Doping-Experte über neue Nachtests: „Das Vertrauen hat abgenommen“
Der Erfolg der Nachkontrollen ist auch auf die Weiterentwicklung von Testmethoden zurückzuführen, sagt Dopinganalytiker Mario Thevis.
taz: Herr Thevis, Sie sind seit geraumer Zeit in den Antidopingkampf involviert. Rennen die Dopinganalytiker wieder einmal nur hoffnungslos hinterher?
Mario Thevis: Nein, die Weiterentwicklungen im Bereich der Analytik sind beachtlich. So kann der Gebrauch verbotener Substanzen deutlich länger nachgewiesen werden, Analysen erlauben das Erfassen zuvor unbekannter Verbindungen, und Testverfahren können schneller und mit geringerem Probenvolumen durchgeführt werden. Dies stellt zudem die Grundlage für sogenannte minimalinvasive Probennahmen wie zum Beispiel Blutstropfen, die zukünftig die Dopingkontrollen ergänzen können. Die rein methodischen Verbesserungen sind nicht zuletzt durch die Nachtests langzeitgelagerter Dopingkontroll-Proben der vergangenen Olympischen Spiele untermauert worden. Dennoch bleiben einige Problemstellungen offen.
Wie zum Beispiel die Fläschchen für den Urintest von der Firma Berlinger. Die liefert laut Eigenauskunft „manipulationssichere“ Flaschen. Aber die lassen sich unter bestimmten Bedingungen eben doch öffnen. Wie groß ist das Problem?
Derzeit wird das Ausmaß des Problems noch geprüft und mögliche Lösungen werden diskutiert.
Welche neue Methoden und Wundermittel sind auf dem Markt?
ist seit 2006 Universitätsprofessor für präventive Dopingforschung an der Sporthochschule Köln. Der forensische Chemiker gehört dem Expertenteam der Wada für die „Prohibited List“ an und zählt zu den führenden Antidopingexperten.
Diese namentlich zu nennen wäre nicht zweckdienlich. Es werden in der Tat regelmäßig Substanzen und Methoden erkannt und diskutiert, deren Einsatz im Sport wahrscheinlich als nicht zulässig eingestuft werden würden. Diese Substanzen und Methoden zielen in medizinischer Hinsicht meist auf Erhalt und Aufbau der Muskelmasse oder roter Blutkörperchen ab, was aber im Missbrauchsfall bedeuten würde, dass ein gesunder Sportler medikamentös Kraftzuwachs oder verbesserte Ausdauerleistungsfähigkeit erreichen möchte.
Bei Nachtests von Dopingproben, die man bei Olympischen Spielen in Peking, Vancouver, London und Sotschi genommen hatte, sind viele Sportler aufgeflogen. Über 70 Athleten mussten ihre Medaillen zurückgeben. Wie ist man den Sportlern auf die Schliche gekommen?
Der Erfolg der Nachtests ist zum einen auf Forschungsergebnisse zurückzuführen, welche zur Identifizierung von Abbauprodukten anaboler Steroide geführt haben, die zuvor nicht bekannt waren. Diese Abbauprodukte zeigten eine deutlich längere Verweildauer im Organismus der Sportler als früher für den Nachweis genutzte Abbauprodukte. Im Kombination mit instrumentellen Neuerungen, welche eine deutlich verbesserte analytische Empfindlichkeit erlauben, konnten Nachweisfenster um viele Wochen erweitert werden.
Ist die sportinteressierte Öffentlichkeit, die nahezu monatlich mit einem Dopingskandal konfrontiert wird, nicht völlig desillusioniert, wenn wieder einmal mit „sauberem“ Sport geworben wird, insbesondere nach dem russischen Sportbetrug?
Zahlreiche Schlagzeilen haben bisweilen zu Recht dazu geführt, dass das Vertrauen in einen „sauberen“ Sport deutlich abgenommen hat. Es ist aber durchaus auch anzuraten, Schlagzeilen kritisch zu hinterfragen, denn nicht jeder Befund ist auch zugleich als Verstoß gegen die Antidopingregeln zu werten, und gelegentlich wird hier ein adäquates Augenmaß vermisst.
Sie waren selbst während der Olympischen Winterspiele 2014 im Dopinganalyselabor in Sotschi tätig, wo der Betrug organisiert wurde, hatten aber natürlich keine Ahnung von den Machenschaften. Haben Sie sich, als Sie davon erfahren haben, ein bisschen als nützlicher Idiot gefühlt?
Die zahlreichen internationalen Kolleginnen und Kollegen vor Ort haben, offenbar mit Ausnahme einiger russischer Mitarbeiter, nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet und für die meisten der getesteten Proben belastbare Ergebnisse hervorbringen können. Die Berichte über einen systematischen Betrug bezüglich ausgewählter Proben haben natürlich Spuren hinterlassen und einen deutlichen Vertrauensverlust zur Folge gehabt. Aber kaum ein System ist vollumfänglich gegen Manipulationen sicher, wenn ausreichend Ressourcen, Planung und die Beteiligung zentraler Personen vorliegen.
Sie arbeiten jetzt auch vor Ort in Pyeongchang mit. Was sind die Lehren aus dem Sotschi-Skandal?
Ich nehme an, dass die Inspektionen des Labors und der Abläufe der Dopingkontrollen noch detaillierter durchgeführt wurden.
Wie wird Ihr Tagesablauf im südkoreanischen Labor aussehen?
Das Team, zu dem ich gehören darf, wird in verschiedenen Bereichen der Routineanalytik eingesetzt sein und vom Betrieb analytischer Geräte bis zur Prüfung auffälliger oder positiver Befunde zahlreiche Arbeitsgebiete betreuen. Regelmäßige Treffen mit den Personen des Ergebnismanagements sind ebenfalls vorgesehen. Da das Labor in Seoul ist, werden wir wahrscheinlich nur wenig von den Wettkämpfen sehen, aber dennoch unseren Beitrag zu den Spielen liefern.
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