Dopingopfer Elbe: Die zufällige Heldin
Die Leichtathletin Anne-Kathrin Elbe hat ihren Trainer des Dopings überführt. Jetzt wird sie dafür geehrt. Doch sie sieht sich nicht als Heldin - sie habe nur aus Ehrgeiz gehandelt.
LEVERKUSEN taz Am Morgen sagt sie ab. Sie schaffe es nicht zur Verabredung, anderntags werde sie in Zürich erwartet. Die Einladung zur "Weltklasse Zürich", dem Giganten-Meeting der Leichtathleten, sei kurzfristig erfolgt, es tue ihr leid, sie brauche ihre Zeit jetzt zur Vorbereitung.
26. 5. 2000: Die 13-jährige Nachwuchsathletin Anne-Kathrin Elbe landet mit ihrem ersten Start für die Magdeburger Sprintschule Grit Breuer bei den Bezirksmeisterschaften auf Anhieb auf Platz zwei.
20. 3. 2006: Das Amtsgericht Magdeburg verurteilt den Trainer Thomas Springstein wegen Minderjährigen-Dopings zu einer Bewährungsstrafe von 16 Monaten. Das Urteil stützt sich auf die Aussage von Springsteins Exschülerin Anne-Kathrin Elbe.
21. 9. 2007: Der Verein Doping-Opfer-Hilfe verleiht Anne-Kathrin Elbe die Heidi-Krieger-Medaille. Der Preis für engagiertes Wirken gegen Doping ist benannt nach der Europameisterin von 1986 im Kugelstoßen. Krieger, der in der DDR männliche Hormone verabreicht wurden, unterzog sich 1997 einer Geschlechtsumwandlung.
Anne-Kathrin Elbe klingt gehetzt. Und lustlos. Es ist ihr Verein, der TSV Bayer 04 Leverkusen, der den Medien Interviews mit ihr zum Thema Doping verspricht. Interviews, die sie, die 20-jährige Spitzenathletin, ginge es nach ihr, gar nicht geben würde: "Jeder sagt jetzt, dass ich mutig bin. Ich finde aber selbstverständlich, was ich getan habe."
Anne-Kathrin Elbe hat mit ihrer Zeugenaussage dafür gesorgt, dass der international bekannte Trainer Thomas Springstein im März 2006 wegen Dopings an Minderjährigen verurteilt wurde. Er hatte 2003 der damals 16 Jahre alten Hürdensprinterin Elbe vermeintliche Vitaminpillen gegeben, in denen tatsächlich das männliche Sexualhormon Testosteron-Undecanoat war.
Die mehrfache Deutsche Jugendmeisterin, so die Version vor Gericht, wurde misstrauisch und gab die Tabletten an ihren Bundestrainer weiter, der ließ sie untersuchen, der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) erstattete Strafanzeige, sein Präsident sprach von einem "Jahrhundertereignis". Dass eine aktive Sportlerin ihren eigenen Trainer verpfeift, das hatte es bisher nicht gegeben im deutschen Hochleistungssport.
Heute wird Anne-Kathrin Elbe vom Verein Doping-Opfer-Hilfe in Berlin für, wie es in der Begründung der Jury heißt, "ihren Mut und ihre Charakterstärke" mit der Heidi-Krieger-Medaille ausgezeichnet. Es ist der europaweit einzige Preis für Menschen, die sich gegen Doping im Leistungssport stark machen. Das allein sagt viel über das öffentliche Desinteresse, das dem Kampf gegen den Betrug an der eigenen körperlichen Leistung entgegen gebracht wird - wider alle Beteuerungen. Was also hat Anne-Kathrin Elbe Außergewöhnliches geleistet, um diese seltene Auszeichnung zu erhalten? Darüber will sie nicht reden? - Plötzlich hört man sich Sätze sagen wie: "Ihr Rechtsbeistand hat unserer Zeitung das Gespräch mit Ihnen definitiv zugesagt." So als sei sie nicht mündig. So als gelte das Wort des Vereins mehr als ihres. Auf gewisse Weise ist es so im Hochleistungssport. Es gibt viele in diesem Interessensystem aus Funktionären, Managern, Trainern und Sponsoren, die mitbestimmen wollen. In dieser Rangordnung kommt der Sportler oft zuletzt. "Okay", sagt Elbe. Sie gibt sich geschlagen.
Leverkusen, Fritz-Jacobi-Anlage, Anne-Kathrin Elbe schlägt einen Purzelbaum und macht es sich dann auf einer Matte in ihrer Trainingshalle bequem. Pferdeschwanz, T-Shirt, Turnschuhe - äußerlich hat sie sich wenig verändert seit dem Springstein-Prozess. Wie viel Druck von ihr abgefallen ist, merkt man daran, wie ungeniert sie die zentralen Fragen beantwortet, denen sie im Prozess ausgewichen war: Warum hob sie die Pillen erst ein Jahr lang auf, bevor sie sie an ihren Bundestrainer weitergab? Warum ging sie nicht selbst zur Polizei?
