Drogen-Ausstiegsprojekt: Die Underdogs vom Kotti

Beim Ausstiegsprojekt Idefix dreht sich alles um den Hund. Über die Vierbeiner sollen Junkies angesprochen und Perspektiven für ein drogenfreies Leben gezeigt werden.

Dass Hunde Betreuung brauchen, nutzen die Macher des Projekts. Bild: ap, Axel Heimken

Auf Ameise ist Verlass. Während der 46-Jährige die Untersuchungsergebnisse der Tierärztin abwartet, tippt er am Computer sorgsam Name, Besitzer und Körpertemperatur der tierischen Patienten in die digitale Krankenakte. Und springt auch schon mal ein, wenn bei der Anamnese etwas vergessen wurde. "Durchfall hat der Hund keinen?" fragt er dann und erntet ein anerkennendes Nicken der Ärztin. Früher war der Mann mit dem Ziegenbärtchen drogenabhängig. Heute ist Ameise Sprechstundenhilfe bei Idefix.

Idefix, so die offizielle Beschreibung, ist ein Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekt für drogenabhängige Menschen, die mit den Ersatzstoffen Methadon, Polamidon oder Subutex substituiert werden. Seit 2001 wird es von der gemeinnützigen Gesellschaft Fixpunkt angeboten, um ehemaligen Abhängigen und solchen, die es werden wollen, bei der Neustrukturierung ihres Alltags und beim Einstieg ins Berufsleben zu helfen. Das Besondere an dem Projekt: Alles dreht sich um den Hund.

"Wir haben festgestellt, dass viele Drogenabhängige einen Hund besitzen", erklärt Projektleiter Sören Sörensen die Idee hinter Idefix. "Über dieses Medium kommen wir gut mit ihnen ins Gespräch." Das Büro des Sozialarbeiters befindet sich in den Projekträumen in der Dresdener Straße, nahe dem Kottbusser Tor, einem Treffpunkt vieler Junkies. Sörensen kennt den Tagesablauf der Süchtigen: "Die wachen morgens auf und denken: Wo krieg ich Geld her? Wann treffe ich den Dealer?"

Dem versucht Idefix - Namenspate war der Hund aus den Asterix-Comics - ein anderes Lebensmodell entgegenzusetzen. Anfangs übernehmen die Süchtigen zum Beispiel leichte Verpackungsaufgaben. "Wichtig ist, dass sie etwas zu tun haben", sagt Sörensen. Auch wenn der Ausstieg dann oft erst im dritten oder vierten Anlauf klappt, ist der Sozialarbeiter vom Nutzen des Projekts überzeugt: "Wenn sie zu uns Kontakt haben, sind sie schon mal an das Hilfssystem angedockt."

Die wöchentliche Tiersprechstunde ist Teil dieses Systems. Jeden Mittwoch kommen etwa acht Suchtmittelabhängige mit ihren Tieren zu Idefix, um sie in dem improvisierten Behandlungszimmer im zweiten Stock untersuchen zu lassen. Gegen Vorlage des Hartz-IV-Bescheids, des Substitutionsausweises und einen Obolus von einem Euro versorgt eine Ärztin offene Wunden, impft gegen Tollwut oder verschreibt Entwurmungstabletten. Und das lohnt sich für alle: Die Süchtigen erhalten eine tierärztliche Untersuchung, die sie sich sonst nicht leisten könnten; die Sozialarbeiter können Kontakte aufbauen; und ehemals Abhängige wie Ameise haben die Möglichkeit, hier einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen.

Seinen richtigen Namen verrät der inzwischen Substituierte nicht. Nur, dass er seinen Spitznamen schon vor über 30 Jahren bekommen hat. "Vielleicht, weil ich so fleißig bin", sagt er und grinst. Bei der Hundesprechstunde assistiert Ameise seit vier Jahren, über 500 Patienten hat er in der Zeit kommen, gehen, aber auch bleiben sehen. Er weiß, wie wichtig es ist, der "junkietypischen Zwangsvereinsamung" entgegenzutreten - auch aus eigener Erfahrung: Früh habe er mit den Drogen begonnen, mit Ende zwanzig sei er dann "richtig reingerutscht." Alles habe er genommen, und sein sturer Tonfall verbittet sich jede auf Konkretisierung abzielende Nachfrage. "Wirklich alles", wiederholt er noch mal mit Nachdruck. Irgendwann würden sich die Gedanken nur noch um die Beschaffung des Stoffes drehen.

"Mit einem Hund geht das nicht: Um den muss man sich kümmern." Dass die Abhängigen mit der Zeit verantwortlicher werden, falle ihm auch durch die Tiersprechstunde auf. "Früher kamen sie mit dem Bier in der Hand hierher, heute kommen sie zur Nachuntersuchung." Das Frauchen einer schwarzen Dogge, der gerade die Krallen geschnitten werden, bestätigt das: Seit sie den Hund habe, tue sie alles, um nicht ins Gefängnis zu müssen. Denn: "Wer würde sich dann um ihn kümmern?"

