Dorothea Hahn über das Fehlen einer Gewerkschaft bei VW, Tennessee: Auch hierzulande beunruhigend
Es wäre ein Wunder gewesen, wenn sich die Beschäftigten der VW-Fabrik in Chattanooga mehrheitlich für eine gewerkschaftliche Vertretung ausgesprochen hätten. Seit einem halben Jahrhundert sind die Gesetze und Kampagnen gegen jede Form von Mitbestimmung in den Betrieben quer durch den Süden der USA immer aggressiver geworden. Eine wachsende Koalition von Unternehmern, Republikanern und nicht selten auch Demokraten hat es geschafft, Gewerkschaften zu dämonisieren.
Während die Industrien in den nördlichen Bundesstaaten, wo die Gewerkschaften traditionell ihre Basis hatten, die Betriebe zugemacht haben und abgewandert sind, haben die Beschäftigten in den Südstaaten zwar Arbeit, wurden zugleich aber immer rechtloser und – weil die Löhne stagnieren – auch mittelloser.
Die Südstaaten sind das Eldorado für in- und ausländische Unternehmen in den USA: Niedriglöhne, minimale Gesundheits- und Umweltauflagen, maximale staatliche Investitionsanreize und beinahe totale Abwesenheit von Gegengewichten im Inneren der Betriebe. Wer hier investiert, nutzt sowohl das Fehlen von Standards als auch die politische und ökonomische Verelendung der Beschäftigten, um seine Gewinne zu maximieren. Unter den vielen ausländischen Konzerne, die in den vergangenen Jahrzehnten in die Südstaaten gingen – von BMW über Nissan und Mercedes-Benz bis hin zu Volkswagen –, gibt es keine einzige Ausnahme. Keiner von ihnen hat eine gewerkschaftliche Vertretung in seinen Werken.
VW hat zusammen mit den örtlichen Republikanern und mit einer auf Gewerkschaftsbashing spezialisierten Anwaltskanzlei in Chattanooga eine erfolgreiche Angstkampagne gegen die Gewerkschaft UAW gemacht. Und das ist nur das jüngste Beispiel in einer langen Serie. Die Leichtigkeit, mit der der Konzern von der „Sozialpartnerschaft“ in Wolfsburg zum Paternalismus in Chattanooga übergeht, sollte auch die Beschäftigten und Gewerkschaften in Deutschland beunruhigen.
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