Dreigroschenoper: Denen man nichts beweisen kann
Die Melodie von "Mackie Messer" stammt gar nicht von Kurt Weill, sondern von einem saarländischen Komponisten. Behauptet dessen Tochter.
"Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht", so beginnt der weltbekannte Song "Die Moritat von Mackie Messer" aus der Dreigroschenoper (1928). Das Stück war ein triumphaler Erfolg: Sowohl der Verfasser des Textes, Bertolt Brecht, als auch der Komponist Kurt Weill erlangten damit Weltruhm. Ein Erfolg, der nicht zuletzt der eingängigen Melodie des "Mackie Messer"-Songs geschuldet war.
Hildegard Frieda Albertine Knef ("Hildegarde Neff"), verstorbener Weltstar aus Deutschland, interpretierte "Mackie Messer" erstmals im Jahr 1963.
Louis Armstrongs Aufnahme aus dem Jahr 1956 in einer Übersetzung von Marc Blitzstein ("Mack the Knife") verhalf der Moritat zu einer großen Popularität auch außerhalb des Kontextes von Theateraufführungen - sie wurde fortan zu einem Jazzklassiker, das auch von Ella Fitzgerald und Frank Sinatra gesungen wurde.
Bobby Darins Interpretation aus dem Jahr 1956 wurde zu einer der erfolgreichsten überhaupt: Sie erreichte sowohl in den USA als auch in Großbritannien Platz 1 der Single-Charts.
Robbie Williams, Pop-Konsens-König, performte auf seinem Album "Swing When Youre Winning" den Dreigroschenoper-Hit bravourös - und popularisierte so den Klassiker auch innerhalb der jüngeren Zuhörerschaft.
Die Gitarrenband Slut aus Ingolstadt veröffentlichte im Jahr 2006 eine EP mit Songs aus der Dreigroschenoper, darunter auch "Mackie Messer". Das Album musste auf Betreiben der Brecht-Erbin Barbara Schall vom Markt genommen werden.
Marianne Faithful, notorisches Ex-Groupie, interpretierte den Song innerhalb ihres Kurt-Weill-Albums "The Seven Deadly Sins" (1998)
Milva, im richtigen Leben überzeugte Sozialistin, machte sich auch mit Brecht-Songs einen Namen. 1975 erschien ihr Album "Bertolt Brecht", darauf selbstverständlich auch "Die Moritat von Mackie Messer".
Die Behauptung, dass diese gar nicht aus der Feder Weills stamme, sondern aus der des inzwischen verstorbenen saarländischen Komponisten Albert Niklaus stellt jetzt dessen Tochter in den Raum. "1927 wurde von der Firma Bemberg, einer Berliner Seidenstrumpffabrik, ein Wettbewerb für eine Werbemelodie ausgeschrieben, und mein Vater hat sich noch als Student eine kleine Komposition dafür ausgedacht", erzählt die Sankt Ingberter Pianistin Angelika Bronnec geborene Niklaus.
Ein Kommilitone habe den Text dazu gedichtet. Als ihr Vater zwei Jahre später in der Berliner Kroll-Oper mehr oder weniger zufällig die Dreigroschenoper gesehen habe, wollte er seinen Ohren nicht trauen. "Mein Vater erkannte seine Musik wieder", so Angelika Bronnec.
Das Hauptthema seiner Werbemelodie sei im Weill-Song im Wesentlichen übernommen worden. "Später erfuhr mein Vater dann, dass der Vorsitzende der Jury, ein damals prominenter Opernsänger namens Richard Tauber, ein enger Vertrauter Kurt Weills war."
Gegen den Diebstahl des geistigen Eigentums etwas zu unternehmen sei ihrem Vater jedoch nie in den Sinn gekommen. "Er verstand sich als Vertreter ernster Musik", erklärt die Tochter. Auch die Kosten eines möglichen Verfahrens schreckten Albert Niklaus davon ab, gegen den berühmten Kurt Weill rechtlich vorzugehen.
"Mein Vater sagte immer: Ich bin froh, dass meine Melodie um die ganze Welt gegangen ist. Diese Tatsache ist mir Befriedigung genug." Dass Kurt Weill eine ihm bekannte Melodie übernommen haben könnte, hält auch der Karlsruher Brecht-Experte Jan Knopf für möglich. "Brecht und mit ihm auch Weill führten eine ganz neue Arbeitsweise ein. Es wurde viel zitiert, auch bei der Musik."
Die Frage nach dem "Diebstahl geistigen Eigentums" ist also auch eine Frage des Standpunkts. Angelika Bronnec besitzt noch heute die Originalnoten des Werbesongs. Sie hat schon des Öfteren darüber nachgedacht, die Rechte für das Lied gerichtlich einzuklagen - schließlich sind die Noten Millionen wert.
Der einzige Zeuge der Entstehung, der Texter Rudolph Kullmann, ist jedoch bereits verstorben. Auch gegen die einflussreiche, mittlerweile in den USA ansässige Familie Weill etwas zu erreichen, erscheint der Tochter des Komponisten eher aussichtslos.
Und so bleibt der Song bei Brecht und Weill, denen "man nichts beweisen kann".
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