Dramatisches Kritikervotum: Die Verunsicherung des Jahres
Soviel Zustimmung wie „Die lächerliche Finsternis“ erfuhr noch kein Theatertext in der jährlichen Umfrage von „Theater heute“.
Das, was man nicht bewältigen kann, wird gerne verdrängt. Aber plötzlich ist es so sichtbar, dass abschalten nicht mehr möglich ist. Ein LKW voller Toter in Österreich, versunkene Schiffe im Mittelmeer, täglich mehren sich die Tragödien der Menschen, die nach Europa wollen.
Der Text, der jetzt in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Theater heute zum Stück des Jahres gewählt wurde, ist zwar nicht Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“, der sich auf vielfältige Weise mit dem Umgang mit denen auseinandersetzt, die hier einen besseren Ort zum Leben suchen, sondern „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Lotz. Aber auch da steht das Nicht-Bewältigte im Vordergrund, die kaschierte Fremdenfeindlichkeit, die Subtexte bei Hilfsaktionen und militärischen Einsätzen im Ausland – im Stück ein fiktionalisiertes Afghanistan, an dem deutsche Soldaten kläglich scheitern.
Sich in einem Land zu bewegen, dass man nicht versteht; auf den eigenen Wahnsinn in der Begegnung mit etwas Unbekannten zu treffen – das ist der unsichere Grund, über den das Stück von Wolfram Lotz mit fintenreichen Sätzen lockt, von denen man oft nicht genau weiß, wie sie denn gemeint sind.
Kettenreaktion
27 von 42 Kritikern haben dieses Drama höchster Verunsicherung gewählt, dann gleich noch den Regisseur der Wiener Uraufführung, Dusan David Parizek zum stärksten Regisseur und die Schauspielerin Stefanie Reinsperger, die als Pirat aus Somali die Aufführung mit einem furiosen Solo eröffnet, trickreich und beherzt über alle Fallen der identitären Repräsentation hinwegspringend, zur besten Schauspielerin.
Schließlich hat auch das Wiener Burgtheater von diesem Faszinosum profitiert, mit 6 Stimmen zum Theater des Jahres gewählt. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil das Burgtheater letztes Jahr, von Finanzmiseren und der intransparenten Führung des Intendanten Matthias Hartmann betroffen noch als Ärgernis des Jahres galt. Die Anerkennung würdigt nun, dass die neue Intendantin Karin Bergmann nicht nur Schulden abgebaut hat, sondern auch Aufsehen erregende Inszenierungen auf den Weg brachte.
42 Kritiker, das ist statistisch gesehen eine geringe Größe. Aber auch schon vor der Umfrage erhielt „Die lächerliche Finsternis“ von Lotz und Parizek auf dem Theatertreffen in Berlin und bei den Mülheimer Theatertagen große Anerkennung.
Sicher auch, weil die Inszenierung dort, wo bei der Textlektüre mehr Fragezeichen als Verständnis aufblitzen, das Flattern der Nerven noch weiter vorantreibt und das dumpfe Lauern der Erkenntnis, dass auf vergangene Fehler nur noch mehr Falschheiten in der Gegenwart folgen, sich immer ungemütlicher abzeichnet. Es ist ein Drama über das Nicht-weiter-wissen. Mit der möglicherweise minimalen Hoffnung, dass ein Eingeständnis des Versagens noch etwas bewegen kann.
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