz an der Stockton Avenue surfen. Nun sitze ich hier – im Garten meines Freundes Barney mit einem deutschen Journalisten.
Vor ein paar Jahren war „normal“ bei Ihnen etwas anderes.
Vor ein paar Jahren hätte ich am Nachmittag schon gar nicht mehr gewusst, was ich morgens gemacht habe. Ich war ein Zombie: Zum Frühstück trank ich eine halbe Flasche Wodka und zündete meine erste Meth-Pfeife. Manchmal blieb ich drei Tage wach, bis ich ins Koma fiel.
Damals galten Sie als furchtlosester Big-Wave-Surfer der Welt. Sie gewannen dreimal hintereinander den renommierten Mavericks Contest in 20 Meter hohen Wellen. Wie oft waren Sie high, wenn Sie es mit solchen Wassermassen aufnahmen?
Oft. Aber man darf sich das nicht wie Doping vorstellen. Ich komme aus Santa Cruz, hier gehören Drogen seit Jahrzehnten zur Surfszene. In den Achtzigern bauten die meisten Surfer ihr eigenes Gras an. Ich würde sagen, jede zweite Surfmarke Kaliforniens wurde mit Drogengeld gegründet. In dieser Kultur wuchs ich auf, also kannte ich es nicht anders. Wir rauchten vor der ersten Session eine Bong, und am Ende des Tages trafen wir uns im Pub auf ein paar Bier. Und wenn man zu betrunken wurde, zog man sich eine Line Koks rein. Meine erste Session in Mavericks, damals ein sagenumwobener Secret Spot, surfte ich 1991 nach einer durchgemachten Nacht, völlig high. Es war easy, ein großer Spaß. Damals war das Leben eine endlose Party.
Gleichzeitig war Santa Cruz immer berüchtigt für Localism, also territoriale Besitzansprüche auf die besten Wellen, die mit Gewalt durchgesetzt werden.
Na ja, es ist ganz einfach: Wir haben hier auf der Westside von Santa Cruz Weltklassewellen. Da will jeder ein Stück vom Kuchen haben. Also müssen wir aufpassen, dass uns nicht nur die Krümel bleiben. Wenn Eastsider oder Touristen aus dem Valley denken, sie könnten an den besten Tagen in Steamer Lane oder Stockton Avenue rauspaddeln, muss man ihnen klarmachen, wie die Regeln sind.
Der Surfer: „Flea“, 41, ist in Santa Cruz, Kalifornien, aufgewachsen. Den Surfwettbewerb Mavericks hat er dreimal gewonnen. Sein Sturz von einer 20-Meter-Welle im Jahr 2004 wurde als „Sturz der Dekade“ bezeichnet. Er ist einer der meistfotografierten Surfer der Welt und in Dokumentarfilmen wie „Riding Giants“ oder „Billabong Odyssey“ zu sehen.
Die Sucht: Nach einem Entzug machte Virostko seine Drogensucht 2008 öffentlich. 2009 richtete er in Santa Cruz das Rehabilitationszentrum „Fleahab“ für drogenabhängige Surfer ein.
Der Film zum Contest, „Chasing Mavericks“, läuft seit dieser Woche in den deutschen Kinos Die Geschichte über Surflegende Andy Irons ist unter www.taz.de/irons nachzulesen. Autor Gordon Repinski gewann mit ihr den Arthur F. Burns Journalistenpreis
Und wie sind die?
An unseren Surfspots gibt es eine Hackordnung. An deren Spitze stehen die Westsider. Danach kommt der Rest. Doch wenn du dich gut benimmst und nicht mit zu vielen Freunden auftauchst, wirst du auch als Nobody Wellen bekommen. Gewalt sieht man im Line-up heute nur noch selten. Das war früher anders! Als ich noch zur Highschool ging, gab es jeden Tag Schlägereien im Wasser. Vince Collier, der Godfather der Westside, und Anthony Ruffo, damals Santa Cruz’ bester Profisurfer, bestimmten, wer Wellen und wer aufs Maul bekam. Auf dem Weg zum Strand hatten wir immer Schiss, einem der harten Typen in die Arme zu laufen. Ohne Grund wurdest du verprügelt, lagst am Boden, das Rad war weg. Und wenn du einem von ihnen auf der Welle im Weg lagst, hattest du ein echtes Problem. Sie brachen dir die Finnen ab und hielten dich unter Wasser, bis du fast ertrunken bist. Auf der anderen Seite haben uns Vince und Ruffo auch protegiert. Ohne sie wäre ich kein Profi geworden und hätte nicht dreimal Mavericks gewonnen und fette Sponsorendeals erhalten.
