Drama um russisches U-Boot „Kursk“: Etüde des Abschiednehmens
Ernsthaft, nüchtern und mit Zurückhaltung: Regisseur Thomas Vinterberg inszeniert in seinem Spielfilm den Untergang des Unterseeboots meisterlich.
Kinder im Anzug, in Trauer. Könnte Mischa was sagen, wäre es ein verzweifelt-wütendes, doch höflich-bestimmtes „Njet, spasibo“. Aber der orthodoxe Kirchenchor singt laut. Beweint wird der Tod von Mischas Vater, Kapitänleutnant Michail Awerin, und aller weiteren 117 Besatzungsmitglieder der K-141 „Kursk“, die beim Unglück des russischen Atom-U-Boots in der arktischen Barentssee ums Leben kamen.
Und da Gesten ohnehin mehr als Worte sagen, verwehrt der kleine Mischa dem großen Admiral Petrenko (Max von Sydow) den Handschlag. Weil der Admiral aus bürokratischer Sturheit und greisem Sowjetstolz die internationale Hilfsrettung zunächst ausgeschlagen hat – also selbst die ihm und der russischen Marine entgegengehaltene Hand nicht angenommen hat – und nun zur heuchlerischen Beileidsbekundung ansetzt.
Njet, spasibo. Nicht mit uns, lautet das Urteil der Hinterbliebenen der Opfer, einer neuen Generation, 15 Jahre nach Tschernobyl, und 15 vor der Krim.
Mischas verwehrter Händedruck, am Ende eines Films, der vom Sehenden-Auges-Sterben und von viel vergeblicher Hoffnung erzählt, markiert einen wesentlichen politischen Aspekt von Thomas Vinterbergs sehr internationaler Verfilmung der sehr russischen Tragödie vom 12. 8. 2000: Denn auch im Katastrophenfilm interessiert den einst wilden Dogma-95-Autorenfilmer („Das Fest“) neben der Erkundung des Verhaltens von Menschenkollektiven vor allem, in welchem Verhältnis der Generationswechsel zu einem möglichen Gesellschaftswandel steht. Ein Porträt „aller Soldaten der Kursk und der 71 Kinder, die ihre Väter verloren“, sei der Film.
Der Einspruch der Normalbürger
Und so ist es ausgerechnet ein Kind, das angesichts des technisch-politischen Desasters und der menschlichen Tragödie zum Herr der Lage und zukünftigen Hoffnungsträger wird, während die Nicht-Postsowjet-Admiräle nur den Anschein ihrer Ehrwürdigkeit wahren, in Wahrheit aber jenseits der Moral agieren.
Auch Jahre nach der Perestroika, das erzählt diese Szene stillschweigend mit, stand dem postsozialistischen Russland eine echte Wende inklusive neu eingestellter Zivilgesellschaft noch bevor. Darüber, ob der große Bär da heute angekommen ist oder eher wieder Rückschritte absolviert, schweigt der Film bewusst und klug – er endet da, wo er beginnt: im August 2000.
„Kursk“. Regie: Thomas Vinterberg. Mit Léa Seydoux, Colin Firth u. a. Belgien/Frankreich/Norwegen 2018, 117 Min.
Dennoch ist die Plotline des sich allmählich formierenden Einspruchs der Normalbürger – erzählt über die Anverwandten und Freunde der Besatzungsmannschaft – für den Film zentral.
Während sich das Drama im Inneren des U-Boots zuspitzt und die nach der ersten, durch einen defekten Torpedo ausgelösten Explosion von 118 auf 23 geschrumpfte Belegschaft unter der heldenhaften und ehrwürdigen Führung von Kapitänleutnant Awerin (Matthias Schoenarts) ums Überleben kämpfen, leitet Tanja, Michails Gattin und Mischas Mutter (die hochschwangere Léa Seydoux), den Kampf draußen.
Den Kampf gegen die Politfunktionäre, die zwar ziemlich genau über den verheerenden Stand der Dinge im Bauch des Technowals Bescheid wissen, aber doch auf rhetorische Schallplatten-Formeln (von der „langen, stolzen Geschichte unserer Marine“) setzen und weiterhin jede internationale Hilfe ablehnen. Sei es aus Gründen der Geheimhaltung, sei es aus anderen, noch vom Kalten Krieg herrührenden Verhaltensweisen.
Historische Fakten als Grundlage
Auch hier, unter den Hoffenden und Bangenden in der nahe bei Murmansk gelegenen Siedlung Widjajewo, der Basis der Nordflotte und dem Heimathafen der „Kursk“, findet ein Generationswechsel statt. So wird Tanjas impulsiver Widerstand zuerst von zwei Alten gezähmt. „Eure Pflicht ist es, zu warten und zu hoffen!“, sagt der Mann, die Frau erzählt von den Heldentaten der Väter und Gatten.
