Dominic Raacke über seine „Tatort“-Zeit: „Vier oder fünf waren ordentlich“
14 Jahre gab Dominic Raacke im Berliner „Tatort“ den kernigen Ermittler Till Ritter. Am Sonntag läuft sein letzter Fall. Überfällig, findet der 55-Jährige.
taz: Herr Raacke, eigentlich wollten wir mit dem Berliner „Tatort“-Duo sprechen. Nun sind Sie alleine hier, Herr Aljinovic wollte nicht – was ist los?
Dominic Raacke: Dass unsere „Tatort“-Zeit zu Ende ist, haben wir akzeptiert. Aber als es hieß, es solle noch zwei letzte Folgen geben, waren wir uns einfach uneins: Die Vorstellung, in acht Monaten noch einmal in eine Rolle steigen zu müssen, die schon beendet ist, war für mich, als müsste ich zurück in nasse Klamotten steigen, die ich eigentlich schon abgelegt habe. Ich wollte das nicht, das war eine Bauchentscheidung. Aber Boris hätte gern beide Folgen noch mit mir zusammen gemacht. Der Unterschied zwischen uns ist: Er war noch unter Vertrag, ich schon länger nicht mehr.
Sie waren nicht unter Vertrag?
Früher hatten wir Blockverträge über mehrere Folgen, irgendwann habe ich zu meiner Agentin gesagt, ich brauche das nicht mehr. Ich wollte das Gefühl haben, ich könnte jederzeit aufhören.
Sie wollten freier sein?
Beim „Tatort“ fühlt man sich mit diesen Verträgen irgendwann verbeamtet – und ich wollte einen Rest Selbstbestimmung.
Warum haben Sie eigentlich nicht gekämpft wie andere Schauspieler in vergleichbaren Situationen?
Ich fand die Entscheidung ja richtig. Das Ende wäre auch schon vor vier Jahren richtig gewesen. Wobei wir dann zwei sehr gute „Tatorte“ nicht gemacht hätten, zugegeben. Für mich, in meiner Gewichtsklasse und Altersklasse, ist es wichtig, auch noch mal was anderes zu machen. Wäre es noch zehn Jahre weitergegangen, wäre es das für mich gewesen. Und jetzt habe ich das Gefühl, noch zeigen zu können, was ich als Kommissar Ritter nicht zeigen konnte.
Nämlich?
Na ja, der „Tatort“ macht einen zwar sehr populär, man wird auf der Straße erkannt und bekommt Anerkennung – also das, was man als Schauspieler sucht. Aber schauen Sie sich doch mal so einen „Tatort“ an: Was hatte ich denn da zu spielen? Ein Schauspieler wünscht sich, die Entwicklung einer Figur zu zeigen. Aber das gibt die Rolle des Kommissars nicht her.
Der Mann: 1958 in Hanau geboren, lernte ab 1980 unter anderem am New Yorker Lee Strasberg Theatre Institute sein Handwerk. Neben romantischen TV-Komödien tauchte er in Brian de Palmas „Passion“ auf und schrieb Drehbücher, darunter „Die Musterknaben“.
Der Polizist: Als Kriminalhauptkommissar Till Ritter ermittelte Raacke seit 1999 in 36 Berliner „Tatorten“ – sechs Folgen an der Seite von Stefan Jürgens, ab 2001 dann mit Boris Aljinovic als Felix Stark. Lange waren Ritters Markenzeichen Westernstiefel, Cowboyhemd, Zigarette und jede Menge Frauenbekanntschaften. Das Raubeinige hat sich zwar verloren – trotzdem war er nie so geschniegelt wie viele seiner Kollegen.
Der Abschied: Am 9. Februar um 20.15 Uhr läuft Raackes letzter „Tatort“. Im Sommer, kurz vor Drehende, hatte der RBB verkündet, Ritter und Stark durch ein neues Team zu ersetzen. Raacke schmiss sofort hin, Aljinovic macht noch eine weitere Folge. „Großer schwarzer Vogel“ müsste man nicht sehen, wenn es nicht Raackes letzter Auftritt wäre. (aha)
Sie haben einen Zettel dabei mit Ihren Berliner „Tatorten“. Wie viele fanden Sie gelungen?