Sie waren einer der meistfotografierten Surfer der Welt. Sponsorenverträge und Preisgelder bescherten Ihnen sechsstellige Jahresgehälter. 2002 wurden Sie im Vanity-Fair-Magazin aufgrund Ihres Lebenswandels „Tommy Lee of Surfing“ genannt. Mit diesem Lebenswandel verloren Sie allerdings auch alle Sponsoren wieder. Sind Sie zu hoch geflogen?
Zu hoch geflogen? Vielleicht. Aber ob die Popularität was damit zu tun hatte? Ich weiß es nicht. Als Surfprofi ist man ständig fremdbestimmt. Die Reisen zu Surfmessen, Demo-Touren und Shop-Eröffnungen saugen einen aus. Jeder Surfer, der zu viele Sponsorentermine wahrnehmen muss, baut ab. Es gibt da nichts anderes zu tun, als sich zu betrinken. Man reist mitten im Sommer tagelang in einem Wohnmobil durch New Jersey, klappert Strand um Strand ab, um Hände zu schütteln, obwohl gar keine Wellen da sind. Auf diesen Reisen hat fast jeder ein Alkoholproblem, die Teammanager bestellen einem einen Drink nach dem anderen.
Und dann kam Methamphetamin hinzu?
Ja. Der Meth-Rausch ist dem Kick, den das Surfen großer Wellen auslöst, sehr ähnlich. Nach einer Surfsession in Mavericks fällt man in ein Loch, wenn man keine sinnvolle Beschäftigung an Land hat. Mein Leben entglitt mir ab 2007 immer mehr. Aber ich war nicht der Einzige. Meth mischte die Surfszene auf. Anthony Ruffo fing als erster Westsider mit dem Zeug an, fast alle anderen folgten ihm. Auch auf Hawaii sind viele Profis süchtig geworden. Doch die Surfindustrie tut noch immer alles, damit die Wahrheit nicht ans Licht kommt. Wie man an Andys Fall sieht.
sonntaz
Diesen und viele weitere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 19./20. Januar 2013. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Andy Irons, der dreifache Weltmeister, der 2010 mit 32 Jahren während der Weltmeisterschaftstour an Herzversagen starb; in seinem Körper fand man auch Methamphetamin.
Wir wussten alle, wie es um ihn stand.
2008 gingen Sie mit Ihrer Sucht an die Öffentlichkeit, Sie hatten sich selbst in ein Rehabilitationszentrum eingewiesen.
Klar, ich wollte das Schweigen brechen. Vielleicht hilft es Surfern, die auch drogensüchtig sind. Ich habe ja nichts zu verbergen, ich mache niemand anders dafür verantwortlich als mich selbst. Ich habe die Entscheidungen getroffen, die mich in die Scheiße geritten haben. Meine Karriere hätte ganz anders aussehen können, wenn ich sie ernster angegangen wäre.
2009 eröffneten Sie das Rehabilitationszentrum Fleahab in Santa Cruz, eine Non-Profit-Organisation. Wie kam es dazu?
Die Zeit in der Reha war grausam für mich, ich hatte dort nichts zu tun. Ich malte Bilder, so groß war meine Langeweile. Als Wellenreiter sind wir es gewohnt, in der Natur zu sein, aktiv zu sein. Das ist in den normalen Entzugskliniken nicht möglich. Also habe ich die Fleahab gegründet, um Surfern und Athleten, die ein Alkohol- oder Drogenproblem haben, beim Entzug zu helfen. Wir verpassen Ihnen einen strikten Tagesablauf: Wir gehen surfen, machen Fitness oder bauen Staudämme in den Bergen. Mein Zentrum soll Spaß machen. Fleahab statt Rehab! Das wird mich selbst auch auf Trab halten. Denn ich will keine Drogen mehr nehmen. Ich will nicht mehr trinken. Das ödet mich an. Damit bin ich fertig. Ich hatte großes Glück, dass ich ohne Straftaten aus der ganzen Zeit herausgekommen bin, ohne jemanden zu töten. Ich bin körperlich unversehrt und kann meine Tochter aufwachsen sehen. Das ist das Wichtigste.
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