"Ich habe doch meinen damaligen Bundestrainer nicht angesprochen, weil ich irgendwelche Pillen bekommen habe. Sondern weil ich weg wollte aus Magdeburg." Feste Stimme, standhafter Blick. Ihre Ehrlichkeit verblüfft. Ihr Motiv, das räumt sie jetzt, eineinhalb Jahre nach Prozessende erstmals ein, war immer nur ihr eigenes, ihr persönliches Fortkommen. Dass sie dabei Springstein des Dopings überführte, war ein Zufall, den sie - nach Abwägung der Risiken - billigend in Kauf nahm. "Ich sage doch, ich fühle mich nicht als Heldin."
Springsteins Training damals sei viel zu hart gewesen. Sie wird langsamer, hat zwei Ermüdungseinbrüche. Beschweren mag sie sich nicht. "Ich hatte Respekt vor Herrn Springstein." Sie könnte auch sagen: Ich habe ihn gefürchtet.
Sie bittet Thomas Kremer, den damaligen Bundestrainer, um einen Vereinswechsel. Aber das ist nicht so leicht bei fallender Leistung. Kremer habe sie dann gefragt, ob sie Springsteins Vorgeschichte kenne, die Dopingskandale um die DDR-Sprinterinnen Grit Breuer und Katrin Krabbe, die er trainiert hatte. Und ob Springstein ihr zufällig "Mittelchen" gegeben habe. Hatte er. Aber: "Ich hatte doch keinen Verdacht, dass da was Verbotenes drin sein könnte."
Anne-Kathrin Elbe ist damals 17. Sie ist ein bemerkenswertes Nachwuchstalent, aber sie ist auch ein Kind. Wohlbehütet aufgewachsen in Ostdeutschland, die Mutter pädagogische Mitarbeiterin an einer Schule, der Vater Angestellter für Elektrotechnik, der Bruder hat Rheuma. Doping, das gibt es im Fernsehen, wo die Weltspitze um Hundertstelsekunden ringt. Wenn man mit Petra Elbe, ihrer Mutter, spricht, hört man die Vorwürfe heraus, die diese Frau sich macht, in wessen Hände sie ihr Kind gutgläubig gab. Dass sie keine Schäden davontrug, verdankt ihre Tochter ihrem Trotz. Sie bewahrte Springsteins Tabletten einfach auf. Sie nicht zu schlucken, war ihre Art, gegen seine Trainingsmethoden zu rebellieren. Wie man so ist mit 16, 17 Jahren. "Dass ich die überhaupt noch hatte, war purer Zufall. Viele andere hatte ich weggeschmissen."
Der DLV kann jetzt so tun, als bekämpfe er Doping. Dabei ließ er Springstein, dessen Verstrickungen in Dopingaffären bekannt waren, ab 1998 erneut mit Sportlerinnen arbeiten. 2002 gar kürte der DLV Springstein zum Trainer des Jahres. Nun aber gibt es Anne-Kathrin Elbe, die so sauber ist, dass sie die Mitschuld des Verbands an der Gefährdung der Sportlerinnen auch noch reinwaschen kann. Die Geschichte von der perfekten Heldin nimmt ihren Lauf.
Anne-Kathrin Elbe ist jung. Aber sie ist nicht naiv. Ihre Aussage vor Gericht, auch das gibt sie erst jetzt zu, habe sie von einem Deal abhängig gemacht: dass sie zuvor bei einem anderen Verein unterkommt, beim TSV Bayer 04 Leverkusen. "Wenn ich in Magdeburg geblieben wäre und ausgesagt hätte, hätten die mich rausgeworfen. Dann wäre meine sportliche Karriere beendet gewesen. Die hätten doch nie hinter mir gestanden, sondern immer hinter dem Trainer." Die Spielregeln des Systems kennt sie. Wer sich dagegen auflehnt, gilt als Nestbeschmutzer und fliegt raus.
Öffentlich abgestraft werden - siehe Radsportskandal - die Sportler. Sie sind leicht zu benennen und wehrlos, sobald sich Verbände und Sponsoren von ihnen lossagen. Selten wird nach den Strukturen gefragt, die das System Doping überhaupt ermöglichen. Solange keiner auffliegt, wird die verlogene Praxis toleriert. "Deswegen", so Anne-Kathrin Elbe, "sagen doch viele Sportler lieber nichts." Das Vertrauen reiche nicht einmal so weit, dass sich Sportler eines Teams austauschen würden
Man kann sich das schwer vorstellen, so wie in der Leverkusener Trainingshalle herumgealbert wird. Diese jungen Frauen, die alle kleinen und großen Geheimnisse zu teilen scheinen, die sich mit Küsschen begrüßen und als "beste Freundinnen" bezeichnen, verstummen, sobald das Gespräch auf Doping kommt. Besser, man weiß nicht so genau, was die andere tut. Die Konsequenzen können dramatisch sein.