Ausgerechnet sie ist es, die wenig später angesichts der öffentlichen, mit großen Aussparungen und kleinen Lügen gespickten Verkündigung der Katastrophe selbst ausrastet und protestiert. Panik und Aufruhr können sich die Behörden nicht leisten. So wird die Frau mit Tranquilizern ruhiggestellt. Die Spritze kommt aus dem Hinterhalt.
Man muss gar nicht erst Robert Moores gut recherchiertes Buch „A Time to Die. The Kursk Disaster“ lesen, auf dem das Drehbuch von Robert Rodat („Der Soldat James Ryan“) basiert, um zu wissen, dass viele Details in Vinterbergs Spielfilm wahren Begebenheiten entsprechen. So auch die Geschichte mit den Sedativen. Moore fungierte als Berater, was sich vor allem in zwei Bereichen bemerkbar macht.
Der Schock kommt von allein
Einmal in der durchaus komplexen Nacherzählung der technischen Katastrophe. Vom defekten Testtorpedo, der schon in Minute 24 wie aus dem Nichts explodiert (okay, Matthias Schweighöfer aka Pawel hatte gewarnt, August Diehl aka Anton alles versucht), über Wasserstoffperoxid-Lecks, Torpedoraum-Feuer und Eiswassermassen-Druck, Pumpen ohne Reservebatterien und Ausstiegsluken ohne Öffnung bis hin zu den Sauerstoff-Patronen, die Awerin in einer Superhelden-Atem-anhalten-Szene ertaucht, bevor die 23 Männer, die sich zunächst in einen hinteren U-Boot-Sektor retten hatten können, doch alle sterben: Dem zaudernden Leo fällt der CO2-Filter ins Wasser, es brennt, auch die letzten Überlebenden ersticken.
Vinterbergs Inszenierung ist ernsthaft und nüchtern. Gut. Der Schock kommt von allein. Es ist ein Drama, dessen Ausgang jeder kennt. Insofern geht es weder um Suspense noch um ein Wettrennen gegen die Zeit.
Vielmehr wird „Kursk“ im Angesicht des nahenden Todes zu einer Etüde des Abschiednehmens, der Staffelübergabe – und gerade hier erweist sich der Däne als Meister des zurückgehaltenen Sentiments. Für manche ist ausgerechnet der Genre-Film Vinterbergs bisher bester.
Internationale Hilfe erst fünf Tage nach der Katastrophe
Produzent Luc Besson hatte versucht, das russische Verteidigungsministerium für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Im April 2016 hieß es dazu noch: klappt. Im November kam die Absage. Wieder eine ausgestreckte, nicht angenommene Hand. Neuerlich war also Moores Expertise gefragt, diesmal in Sachen Militärdiplomatie und Geopolitik. Und so wird – auch ohne explizite Verweise auf aktuelles Marinetreiben Russlands – das Verhältnis der Nationen, nichtmilitärisch „Völkerverständigung“, zur zentralen Frage des Films.
Ausgehandelt wird sie über zwei Figuren: Commodore David Russell von der Royal Navy (Colin Firth), der Hilfe durch modern ausgerüstete Taucher anbietet, und den guten Russen, Admiral Gruzinski (Peter Simonischek), der diese annehmen will.
Doch der Befehl lautet: „keine ausländische Einmischung“, die Allianz kommt nicht zustande, die Rettungsaktion zu spät. Realiter war es der seit wenigen Monaten im Amt waltende Wladimir Putin, der erst fünf Tage nach der Katastrophe die Hilfsaktionen der Norweger und Briten zuließ.
Der Film wird auch in Russland gespielt
In der fiktiven Filmwelt übernimmt von Sydow die Rolle des stur-stolzen Befehlshabers – „im Namen des Präsidenten“ agierend, dessen Name allerdings nicht fällt.
Putin nicht als Filmfigur zu verkörpern, ist eine richtige Entscheidung, die dazu führt, dass das (Post-)Cold-War-Szenario keine von außen (und nachträglich) herangetragene Sache eines französisch-belgisch-luxemburgischen Großfilmprojekts ist, sondern im Hergang der Ereignisse selbst zu suchen ist.
„Kursk“ erzählt die Katastrophe sachlich und schürt keine Polemik. Der Film kam Ende Juni auch in Russland ins Kino und wurde, anders als die Cold-War-Satire „The Death of Stalin“, nicht verboten. Gesten der Annäherung bei gleichzeitiger Auseinandersetzung. Soll es geben, wenn auch derzeit nur im Film.
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