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„Dreams“ von Michel FrancoDie Grenzen der Zuneigung

Der Film „Dreams“ ist ein Liebes- und ein Migrationsdrama. Michel Franco seziert die Folgen ungleicher Machtverhältnisse für eine Beziehung.

Er will kein Geld, er will Anerkennung: Isaac Hernández als migrantischer Balletttänzer in „Dreams Foto: © Teorema

Die ganze Dringlichkeit des Dramas von Regisseur Michel Franco steckt schon in den ersten Bildern: Ein Lastwagen steht mitten in der Wüste, die Sonne sinkt, dann ist es Nacht – und markerschütternde Schreie dringen durch die verschlossenen Türen des Anhängers.

Die Szene erinnert an die zahllosen Berichte über die grausamen Bedingungen, unter denen Menschen aus Mexiko in die USA fliehen und dabei oft genug ihr Leben verlieren. Alles, was auf die Szene folgt, steht in Beziehung zu diesem Auftakt, auch wenn sich der Film schnell von den grausamen Umständen entfernt, unter denen der etwa 30-jährige Fernando (Isaac Hernández) nach San Francisco gelangt ist.

Dort kommt er in einer modernen Stadtvilla unter, die er augenscheinlich nicht zum ersten Mal betritt. Es handelt sich um das Zuhause von Jennifer McCarthy (Jessica Chastain), das wie ihre vielfach im Film ausgestellte Designergarderobe gleichsam auch ein Symbol für ihren Wohlstand, ihre Macht ist. Das enorme soziale Gefälle zwischen der vermögenden, älteren Jennifer und dem mittellosen Fernando wird zum Kern des Films.

Was sie verbindet – Liebe, Lust oder etwas anderes? – offenbart sich in „Dreams“ in einer reizvollen Langsamkeit und bleibt wohltuend lange in der Schwebe. Zwar empfängt Jennifer den jungen Mann mit überschäumender Freude, doch ihre Worte tragen eine unangenehme Ambivalenz in sich: War es nicht riskant, nur für sie zurückzukehren? Waren sie in Mexiko nicht glücklich genug?

Der Film auf der Berlinale

Der Film läuft im Wettbewerb.

17. 2., 13 Uhr, HKW 1 – Miriam Makeba Auditorium

19. 2., 21.30 Uhr, Uber Eats Music Hall

Gönnerhafte Überheblichkeit

Dass Fernando bereits einmal aus den USA abgeschoben wurde und in seiner Heimat als Balletttänzer für eine von den McCarthys geförderte Akademie tätig war, zeigt sich später. Denn Jennifer ist die Tochter eines überaus vermögenden Unternehmers (Marshall Bell) – gemeinsam mit ihrem Bruder (Rupert Friend) leitet sie Wohltätigkeitsprojekte der Familienstiftung.

Jessica Chastain als reiche US-Amerikanerin, im breiten Originalformat des Films Foto: © Teorema

In klug konstruierten Szenen, die den „McCarthy“-Clan in ego-geladenen Meetings oder bei der feierlichen Eröffnung eines neuen Kunstflügels zeigen, seziert Michel Franco die gönnerhafte Überheblichkeit von Jennifers Welt. Menschen wie Fernando haben darin nur als Beweis der eigenen Mildtätigkeit einen Platz.

Damit hat Jennifers Zuneigung ganz offenbar Grenzen. Sie will Zeit mit Fernando verbringen, ihn umsorgen, gar verhätscheln – doch mitbekommen soll das niemand.

Konsequenzen der sozialen Kluft

Fernando hingegen, der sich trotz seiner prekären Lage immer wieder als der Selbstbestimmtere erweist und in den USA seine Karriere als Tänzer vorantreibt, fordert Anerkennung. Er braucht kein Geld, sondern will, dass sie sich zu ihm als Partner bekennt. Der Konflikt eskaliert, bis die Konsequenzen der sozialen Kluft zwischen Jennifer und Fernando in all ihrer Hässlichkeit zu Tage treten. In einem Finale, das den vorher so sorgsam gezeichneten Figuren zwar nicht immer gerecht wird, aber nachhallt.

Der selbst aus Mexiko stammende Michel Franco zeigt, wie systemische und individuelle Macht über Schicksale, über „Träume“, entscheidet. Im Schatten von Trumps zweiter Amtszeit besticht „Dreams“ letztlich nicht nur als präzises Beziehungsdrama, sondern auch durch seine beklemmende Aktualität.

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