Die Liste brauche ich dafür gar nicht. Von den 36 waren vier oder fünf ordentlich, es gab ein paar Gurken und dazwischen sehr viel Mediokres. Aber auch, wenn der „Tatort“ so omnipräsent ist und mir geholfen hat, diese Popularität zu bekommen und damit andere Möglichkeiten als Schauspieler zu haben: Er war nie ein Projekt, für das ich gebrannt habe. Die Herzensangelegenheiten meiner Karriere sind die, die ich selbst geschrieben habe. Und die sind nicht so sichtbar.
Bis Sie kamen, war der Posten als Berliner „Tatort“-Kommissar ein Schleudersitz. Nach 13 Folgen waren Sie schon der Dienstälteste.
Auch wenn ich weniger Halbmarathons laufe als früher: Ich bin beharrlich, Typus Langstreckenläufer, ich halte was aus. Boris genauso. Anders ging es nicht. Denn die Redaktion hat sich ja nicht geändert, nur die Protagonisten und das Format. Bevor wir anfingen, haben sie auf Video gedreht, das sah aus wie „Lindenstraße“, ganz fürchterlich. Ich hatte sogar noch Drehbücher, bei denen man sah, dass „Roiter“ schnell noch zu „Ritter“ geändert wurde. Aber gerade in den letzten drei Jahren wurden die Folgen besser.
Ihr erster Film mit Boris Aljinovic 2001 hieß „Berliner Bärchen“, es ging um einen Kunstraub. Nicht wirklich das typische Berliner Großstadtthema.
Stimmt, im Vergleich dazu war die U-Bahn-Schlägerei in „Gegen den Kopf“ vergangenen Sommer etwas essentiell anderes. Wir hätten auch gerne eine Ehrenmordgeschichte gemacht, das hätte sehr gut gepasst, aber das lief dann bei den NDR-Kollegen. Aber so etwas liegt dann nicht an uns, diese Entscheidung trifft der Sender.
Ihr letzter gemeinsamer Fall, der am Sonntag läuft, handelt von einem Verkehrsunfall mit Todesfolge. Das hätte wirklich auch in jeder anderen Stadt spielen können. Wenn Sie sich Ihren Berlin-Fall basteln könnten, welche Themen hätten Sie gesucht?
Ich hätte es gut gefunden, das Ganze etwas härter, großstädtischer, schmutziger anzulegen. Es auf der Straße spielen zu lassen. In andere Bezirke zu gehen.
In welche?
Na, in die Problemkieze. Wann waren wir denn in Neukölln oder im Wedding? Man hat sich meist darauf kapriziert, Familiendramen im gehobenen Milieu zu zeigen. Gut, wir haben „Mauerpark“ gemacht, aber das war wie jetzt bei „Großer schwarzer Vogel“ eine Geschichte, bei der die Vergangenheit in die Gegenwart wirkt – das finde ich immer problematisch. Ich saß manchmal selber da und dachte: Um was geht es da jetzt? Wer hat da jetzt mit wem wieso was gemacht?
Sie schreiben selbst Drehbücher. Macht Sie das zu einem gefürchteten Schauspieler bei den Regisseuren?
Manche sind dankbar, wenn sich jemand dramaturgisch einmischt. Aber man muss auch aufpassen. Filmemachen ist ein autoritärer Prozess. Man braucht Anführer und das sollten nicht die Schauspieler sein. Und man braucht Verbündete. Ich habe mich mit meinem Kommissar oft allein gefühlt. Da war keiner, der auf unsere kleine Welt und ihre Regeln aufpasst. Ritter war mal viel kaputter, cholerischer, hat getrunken und geraucht. Das ist mit der Zeit alles verschwunden. Irgendwann habe ich dann eben gesagt: O.K., ich bin das Wachs in euren Händen, macht was draus.
Die Ironie ist: Sie leben erst seit einem guten Jahr in Berlin, kurz darauf war Ihre „Tatort“-Rolle futsch. Wieso sind Sie denn aus München hergezogen?
Weil sich in meinem Leben, auch privat, alles gedreht hat. Es war an der Zeit, etwas anderes zu machen und es war immer klar: Berlin ist meine nächste Station. Wo soll ich denn sonst hin? Nach Köln? Hamburg? Amerika?
War Ihnen das „Museum“, wie Sie München mal nannten, zu klein geworden?
Ja. So wie es nach 14 Jahren Zeit war, den „Tatort“ zu beenden, war es nach 30 Jahren Zeit, die Stadt zu wechseln. Ich glaube, das habe ich von meiner Mutter. Die hat auch immer mal wieder radikale Veränderungen durchgezogen.