Seit 2005 wird Idefix aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert, für die Jahre 2009 und 2010 stehen dem Projekt 165.000 Euro zur Verfügung. Neben zwei Vollzeit- und einer Halbtagskraft wird davon in erster Linie die Bereitstellung von Arbeitsgelegenheiten finanziert, das Kerngeschäft von Idefix.

Diese Arbeitsgelegenheiten nutzen derzeit 17 Teilnehmer und profitieren dabei doppelt: Zum einen lassen sich durch die 1-Euro-Jobs die Hartz-IV-Bezüge ein bisschen aufbessern, zum anderen soziale und fachliche Kompetenzen für den Arbeitsmarkt erwerben. Unter Anleitung lernen die ehemals Abhängigen etwa in Sattlerkursen, wie man Hundeleinen aus Rinderhaut herstellt, im Kochkurs Trockenfutter und Rindermuffins zu backen und im Textilkurs das Bedrucken von Hundehalstüchern. Die selbst gemachten Produkte werden anschließend im Laden im Erdgeschoss verkauft, was wiederum das Selbstbewusstsein vieler Projektteilnehmer stärkt.

Die Hilfsangebote sind trotzdem nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Senatsverwaltung für Gesundheit schätzt die Zahl der Berliner Opiatabhängigen, also Konsumenten von Morphium oder Heroin, auf 8.000 bis 10.000. Die Dunkelziffer dürfte um einiges höher liegen, da Abhängige, die strafrechtlich nicht in Erscheinung treten und ihre Spritzen etwa in Apotheken kaufen, nicht in der Statistik auftauchen. Zusätzlich wohnen in Berlin noch etwa 4.000 Substituierte.

Erfolgsgeschichten fallen da auf. Zum Beispiel die von Klaus, der seit 2005 mit Idefix verbunden ist. Wegen eines Bandscheibenvorfalls verließ er zwar vorzeitig das Projekt, kam später aber bei einem anderen Träger unter. Und der leiht ihn nun als Hundebetreuer an Idefix aus. "Wir kooperieren untereinander mit anderen Trägern, um für jeden Ausstiegswilligen eine passgenaue Einsatzstelle zu finden", erklärt Sozialarbeiter Sörensen. "Klaus kannten wir schon, er ist zuverlässig. Deshalb ist Idefix seine Einsatzstelle." Das Angebot wird in erster Linie von Hundehaltern genutzt, die sich aus gesundheitlichen oder zeitlichen Gründen nicht ausreichend um ihre Vierbeiner kümmern können.

Immer zur Mittagszeit macht sich Klaus auf den Weg zu seinem Job. In einem Geschäft in der Oranienstraße holt er Hezky ab, einen goldbraunen Mischling. Als Klaus den Laden betritt, wedelt der Hund schon freudig mit dem Schwanz. Er kennt seinen Hundesitter, der ihn jeden Tag zwei Stunden durch Kreuzbergs Parks und Brachflächen Gassi führt. Nur am Wochenende sehen sich die beiden nicht.

Klaus legt sich die braune Lederleine um den Hals und zieht den Kragen seiner Windjacke hoch. Auf den Schultern trägt er einen Rucksack, gefüllt mit mehr als tausend Hundekottüten. Mit denen muss er heute die entsprechenden Behälter am Wegesrand auffüllen, hat man ihm bei Idefix gesagt. Dann geht es raus.

Während Hezky schnüffelnd die Spuren anderer Hunde aufnimmt, läuft Klaus schweigend hinterher. Wenn er spricht, dann meistens über Tiere. "Die Krähen da oben, die sind immer da" sagt er und zeigt ins Geäst. Oder: "Den da drüben kenne ich auch", wenn er mit Hezky einem anderen Hund begegnet.

Klaus ist auf dem Land in Westfalen aufgewachsen und kam zur Therapie nach Berlin. Auf Fragen nach seiner Drogenvergangenheit reagiert der groß gewachsene Mann ziemlich wortkarg. Wann er das erste Mal mit Drogen in Berührung kam? "Mit 12." Und wie? "Durch Freunde." Was er genommen hat? "Alles Mögliche." "Kein Bock", sagt er dann und wirft seinem Schützling ein paar Leckerlis zu. Der dreht sich zum Dank um die eigene Achse. "Fein gemacht", sagt Klaus und tätschelt Hezky die Schnauze.

Erst, als es wieder um Tiere geht, taut Klaus auf. Und erzählt von den zwei Schnecken, die er bei sich zu Hause im Terrarium wohnen hat. Gerade haben sie Nachwuchs bekommen, erzählt er. Zum Beweis kramt er sein Handy aus der Jackentasche und zeigt stolz eine Aufnahme. "Die sind so klein wie ein Stecknadelkopf!"

Als Klaus seinen Schützling Hezky am frühen Nachmittag zurück zu seinem Besitzer bringt, hat das Wetter auch bei ihm seine Spuren hinterlassen: Die Nase läuft, die Hände sind ganz rot vor Kälte. Es bleibt gerade noch Zeit für einen wärmenden Kaffee, dann muss Klaus wieder los. Der nächste Hund wartet schon auf ihn.

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