Keinen Verein und keinen Trainer mehr zu haben, bedeutet auch: kein Geld, keinen Sponsor, Abrutsch in die Bedeutungslosigkeit. Was wäre Anne-Kathrin Elbe denn ohne den Glamour der Wettkämpfe? Bürokauffrau. Sie macht gerade die Ausbildung. Für Profisportler kommen solche Aussichten einem Todesurteil gleich. Anne-Kathrin Elbe wäre, auch das sagt sie, nie bereit gewesen, ihr Lebensziel - einmal Olympia - aufs Spiel zu setzen, bloß um einen Dopingsünder zu enttarnen.
Hat sie denn nie Rachegefühle gegen Springstein? Andriol ist nicht irgendein Schnupfenmittel. Es kann Vermännlichung, Leberschäden, eine tiefe Stimme und Herz-Kreislauf-Störungen verursachen sowie die Funktion der Eierstöcke beeinträchtigen. Anne-Kathrin Elbe möchte Kinder. Aber deswegen eine Klage wegen versuchter Körperverletzung anstrengen? Das gibt ihre persönliche Kosten-Nutzen-Rechnung nicht her: "Ich habe die Tabletten ja nicht genommen, ich habe ja keine Schäden."
Deutschlands prominentester Dopingexperte Werner Franke behauptet, es gebe keinen fairen Wettbewerb mehr. Wenn man sich die bekannten Dopingfälle anguckt, drängt sich der Eindruck auf, ab einem bestimmten Punkt komme niemand an der Einnahme leistungssteigernder Mittel vorbei, will er international mithalten.
Anne-Kathrin Elbe bestreitet das. Wie sollte es auch anders sein. Erstens wäre sie vermutlich umgehend ihre Vereinsmitgliedschaft los, zweitens ist sie von dem Niveau, ab dem ohne Doping keine Medaille zu gewinnen ist, entfernt: "Ich bin nicht schlecht in Deutschland, aber bis zur Welt reichts noch nicht."
In diesem Jahr hat sie ihre Leistungen gesteigert: Silber über 4 x 100 Meter bei der U-23-Europameisterschaft, ihre erste internationale Medaille. Bronze mit dem Leverkusener Sprintquartett bei den nationalen Meisterschaften im Juni, Sechste über ihre Spezialdisziplin 100 Meter Hürden. Sie will bis an die Spitze, oder, um es mit ihren Worten zu sagen: "Ich steh am Start, und dann ist Krieg."
Aber es gebe Grenzen: "Wenn mein Körper eines Tages sagt, es geht nicht mehr, dann werde ich ihn nicht weiter zwingen." Wirklich?
Im Winter hatte Anne-Kathrin Elbe einen Hörsturz. Mit 19 Jahren. Volle Berufsausbildung plus zwanzig Wochenstunden Training. Irgendwann klappte sie zusammen. Wer Wettkämpfer nur aus der "Sportschau" kennt, der macht sich kein Bild von ihrem Alltag. Ihre Ärzte verschrieben ihr Cortison. Mit diesem Hormonpräparat hätte sie natürlich an keinem Wettkampf teilnehmen dürfen. Und mit einem Hörsturz schon gar nicht. Anne-Kathrin Elbe verschob die Behandlung: "Mir war es nicht wert, die Wettkampfsaison abzubrechen."
So sieht man das vielleicht als Profisportlerin. Denn: Bleiben ihre Leistungen aus, dann kann ihr Sponsor, eine Sportartikelfirma, die Prämien streichen. Geschäft ist Geschäft. Und da soll man nicht versucht sein, zu dopen? "Nein", sagt Anne-Kathrin Elbe. "Das ist verantwortungslos. Solche Menschen verachte ich."
Wofür genau? Für den Betrug am eigenen Körper? An den Mitkonkurrenten? Am Zuschauer?
Sportlerlogik geht anders. "Es ist der gestohlene Siegesmoment", sagt sie, "die Freude, wenn man da auf dem Treppchen steht, diese Anerkennung vom Publikum." Das alles gehöre der Betrügerin für immer, selbst wenn ihr die Medaille nachträglich aberkannt werde. "Das", sagt Anne-Kathrin Elbe, "finde ich das Schlimmste am Doping."
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