Wo haben Sie gewohnt, wenn Sie zum Drehen in Berlin waren?
Am Potsdamer Platz.
Mal ehrlich, da sind doch nur Touristen, Berliner gehen da höchstens ins Kino.
Auch wenn Sie das ganz schrecklich finden: Ich fand es genau richtig. Das war meine Bohrinsel. Ich hatte mein Hotelapartment, in dem ich mir auch mein Steak brutzeln konnte, im Kino nebenan liefen Filme in der Originalfassung und ich war so zentral, dass alle Drehorte immer in der Nähe waren. Ich wohnte im zehnten Stock, sah in der einen Richtung den Funkturm, in der anderen den Fernsehturm. Jetzt würde ich mir vielleicht das Soho-House aussuchen, aber das gab es damals ja noch nicht.
Was macht man am Potsdamer Platz, wenn man abends nach Drehschluss noch was trinken gehen will?
Man geht in die Hotelbar. Und in der Tiefgarage hatte ich ein Auto, mit dem ich am Wochenende auch mal rausfahren konnte.
Wie oft sind Sie jetzt dort?
Ich gehe immer noch am liebsten dort ins Kino. Oder in die Hackeschen Höfe.
Und wo sind Sie hingezogen?
Nach Mitte. Da, wo der Münchner eben hinzieht, wenn er nach Berlin kommt.
Wie unterscheidet sich Ihr Berliner von Ihrem Münchner Alltag?
Ich schreibe hier wie dort jeden Tag, damit fülle ich die Wochen und Monate, in denen ich nicht drehe. Aber weil ich mit zwei Münchner Autoren zusammenarbeite, findet nun viel über Skype statt. Da heißt es dann: „Hallo München! – Hallo Berlin!“ Man gleicht kurz das Wetter ab, zeigt mit dem Laptop mal eben, wie es draußen aussieht, und dann geht es los. Früher haben wir zusammen gekocht beim Brainstormen, heute kochen wir parallel, mit dem Laptop nebendran.
Während der Fashion Week waren Sie gefühlt auf allen Empfängen der Stadt. Warum machen Sie dieses Partyhopping?
Ich bin kein Partyhopper, aber Spaß hat es mir trotzdem gemacht. Während der Fashion Week und jetzt dann bei der Berlinale gibt es eben Veranstaltungen, zu denen ich gehe. Und da stehen dann eben auch Fotografen rum. Das sind aber nicht immer nur Spaßveranstaltungen.
Sie gehen da beruflich hin?
Ja, auch das. Und bei der Berlinale darf man nicht vergessen: Das sind zwar Filmfestspiele, aber es sind unheimlich viele Fernsehleute unterwegs.
Wollen Sie auf der Berlinale Ihr neuestes Projekt verkaufen?
Auch. Für den aktuellen Film haben Ralf Huettner und ich letztes Jahr eine Drehbuchförderung bekommen, eine Produzentin haben wir schon, jetzt fehlt noch ein Verleiher, die Besetzung und ein Sender. Es ist ein relativ kleiner Film, deswegen habe ich die Hoffnung, dass wir das schnell zusammenbringen. Es wäre mal wieder an der Zeit.
Um mal wieder als Autor wahrgenommen zu werden?
Ja. Ralf und ich schreiben immer, aber längst nicht alles wird realisiert.
Worum geht’s?
Er handelt von einem Unternehmensberater, dem das Leben aus den Fugen gerät. Er trennt sich von der Frau, die zu ihm passt, und verliebt sich in die falsche, und weiß dann nicht mehr, was richtig ist und was falsch und sucht nach dem Sinn seines Lebens. Ein kleines Drama mit komödiantischer Note.
Schreiben Sie immer über sich selbst? Zuerst „Um die 30“, jetzt die Midlifecrisis?
Klar, nur so geht das. Vor allem, wenn ich die Hauptfigur selber spielen will. Aber das Spannende am Schreiben ist ja, dass man so viel von sich selber reinpacken kann, ohne zu verraten, was von mir ist und was nicht.
Interessieren Sie auch andere Themen?
Ich wollte letztes Jahr eine Miniserie entwickeln über das Babelsberg der 20er Jahre: über ein Showgirl und einen kleinen Angestellten in der Finanzbuchhaltung des Studios – beide um die 20, Figuren, die von mir selbst ganz weit entfernt sind.
Und die Serie wollte keiner?
