Dopingforscher über Olympia: „Der Versuchung widerstehen“
In Sotschi soll es 2.453 Tests geben. Dabei wird fast nie jemand überführt. Dopingforscher Mario Thevis meint, der Aufwand lohne dennoch: Er schrecke ab.
taz: Herr Thevis, Sie stehen auch bei diesen Spielen wieder im Labor, läuft’s rund?
Mario Thevis: Wir haben optimale analytische Bedingungen. Ich arbeite etwa 10 Stunden in der Tagschicht. Wir sind ein internationales Team. Auch im Labor arbeiten Kollegen von anderen Laboren, nicht nur russische Kollegen. Das sichert die gewünschte Transparenz.
Haben Sie schon eine positive Probe rausgefischt?
Selbst wenn, dürfte ich Ihnen nichts sagen.
Die internationale Antidopingagentur Wada hatte noch im Herbst erhebliche Zweifel am Qualitätsmanagement des Antidopinglabors in Moskau, überdies wurde im Dezember 2012 die Schwester des Moskauer Laborleiters Grigori Rodschenkow wegen des Besitzes und Handels mit verbotenen Dopingmitteln verurteilt. Die Wada war der Meinung, das Labor arbeite nicht zuverlässig und vertrauenswürdig. Was wissen Sie darüber?
Es ist richtig, dass es seitens der Wada Bedingungen der Nachbesserung für das Labor gegeben hat. Zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich keinen Kommentar dazu abgeben. Meines Wissens haben sie im Moskauer Labor jedoch alle Probleme gelöst.
ist Professor für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Er ist Sprecher des Zentrums für Präventive Dopingforschung und forscht an neuen Nachweisverfahren. Wie bei vorherigen Olympischen Spielen untersucht Thevis auch in Sotschi Proben. In Thevis’ Kölner Dopinglabor wurde einst unter anderem der Tour-de-France-Gewinner Alberto Contador überführt. In dessen Blut wurden Spuren des Kälbermastmittels Clenbuterol nachgewiesen. Der Spanier wurde gesperrt, der Tour-Sieg von 2010 wurde ihm aberkannt.
Sie haben so viel zu tun wie noch nie bei Winterspielen. 2.453 Tests sind insgesamt in Sotschi vorgesehen. Wie lässt sich das alles bewerkstelligen?
Unter Zuhilfenahme modernster Instrumente können die Analysezeiten extrem kurz sein. Da dies eine der Anforderungen an die olympischen Laboratorien ist, sind alle Schritte prozessoptimiert, um bestmögliche Analytik in kürzester Zeit zu erlauben.
Wie viele Analytiker und Experten sind da im Einsatz?
Zirka 60 Kollegen aus Russland und 18 externe Experten. Wenn die Logistik nicht ins Stocken gerät, sollte alles funktionieren.
Die Rusada, also die Antidopingbehörde Russlands, gab bekannt, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2013 eine doppelt so hohe Zahl an Dopingfällen zu verzeichnen war. Den Angaben zufolge seien mehr als 88 Sportler bestraft worden, unter ihnen die Biathletin Irina Starych. Wie deuten Sie diese Zahlen?
Es ist in der Vergangenheit immer wieder zu beobachten gewesen, dass im Land der Olympischen Spiele auch der Antidopingkampf besonders ernst genommen wird und sowohl Testzahlen als auch analytische Möglichkeiten erhöht und verbessert werden. Ein Ergebnis dieser Bemühungen kann dann eine größere Anzahl überführter Sportler und Sportlerinnen sein. Da es sich in einigen Fällen um prominente Vertreter gehandelt hat, darf man annehmen, dass die Aufgabe mit dem erforderlichen Ernst angegangen wurde.
Diese Zahlen sprechen doch dafür, dass sich kein russischer Athlet mehr im hinteren Ural verstecken konnte, um den Kontrolleuren zu entgehen?
Das ist eine der zulässigen Schlussfolgerungen. Auch internationale Kontrollen in Trainingslagern sind besonders effektive Maßnahmen gegen den Einsatz illegaler Substanzen und Methoden des Dopings.
Es wurden neue Analyseverfahren erforscht, mit deren Hilfe anabole Mittel bis zu einem halben Jahr nach der Einnahme nachgewiesen werden können. Entwickelt wurde dieses wissenschaftliche Verfahren in Köln. Kommen Sie auch in Sotschi zum Einsatz?
Davon darf man ausgehen. Die notwendigen analytischen Apparaturen sind vorhanden und die russischen Kollegen waren bereits an der Methodenentwicklung beteiligt, sodass die Expertise auf jeden Fall gegeben ist.
Worauf wird noch getestet? Wie viele Bluttests sind geplant?
Es sind etwa 500 Blutkontrollen geplant, deren Testspektrum nicht preisgegeben werden kann. Erythropoietin (Epo) gehört in einigen Sportarten in jedem Fall zu den zu kontrollierenden Substanzen, auch wenn dies nur einen Teil der Urinproben betreffen wird. Weitere Details sollten gegenwärtig nicht bekannt gegeben werden.
Seit den Winterspielen 1968 in Grenoble gab es nicht mehr als 20 Dopingfälle während der Winterspiele. Aufwand und Nutzen stehen doch in einem krassen Missverhältnis, oder?
Das würde ich anders sehen, da nicht allein die Anzahl positiver Befunde während der Spiele die Bedeutung der Kontrollen widerspiegelt. Die Tatsache, dass umfangreich getestet wird, dient hier dazu, der Dopingversuchung zu widerstehen.
Mit welchen Mitteln wird derzeit Ihrer Meinung nach getrickst, ohne dass sie nachweisbar wären? Für welche Medikamente muss dringend ein Nachweisverfahren her?
Die Geständnisse und auch jüngsten Funde belegen einmal mehr, dass insbesondere natürlich vorkommende Substanzen wie Epo oder Wachstumsfaktoren nach wie vor größere Herausforderungen sind.
Ein Mittel der Wahl soll der neuartige Wachstumsfaktor „Full Size MGF“ sein?
Wir müssen auf solche Situationen vorbereitet sein. Dass es diese Präparate gibt, ist alarmierend. Dieses spezielle MGF beschleunigt wahrscheinlich das Muskelwachstum und die Regeneration eines Athleten, was eine Nachweismethode erforderlich macht.
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