Dreck an deutschen Küsten: Romanze in Müll
An deutschen Ostseestränden sammelt sich der Abfall. Eine Initiative aus Umweltverband und Fischern sorgt dafür, dass das Binnenmeer entmüllt wird. Mit einigem Erfolg.
HEILIGENHAFEN taz | Plastiktüten, Joghurtbecher und Badelatschen - eigentlich gibt es nichts, was es nicht gibt. "Und alles muss raus", sagt Kim Detloff. Raus aus dem Meer. Dazu soll das Modellprojekt "Fishing for Litter" beitragen, das Detloff beim Naturschutzbund (Nabu) betreut. Seit Mai kooperiert die Umweltschutzorganisation mit den Fischern in den Ostseehäfen Burgstaaken auf der Insel Fehmarn und gegenüber in Heiligenhafen. Allein die Zusammenarbeit zweier Gruppen, die als verfeindet gelten, ist schon wegweisend.
"Man ist da ja immer skeptisch", sagt Ulrich Elsner, Geschäftsführer der Genossenschaft Küstenfischer Nord eG, die 38 Fischereibetriebe an der Küste vertritt. Aber er habe festgestellt, "dass man mit denen auch vernünftig reden kann".
Seit Mai wird das Fischen nach Abfall in der Ostsee praktiziert. Die Fischer bringen den Müll, den sie in ihren Netzen finden, mit in den Hafen. Dort sorgen der Zweckverband des Landkreises Ostholstein und das Duale System Deutschland (DSD) für die sachgerechte und kostenlose Entsorgung. Abtransport und Verwertung sind für die Fischer umsonst. Der sortierte Abfall wird vom DSD recycelt.
Wie groß die Belastung durch Zivilisationsmüll an deutschen Küsten ist, kann nur geschätzt werden. Die Badeorte haben kein Interesse daran, das Thema an die große Glocke zu hängen. Nach Schätzungen des Umweltbundesamts werden allein auf der Nordseeinsel Sylt täglich bis zu zwei Tonnen Müll angespült. Die Ostseebäder an der Lübecker Bucht zwischen Fehmarn und Travemünde geben pro Jahr etwa 1,2 Millionen Euro für die Reinigung ihrer Strände aus.
In Ermangelung offizieller Statistiken machen Naturschützer und Wissenschaftler seit Jahren stichprobenartige Untersuchungen. Danach sind an der Nordsee pro 100 Meter Küstenlinie im Jahr durchschnittlich 712 Müllteile am Spülsaum zu finden. Drei Viertel davon bestehen aus Plastik und Kunststoff, hinzu kommen Bekleidung, Metall, Glas und Gummi, immerhin 0,6 Prozent machen zum Teil benutzte Hygieneartikel aus. An der Ostsee wurde bei einer Untersuchung 2007 eine ähnlich hohe Belastung festgestellt.
Der durch Schifffahrt, Fischerei und nicht zuletzt den Tourismus selbst anfallende Abfall führt nicht nur zur allgemeinen Verschmutzung von Wasser und Badestränden. Er gefährdet auch Fische, Vögel und Meeressäuger. 95 Prozent aller obduzierten Vögel hatten Plastik in Magen und Darm, einige mehr als 30 Teile.
Noch haben die Fischer von Heiligenhafen erst drei Kubikmeter Abfall mitgebracht, die Fangsaison geht erst jetzt so richtig los. Elsner schätzt, dass ein Kutter nach drei, vier Tagen auf See "an die 500 Kilo Müll mitbringt". Deshalb sei das Litter-Projekt "eine gute Idee". Detloff lobt Elsners Einsatz für die Kooperation mit dem Nabu: "Ohne ihn hätte das kaum geklappt."
Es sei "durchaus ein Bewusstseinswandel bei den Fischern eingetreten", gibt Elsner zu. Und die Zusammenarbeit schafft Vertrauen: Detloff und Elsner sind inzwischen per Du - fast eine Romanze in Müll.
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