Wie das Schicksal so spielt: Ich erfuhr, dass Nico Hofmann so etwas ähnliches plant. Damit kann ich nicht in Konkurrenz treten.
Sie wirken sehr gelassen, was das Scheitern Ihrer Drehbuchideen angeht. Wie stark liegt das daran, dass Sie all die Zeit mit zwei „Tatorten“ im Jahr finanziell ganz gut abgesichert waren?
Mein Luxus ist, reduziert leben zu können, nicht in Saus und Braus. Damit ich keine Projekte annehmen muss, die mir keine Freude machen.
Na ja, viele der Filme, die Sie neben dem „Tatort“ gemacht haben, waren eher …
Na los, spucken Sie’s aus!
… Schmonzetten, in denen Sie Der-Mann-an-der-Seite-von waren. Haben Sie darauf noch Lust?
Da gibt es keinen Generalplan. Ich glaube, nach dem „Tatort“ brauche ich das erstmal nicht.
Was meinen Sie mit „das“?
Dieses eher populäre Programm. Der Film, von dem ich gerade sprach, ist eher ein Arthousefilm. Einer, der eher am Rande läuft.
Ist Ihre Drehbucharbeit auch Gegenmittel zur Passivität, zu der man als Schauspieler zwischen den Drehs verdammt ist?
Ja klar, sonst wirst du ja verrückt. Soll ich mich hinsetzen und auf irgendwas warten? Es gibt vielleicht eine Handvoll Schauspieler, die so viel zu tun haben, dass sie keinen Ausgleich brauchen. Und die vielen, vielen anderen müssen sich für ihr Leben noch einen anderen Sinn suchen.
Sie könnten ja mit Ihrem Vater, der den Designklassiker „Mono-a“ entworfen hat, eine neue Besteckserie entwickeln.
Das würde ihm gefallen. Design interessiert mich vor allem als Mittel, meinen Alltag zu organisieren. Also: Wie muss eine Küche aussehen, wie richte ich mich ein, wo muss die Schublade hin? Wo sind meine Messer?
Sie brutzeln im Hotel, skypen beim Kochen: Die Küche scheint Ihnen besonders wichtig zu sein.
Ja, sie ist das Zentrum meiner Wohnung. Das Schlafzimmer ist eher eine Höhle, das braucht nicht groß zu sein. Meine Berliner Wohnung ist deutlich kleiner als die Münchner. Ich mache ernst mit dem Downsizing.
Downsizing?
Ich bin in der Familie der, der alles wegwirft. Ich werde gerufen, wenn es darum geht, auszumisten. Was ich vor meinem Umzug von München nach Berlin alles habe gehen lassen, wovon ich mich getrennt habe, war enorm. Stellen Sie sich mal vor, Sie sterben und die Nachkommen müssen alles entsorgen. Als meine Mutter vor zwei Jahren starb, war alles in zwei Tagen erledigt. Da habe ich gesehen, wie gut es ist, wenn es gegen Ende immer weniger wird. Ich finde das erstrebenswert.
Sie wollen mit leichtem Gepäck unterwegs sein?
Ich glaube, es ist gut, beweglich zu sein. Dazu gehört auch, dass ich zuletzt beim „Tatort“ keinen Vertrag mehr hatte. Wenn du am Ende deines Lebens etwas mitnimmst, ist es im Geist oder im Herzen. Ich bin kein Sammler, ich bin Verbraucher. Ich esse, ich trinke. Alles andere ist mir egal.
Gibt es auch materielle Dinge, die Ihnen etwas bedeuten?
Das einzige, was ich behalte, sind meine Tagebücher und meine Zeichnungen. Und auch meine Familienfotos würde ich nicht wegschmeißen.
Apropos Familie: Ihr Vater lebt auch in Berlin. Welche Rolle hat er bei der Entscheidung gespielt, hierher zu ziehen?
Eine gewisse Rolle.
Was machen Sie denn so zusammen?
Meistens besuche ich ihn. Im Sommer sitzen wir dann in seinem kleinen Garten. Er ist ein alter Mann, wir machen keine großen Aktionen. Aber bei der Vorpremiere des letzten „Tatorts“ im Kino Babylon war er dabei.
Und wie war’s?
Nun ja, mein Vater meinte, das Ganze erinnere ihn ein bisschen an die Verabschiedung des Hausmeisters. Du bekommst auf der Bühne einen Blumenstrauß und eine Flasche Wein in die Hand gedrückt. Dann sagst du danke und gehst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren